Initiative Tierwohl ohne Tierschützer: Fleischhändler allein zu Haus

„ProVieh“ tritt aus dem Branchenprojekt für artgerechtere Fleischerzeugung aus. Anlass waren Videos über üble Haltungsbedingungen.

Ein Hausschwein zwischen vielen anderen Hausschweinen

Miserable Haltung: In den Ställen der Fleischerzeuger geht es oft eng zu Foto: dpa

BERLIN taz | Als letzte Tierschutzorganisation verlässt „ProVieh“ die Initiative Tierwohl, mit der Lidl, Edeka und andere Handelskonzerne eine artgerechtere Fleischerzeugung finanzieren. „Unser Vorstand hat am Freitag beschlossen, dass wir mit sofortiger Wirkung aus dem Beraterausschuss der Initiative austreten“, sagte Fachreferentin Angela Dinter der taz vor der für Montag geplanten offiziellen Bekanntgabe. Vorstandsmitglied Udo Hansen bestätigte das.

Anlass seien die von Tierrechtlern aufgenommenen Videos von miserablen Haltungsbedingungen in Ställen, die die Initiative zertifiziert hat. Der Deutsche Tierschutzbund hatte bereits Mitte Oktober seinen Ausstieg erklärt. Auch er wollte die Initiative nicht mehr mit seinem Namen legitimieren.

Die Initiative ist das wichtigste Projekt von Landwirtschaft, Schlachtbranche und Handel, um auf die Dauerkritik an den Haltungsbedingungen in konventionellen Ställen zu reagieren. Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied sagte gerade, mit ihr sei ein „historischer Fortschritt“ gelungen, weil kein Tierschutzprogramm einen so hohen Marktanteil habe.

Die Initiative bezahlt derzeit 3.200 Landwirte dafür, dass sie Maßnahmen für mehr Tierschutz in der Schweine-, Masthuhn oder Putenhaltung umsetzen. Geld gibt es zum Beispiel für 10 Prozent mehr Platz im Schweinestall als gesetzlich vorgeschrieben ist. 11 Einzelhändler wie Rewe, Aldi und Real zahlen dieses Jahr 85 Millionen Euro in den 2015 eingerichteten Fonds der Initiative.

Monotonie und Kannibalismus

ProVieh hatte das System anfangs mitkonzipiert, die Details legten die Wirtschaftsvertreter dann aber ohne die Tierschützer fest. Den Aktivisten waren die konkreten Regeln zu anspruchslos. Sie hofften jedoch, dass die Bedingungen in ihrem Sinne weiterentwickelt werden. Vor allem kritisierte ProVieh, dass die Landwirte das Kriterium „Ständiger Zugang zu Raufutter“ wie Stroh oder Heu durch andere Maßnahmen wie „zusätzliches organisches Beschäftigungsmaterial“ ersetzen dürfen.

„Wenn man da ein Stück Holz reinwirft, dann ist das organisches Beschäftigungsmaterial“, erläuterte Dinter. „Das Schwein beschäftigt sich damit aber nur 10 Minuten und dann findet es das todlangweilig. Das ist eine Alibigeschichte. Schweine brauchen Heu.“ Es sei auch nicht nachweisbar, dass die Tiere ständig oder nur zum Zeitpunkt der bis zu 48 Stunden vorher angekündigten Kontrolle Zugang zu Raufutter hatten. Die Monotonie in konventionellen Ställen gilt als eine Ursache von Verhaltensstörungen wie Kannibalismus.

Das Regelwerk hatte auch schon der Tierschutzbund moniert. „Nachdem der Verband ausgestiegen war, haben wir noch einmal effektivere Pflichtkriterien verlangt. Wir haben auch mit unserem Ausstieg gedroht. Aber da ist rein gar nichts passiert“, so Dinter. Die Vorschläge des Beraterausschusses sind unverbindlich, die Entscheidungen treffen die Gesellschafter der Initiative.

Angela Dinter, ProVieh

„Das Projekt ist gescheitert. Es hat seine Glaubwürdigkeit verloren“

Als dann noch die Tierrechtsorganisationen Ariwa und Soko Tierschutz Bilder von schwerverletzten, kranken und verwesenden Schweinen aus Betrieben der Initiative veröffentlichten, sei ProVieh klar geworden: „Das ist für uns auf keinen Fall mehr tragbar. Wir wollen nicht in der nächsten Horrormeldung erwähnt werden.“

Weil die Initiative sich nicht weiterentwickle, urteilt die Tierschützerin: „Das Projekt ist gescheitert. Es hat seine Glaubwürdigkeit verloren. Wir fordern das Ende der Initiative Tierwohl.“ Denn sie spiegele den Verbrauchern vor, die Haltungsbedingungen würden bedeutend besser.

„Freiwillige Initiativen der Branche halten wir mittlerweile für den falschen Weg“, sagte Dinter. ProVieh fordere stattdessen neue Gesetze: zum Beispiel eine Pflicht, die Haltungsmethode auf Fleisch- und Milchprodukten ähnlich wie auf Eiern zu kennzeichnen.

Die Initiative war am Sonntag nicht für eine Stellungnahme erreichbar.

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