Armut in Berlin: Kein Platz für Obdachlose

Mitarbeiter des Ordnungsamtes Mitte und die Polizei räumen eine Rasenfläche nahe dem Bahnhof Zoo, auf der zuvor etwa 50 Menschen in Zelten campiert hatten.

An vielen Orten in Berlin suchen Obdachlose Unterschlupf. Hier im Tiergarten. Bild: DPA

Als am Morgen des 7. Mai Männer und Frauen in Uniform anrücken, sitzen die Menschen, die in den letzten Wochen hier auf der Rasenfläche nahe dem Bahnhof Zoo gelebt haben, bereits auf gepackten Sachen; kein Zelt steht mehr. Am Tag zuvor hatte das Gerücht die Runde gemacht, dass heute geräumt wird. Viele hatten den Platz deshalb am frühen Morgen verlassen, diejenigen, die noch da sind, hoffen, dass die Nachricht von der Räumung ein Irrtum ist.

Etwa zehn Mitarbeiter des Ordnungsamtes Mitte führen die Räumung durch, ein paar Polizisten halten sich im Hintergrund. Auch das Grünflächenamt Mitte, das für die Fläche zuständig ist und die Räumung veranlasst hat, hat Mitarbeiter geschickt. Die Ordnungsamtsmitarbeiter ziehen sich Handschuhe an und lassen sich die Ausweise der vormaligen Zeltbewohner, es sind vor allem Menschen aus Polen und Bulgarien, zeigen. Die Ausweise werden abfotografiert. Anschließend werden die Obdachlosen aufgefordert, ihre Sachen zu nehmen und zu gehen. Ein älterer Mann aus Polen protestiert und weigert sich, den Platz zu verlassen. Die Ordnungsamtmitarbeiter rufen einen Polizisten heran. Schließlich geht der Mann. Ein anderer Pole ruft aufgebracht, die Polizei solle sich darum kümmern, dass sein Chef vor Gericht käme, der habe ihm seinen Lohn nicht gezahlt. „Stattdessen schickt ihr uns hier weg. Wo sollen wir denn hin?“

Etwa 50 Bewohner hatte der Platz in den vergangenen Wochen. Vor allem Menschen aus den östlichen EU-Ländern zelteten hier. Ende März hatten die Winternotquartiere ihre Pforten geschlossen und Hunderte Obdachlose in die Stadt entlassen. Der schmale Grünstreifen am Rande des Tiergartens, der direkt an die Bahngleise grenzt, bot ihnen die Nähe zur Bahnhofsmission mit Essenmöglichkeiten und zu der sich ebenfalls am Bahnhof Zoo befindenden medizinischen Obdachlosen-Ambulanz der Caritas mit Duschmöglichkeiten.

Nach Angaben der Polizei kam es dort in den letzten Wochen „verstärkt zu tätlichen Auseinandersetzungen unter den anwesenden Personen, die in gegenseitige Körperverletzungen mündeten“. Zudem sei im Bereich der Zelte „immer wieder“ Feuer entzündet worden, was Einsätze von Polizei und Feuerwehr nötig gemacht hätte.

Der die Räumung politisch verantwortende Stadtrat des Bezirks Mitte, Carsten Spallek, verweist auf taz-Nachfrage darauf, dass Zelten im Tiergarten verboten sei. Laut Grünanlagengesetz gelte das Verbot „in allen öffentlichen Grünanlagen“ der Stadt. „Es widerspricht dem Widmungszweck einer Grünanlage, die der Erholung der Bevölkerung dient, dort zu campieren“, so der CDU-Politiker. Zu einem direkten Telefongespräch zum Thema Räumung ist der Stadtrat nicht bereit. Auf die schriftliche Frage, ob man den Zeltbewohnern nicht einen alternativen Aufenthaltsort hätte anbieten können, antwortet er: „Wo an anderer Stelle geeignete Flächen vorhanden sind, entzieht sich meiner Kenntnis.“

Wohl mehrere hundert Obdachlose aus den östlichen EU-Ländern leben in Berlin, die meisten von ihnen sind gescheiterte Arbeitsmigranten. Petra Schwaiger ist Leiterin des Projekts „Frostschutzengel“, das diese Menschen berät. Sie wundert sich, dass bei die Räumung der Zeltbewohner nicht von Mitarbeitern der Sozialen Wohnhilfe begleitet wurde, einer bezirklichen Stelle, die für Menschen in Wohnungsnot zuständig ist. Schwaiger sagt, es gebe in Berlin zudem Anlaufstellen für europäische Wanderarbeiter, auch dort hätte man darum bitten können, dass jemand bei der Räumung dabei ist.

Schwaiger merkt zudem an, die Stadt Berlin sei „verpflichtet, unfreiwillig obdachlos gewordene Menschen unterzubringen, gleich welcher Herkunft“. Für die Unterbringung seien insbesondere Ordnungsbehörden und Polizei zuständig, die Stellen also, deren Mitarbeiter die Räumung durchführten. Es zeige sich, dass bestimmte Gesetze für EU-Ausländer keine Gültigkeit hätten.

Schwaiger hat Kontakt zu einer Bulgarin, Mitte 30, die von der Räumung betroffen ist. „Die Frau ist schwerkrank und hat ohne adäquate medizinische Behandlung vermutlich nicht mehr lange zu leben“, sagt die Sozialberaterin. Ein Anspruch auf medizinische Behandlung bestehe für die Frau in Deutschland aber nicht. Die Bulgarin wolle zurück in ihr Heimatland, doch es fehle das Geld für einen neuen Personalausweis und die Rückreise. Durch den Verlust ihres Zeltplatzes sei die Situation für sie „schwierig“ geworden. So habe sie bislang in der nahegelegenen Bahnhofsmission etwas zu essen bekommen und medizinische Angebote und Duschen in der Obdachlosenambulanz in Anspruch genommen. Nun aber schlafe die Frau im Tiergarten, habe keinen festen Platz mehr für ihre Sachen und müsse längere Wege zur Bahnhofsmission zurücklegen. Zudem fürchte sich die Bulgarin vor der Polizei, die ihr bei der Räumung ein Bußgeld von 1.000 Euro androhte, sollte sie noch einmal beim Zelten im Tiergarten angetroffen werden.

Andere ehemalige Bewohner der Rasenfläche am Bahnhof Zoo hatten vom Gerücht einer bevorstehenden Räumung nichts mitbekommen. Sie hatten den Platz am Vormittag verlassen und stellten bei ihrer Rückkehr fest, dass ihre Sachen nicht mehr da sind. Eine Mitarbeiterin der Obdachlosenambulanz am Zoo telefonierte daraufhin mit dem Ordnungsamt. Dort erfuhr sie, dass das Hab und Gut der ehemaligen Zeltbewohner vier Tage später im Ordnungsamt Mitte in der Karl-Marx-Allee abgeholt werden könne. In den darauf folgenden vier Nächten, in denen die Temperaturen deutlich unter zehn Grad sanken, standen diese Obdachlosen ohne Schlafsäcke und Decken da. Viele Notschlafplätze – wie im Winter – gibt es in Berlin im Frühling nicht mehr.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.