Aufklärung über Menschenfeindlichkeit: Die Agent*in ist reaktiviert

Das Antifeminismus-Lexikon Agent*in ist zurück. Diesmal unter dem neuen Namen Diskursatlas – und ohne die Heinrich-Böll-Stiftung.

Die Hand eines älteren Mannes hält ein schwarzes Kreuz, das teilweise mit einem schwarzen Tuch verhüllt ist

Abtreibungsgegner beim Marsch für das Leben 2016 in Berlin Foto: dpa

BERLIN taz | Die Form hat sich verändert, aber es geht noch um dasselbe: Das Onlinelexikon „Agent*in“ ist unter neuem Namen zurück. Der „Diskursatlas Antifeminismus“, wie das Wiki jetzt heißt, informiert seit einigen Wochen über Netzwerke und Organisationen, die im Bereich Antifeminismus eine Rolle spielen. Und, anders als beim Launch der Agent*in im Juli 2017, bleibt es um das neuerliche Lexikon zumindest bislang weitgehend ruhig.

Das ist deshalb erwähnenswert, weil die Agent*in, kurz für Anti-Gender-Networks-Information, vor etwa neun Monaten auf breite Kritik gestoßen war. Ein Shitstorm bis hin zu Morddrohungen an die RedakteurInnen entlud sich, weil sich neben Artikeln über Netzwerkstrukturen antifeministischer Strömungen wie sogenannten LebensschützerInnen oder misogynen „Männerrechtlern“ auch eine Suchfunktion zu Personen online befand, die in diesen Netzwerken aktiv sind. Das sei ein Pranger, hieß es damals nicht nur von Kriti­kerInnen aus der antifeministischen Szene, sondern auch aus dem liberalen Spektrum und von FeministInnen. Die Artikel seien diffamierend – und „Listen von Menschen nach politischer Gesinnung“ anzulegen sie nie eine gute Idee.

Nun ist der Diskursatlas wieder da – mit thematischer Einführung und deutlich stärker an inhaltlichen Stichpunkten ausgerichtet als zuvor. „Diskursthema Sexualität“, „Diskursthema Bildung“ oder „Diskursthema Geschlecht“ steht da nun etwa. Ähnlich wie bei Wikipedia selbst finden sich zugehörige „Narrative“ und „diskursive Ereignisse“ – also beim Thema Geschlecht etwa Einträge zu Genderwahn, Homolobby oder Komplementarität der Geschlechter, die erklärt und eingeordnet werden.

Zwar haben Personen wie Björn Höcke noch immer eigene Einträge, die über Links mit den jeweiligen Themen verknüpft sind. Auf Höckes Eintrag gelangt also zum Beispiel, wer die Artikel zu „Homolobby“ oder „Gender-Ideologie“ liest, zu denen er sich mehrfach geäußert hatte. Alles aber, was layouterisch nach „Liste“ aussehen könnte, wurde entfernt.

Außerdem will das Wiki dieses Mal klarer machen, dass es nicht als geschlossenes Konzept online geht. Während bei der Agent*in von Anfang an 430 Artikel im Netz standen, ist der Diskursatlas mit gerade mal 12 Artikeln gestartet. Im Wochentakt kommen nun neue Einträge dazu. Diese Strategie habe der „antifeministischen Reaktion den Wind aus den Segeln genommen“, sagte der Autor, Soziologe und Antifeminismus-Experte Andreas Kemper der taz. Aufgrund der massiven Bedrohungen beim letzten Mal geht das Diskursatlas-Team diesmal zunächst nur mit einem – Kempers – Klarnamen an die Öffentlichkeit. Aber wie der Diskursatlas selbst, hieß es, wachse derzeit auch das Team der MitarbeiterInnen.

Finanzierung „aus eigener Tasche“

Zurückgezogen hat sich allerdings die Böll-Stiftung: Erst entschuldigte sie sich öffentlich für die Agent*in, weil der eingeschlagene Weg „nicht dazu geeignet“ sei, die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung zu Antifeminismus zu führen. Im November erklärte die Stiftung dann, endgültig aus dem Projekt auszusteigen.

Finanziert wird der Diskursatlas deshalb „aus eigener Tasche“, sagte Kemper. Man könne auf den bestehenden Fundus von juristisch einwandfreien Artikeln zurückgreifen. Und sowieso sei es ohne die Stiftung zum Teil sogar einfacher: Der Shitstorm gegen die Agent*in sei auch deshalb so groß ausgefallen, weil er sich nicht nur gegen das Wiki an sich gerichtet habe, sondern auch gegen die Verbindung der Stiftung der Grünen. AntifeministInnen sei das ein besonderer Dorn im Auge gewesen.

Die geheimen internationalen Umtriebe von extremen Netzwerken wie „Agenda Europe“ (siehe Text links), so Kemper, würden die Relevanz von Aufklärungsprojekten wie dem Diskursatlas verdeutlichen. Dazu hatte Kampers Team schon Artikel veröffentlicht, bevor die „Agent*in“ aus dem Netz genommen wurde. Durch das plötzliche Aus sei man aber um Monate zurückgeworfen worden.

„Ab Mitte Mai“, sagt Kemper nun, „werden wir Texte zum Diskursthema Familie und damit zusammenhängend voraussichtlich auch zu ‚Agenda Europe‘ veröffentlichen.“

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