Asylrechtsverschärfung von CDU und CSU: Fantasievoll inhuman

Mit der Formel „Fiktion der Nichteinreise“ will die Union regeln, wer ins Land darf und wer nicht. Dahinter steht eine brutale Vorstellung von Grenzen.

Ein Maschendrahtzaun

Eindeutig eine Grenze – nur: Gilt die für alle Menschen gleich? Foto: dpa

Die Grenze ist kein Ort, sondern ein Zustand. Dass Menschen die Grenze als klar definierte Linie wahrnehmen können, ist Ergebnis einer mehr oder weniger freiwilligen Übereinkunft aller Anrainer: Hier endet ein Territorium, dort beginnt ein neues.

Gerne verdrängt wird, wie willkürlich Grenzen gezogen wurden und werden: An einem Ort gelten bestimmte Rechte, nur einen Schritt entfernt, auf der anderen Seite der Grenze, gelten jedoch gänzlich andere Regel, und noch einmal andere genau auf der gedachten Grenzlinie. Historische und topografische Zufälle bestimmen die Form und Grenzen eines Nationalstaates und damit den Wirkungsbereiches seiner Werte, Regeln und Kultur.

Wie erfunden die Idee der Grenzlinie ist, wie real hingegen der Grenzzustand, belegt das Einigungspapier zwischen CDU und CSU. Darin findet sich die Formulierung: „Zurückweisung auf Grundlage einer Fiktion der Nichteinreise“. Das bedeutet also, dass Asylsuchende, die die deutsche Grenze passiert haben, obwohl sie schon in einem anderen EU-Land registriert sind, so behandelt werden, als hätten sie die Grenze nicht überschritten. „Fiktion der Nichteinreise“, also.

Diese Idee macht den Grenzübertritt, das Überschreiten einer Linie die von einem Territorium in das nächste führt, unmöglich, und zwar unabhängig davon, ob dieser Übertritt körperlich vollzogen wurde.

Menschen ohne Rechte

Die Grenze verlässt somit ihren ohnehin fiktiven Ort. Sie wird stattdessen um Menschen gezogen, die auf diese Weise ganz rechtskonform überall als Rechtlose behandelt werden können. Flüchtende sollen in Lagern gehalten und daran gehindert werden, vollständig in den Wirkungsbereich bürgerlicher (d.h. auch: einklagbarer) Rechtsnormen einzutreten. Sollte es ihnen dennoch gelingen, Ketten und Barrieren zu sprengen, soll nun vorsorglich der Bannkreis der „Fiktion der Nichteinreise“ um sie gezogen werden.

Das Ganze mag für's Erste den Eindruck einer eher akademischen Übung erwecken, hat jedoch sehr konkrete Auswirkungen. Zunächst wird ganz offensichtlich der Zugang zu rechtsstaatlichen Asylverfahren erneut erschwert. Daneben stellt sich die Frage, wie genau ermittelt werden soll, auf wen die „Fiktion der Nichteinreise“ angewandt werden kann – wenn sich die betreffenden Personen nicht mehr in geografischer Grenznähe befinden, aber rein fiktional noch nicht eingereist sind.

Es ist davon auszugehen, dass die rassistisch diskriminierende Praxis des sogenannten racial profilings, sofern sie nicht ohnehin bereits Arbeitsalltag für viele Polizeibehörden ist, ganz beiläufig in ihren Werkzeugkasten übernommen werden wird. Dann dürften nicht nur Geflüchtete Ziel der anlasslosen Kontrollen und Gängelungen werden.

Brutal inhumane Agenda

Ganze Personengruppen im Wortsinne aus dem Recht zu setzen, offenbart ein Programm, für das „Recht und Ordnung“ keine moralischen Grundsätze, sondern flexibel zu deutende Propagandabegriffe sind. Der Versuch, eine politische, gerne auch brutal inhumane Agenda umzusetzen, indem rechtsfreie Räume und die dauerhafte individuelle Entrechtung legalisiert werden, hat viele historische Vorbilder, gerade in der deutschen Geschichte.

Recht bildet immer beides ab: politische Absichten und materielle Realitäten. Die schon jetzt mörderische Realität der Bekämpfung von Flucht und Migration ist bekannt. Welchen Absichten mit der „Fiktion der Nichteinreise“ gedient wird, mit der Ausdehnung der Grenze als Zustand weit über ihren Ort hinaus also, ist nicht schwer zu erraten.

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