Wenn das Volk nicht spurt

DEMOKRATIE Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner will Bürgerentscheide auf Gemeindeebene erschweren. Dabei sind die Hürden erst vor vier Jahren gesenkt worden. Anlass ist eine verhinderte Promenade in Lübeck

Wer nervt, wird zum Schweigen gebracht: Seit dem Erfolg eines Bürgerbegehren gegen eine Promenade in Lübeck zweifelt die SPD an direkter Demokratie Foto: Foto [Montage]: Markus Scholz/dpa, taz

von Gernot Knödler

Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner hat sich über einen Bürgerentscheid gegen eine Flaniermeile in Lübeck so geärgert, dass er die Hürden für solche Plebiszite erhöhen möchte. Dabei war es die SPD, die bürokratische Barrieren mit anderen Parteien erst vor ein paar Jahren gesenkt hat. „Wir nehmen den Fall in Lübeck zum Anlass, uns eingehender mit diesem Thema zu befassen“, kündigte Stegner an. Der grüne Koalitionspartner reagierte verschnupft, die CDU ist der Sache gegenüber aufgeschlossen.

Die Lübecker hatten am 18. Dezember gegen einen lange gehegten Plan der Stadtverwaltung votiert, eine Flaniermeile an der Untertrave zu schaffen. Dafür hätten 48 etwa 70 Jahre alte Winterlinden gefällt werden müssen. Sie wären zwar durch 60 neue, zehn Jahre alte Bäume ersetzt worden. Eine knappe Mehrheit der Abstimmenden wollte das trotzdem nicht hinnehmen.

Alle Argumente der Stadtverwaltung verfingen nicht: Weder dass 15 der Linden ohnehin krank seien und gefällt werden müssten noch dass die alten Bäume für die geplante Promenade zu dicht an der Kaikante stünden; und auch nicht, dass Fördergelder von Land, Bund und EU wegfielen.

„Diese Entscheidung taugt als Beispiel dafür, wie mit negativen Kampagnen sinnvolle Projekte kaputtgemacht werden können“, sagte Stegner den Lübecker Nachrichten. In der SPD habe die Euphorie gegenüber Volksabstimmungen nachgelassen, weil die repräsentative Demokratie dadurch in Gefahr gerate. Rechtspopulisten oder finanzstarke Gruppen nutzten diese Instrumentarien für sich, „um ihre Interessen durchzusetzen und gewählte Volksvertretungen auszubremsen“, sagte Stegner.

Die heute geltenden Regeln für Bürgerentscheide hatte der Kieler Landtag auf Druck des Vereins Mehr Demokratie in die Gemeindeordnung eingebaut. Der Lobbyverein hatte 25.000 Stimmen für eine Volksinitiative gesammelt. Eine Landtagsmehrheit von SPD, Grünen, SSW und Piraten einigte sich mit Mehr Demokratie und wandte so ein Volksbegehren ab.

Mit der Neuregelung wurden gestaffelte Hürden eingeführt: Mussten bis dato zehn Prozent der Wahlberechtigten unterschreiben, um ein Bürgerbegehren in Gang zu setzen, sind es jetzt zwischen fünf und zehn Prozent – je kleiner die Gemeinde, desto mehr.

Um einen Bürgerentscheid zum Erfolg zu führen, müssen ebenfalls je nach Gemeindegröße zwischen acht und 20 Prozent der Wahlberechtigten mit Ja stimmen, statt einheitlich 20 Prozent. Dahinter steckt die Erfahrung, dass sich Unterstützer in den Dörfern leichter finden lassen als in den Städten.

In Lübeck hatten sich knapp zwölf Prozent der Abstimmungsberechtigten für die Linden ausgesprochen. Schon acht Prozent hätten genügt. Der Verein Mehr Demokratie findet das gerade richtig. „Knappe Ergebnisse gibt es beim Wählen auch“, sagt Sprecherin Anne Dänner.

1990 bis 2010 gab es laut Mehr Demokratie in Schleswig-Holstein 347 Bürgerbegehren in den gut 1.100 Gemeinden, die zu 169 Abstimmungen führten.

Kam es zu Abstimmungen, waren 56 Prozent der Bürgerbegehren erfolgreich, 30 Prozent wurden mehrheitlich abgelehnt, weitere 14 Prozent scheiterten „unecht“, also am Quorum.

Seit der Reform 2013 bis einschließlich 2016 hatten 63 Prozent der Begehren Erfolg, 27 Prozent wurden abgelehnt, zehn Prozent scheiterten „unecht“.

In einigen Fällen entschied zudem der Gemeinderat im Sinne des Bürgerbegehrens.

Bürgerentscheide, die zwar eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen, jedoch das Quorum nicht erreichen, nennt der Verein „unecht gescheitert“. Von 262 Bürgerentscheiden seit 2002 scheiterten laut Mehr Demokratie 30 auf diese Weise. Niedrige Hürden seien wichtig, um die Abstimmenden nicht zu frustrieren. „Man muss den Menschen das Gefühl geben, etwas tun zu können“, sagt Dänner.

Stegners Vorstoß findet sie fragwürdig: „Wir finden es schwierig, wenn Politiker die Verfahren nach den Ergebnissen beurteilen.“ Der Gefahr, dass Populisten die Abstimmungen nutzten, müsse man sich stellen. „Die direkte Demokratie ist ein Spiegel dessen, was passiert“, sagt Dänner. Es sei besser, radikale Tendenzen kämen ans Licht.

Stegners Koalitionspartner, die Grünen, will die Hürden lassen, wie sie sind. Ihr Abgeordneter Burkhard Peters ärgerte sich besonders über den von denLübecker Nachrichtenkolportierten Plan, die Quoren in der Zeit zwischen der Landtagswahl im Mai und der Bildung einer neuen Regierung zu erhöhen – und dabei auch eine Prozenthürde für die Kommunalparlamente wieder einzuführen. „Diese angeblichen Überlegungen sind so bizarr, dass ich sie kaum glauben kann“, sagte Peters.

Die CDU verwies darauf, dass sie die Senkung der Quoren ohnehin entschieden abgelehnt habe. Bürgerbegehren dürften nicht die repräsentative Demokratie gefährden. „Repräsentative Entscheidungen müssen die Regel, direktdemokratische Entscheidungen die Ausnahme bleiben.“ Dänner kontert: „Wenn es diese Verfahren nicht gäbe, würde die repräsentative Demokratie noch abgehobener entscheiden.“