Aufklärungsfilm für Migrantinnen: Panik vor dem Stuhl

Manche Migrantinnen gehen aus Sorge um ihr Jungfernhäutchen nicht zum Frauenarzt. Der Film zweier Frauen soll ihnen die Angst nehmen.

Frauenarztstuhl in einer Praxis

Löst bei vielen Mädchen Angst und Scham aus: Frauenarztstuhl. Foto: dpa

HAMBURG taz | Kann das Jungfernhäutchen bei der Untersuchung bei der Frauenärztin reißen? Und wie furchtbar ist eigentlich dieser Stuhl? Über solche Fragen kursieren viele Gerüchte, aber richtig Ahnung haben die meisten Mädchen nicht, sagt Saniya Hassani. Die 21-Jährige floh gemeinsam mit ihrer älteren Schwester aus Afghanistan nach Hamburg.

„Im Ausland ist das Thema Sexualität oft ein Tabu“, sagt sie. An Informationen zu kommen, sei gerade für Migrantinnen schwierig: „Als ich meine Mutter gefragt habe, woher Kinder kommen, sagte sie nur: Aus dem Bauch.“

Damit wollte sich Hassani nicht zufrieden geben. Gemeinsam mit ihrer Schwester Baran drehte sie den Kurzfilm „Gut zu wissen – Besuch bei der Frauenärztin“. Sieben Minuten lang geht darin die 16-jährige Leyla, eine fiktive Jugendliche, der Frage nach, was eigentlich genau in der Praxis passiert.

Sie interviewt dafür ihre Frauenärztin. „In der ersten Woche des Projekts habe ich erst einmal selbst ganze viele Informationen bekommen“, sagt Hassani. „Vorher wusste ich fast nichts.“

Das Jungfernhäutchen wird auch Hymen genannt und ist eine kleine Hautfalte an der Scheidenöffnung.

Den Scheideneingang überdeckt es nicht komplett und kann ganz unterschiedlich aussehen.

Bei manchen Frauen bildet das Hymen einen Ring um die Scheidenöffnung, bei anderen überdeckt die Haut die Öffnung teilweise oder ganz, hat aber viele kleine Löcher.

Ein Mythos ist es, dass alle Mädchen und Frauen beim ersten Geschlechtsverkehr bluten, weil das Hymen reißt. Das trifft nur etwa auf die Hälfte zu.

Beim Sport oder durch Stürze kann das Hymen nicht reißen.

Frauenärzte können bei einer Untersuchung kleine Instrumente benutzen, um das Hymen nicht zu beschädigen. So können, wenn es nötig ist, auch Kinder gynäkologisch untersucht werden.

Medizinisch ist es möglich, das Jungfernhäutchen durch eine Operation zu rekonstruieren.

Für den Film in Stopp-Trick-Animation zeichnete sie die Figur Leyla, in verschiedenen Varianten – etwa mit verschiedenen Blickrichtungen. Durch den Schnitt bewegt sich die Figur im Video. Unterstützung bekamen die Hassanis vom Medienzentrum St. Pauli.

„Ich war überrascht, als sie mit diesem Thema auf mich zu kamen“, sagt Sexual- und Medienpädagogin Christina Witz. Sie ermutigte die Schwestern, auch Zeichnungen der Vagina einzubinden. „Wir wollten Bilder, die nicht peinlich berühren, aber die klar machen, wovon wir da reden.“

Anfang 2015 wurde der Film fertig. Fast anderthalb Jahre Arbeit stecken darin. Durch Spenden konnte er auf Deutsch, Türkisch, Persisch, Englisch und Arabisch übersetzt werden. Die Filmemacherinnen wollten möglichst viele Jugendliche erreichen.

Baran und Saniya Hassani kamen vor dreieinhalb Jahren ohne ihre Eltern nach Deutschland. In Hamburg lebten sie zunächst in einer Mädchenwohngruppe. Dort habe eine Bekannte nach einem Besuch bei der Frauenärztin erzählt, dass ihr Jungfernhäutchen bei der Untersuchung beschädigt worden sei.

„Sie und die Ärztin konnten sich nicht richtig verständigen“, sagt Saniya Hassani. Da sei es zu einem Missverständnis gekommen. Die Medizinerin habe angenommen, dass ihre Patientin schon Geschlechtsverkehr gehabt habe. Diese Geschichte hätte auch ihre eigene Angst verdoppelt, sagt Hassani. „Die Vorstellung war für mich ganz schrecklich.“

Helga Seyler arbeitet als Frauenärztin im Familienplanungszentrum in Hamburg und kommt im Film als Expertin zu Wort. Sie berät oft Mädchen, die sich Sorgen um ihr Jungfernhäutchen machen oder es wiederherstellen lassen wollen. „Dabei kann man es dem Jungfernhäutchen nicht ansehen, ob ein Mädchen Geschlechtsverkehr hatte“, sagt Seyler. Doch die Mädchen stünden von Seiten ihrer Familien unter Druck und hätten Angst, in der Hochzeitsnacht nicht zu bluten.

Sie bewegten sich zwischen den konservativen Moralvorstellungen innerhalb ihrer Familien und einer sexuell liberalen Gesellschaft. „Die eigene Position zu finden, ist da ein schwieriger Prozess“, sagt Seyler. Angst und Scham vor der ersten Untersuchung hätten jedoch nicht nur Migrantinnen oder Musliminnen. „Das ist für alle Mädchen ein Thema“, sagt die Ärztin.

Hassani macht gerade ihr Abitur und will danach Chemie studieren. Den fertigen Film hat sie ihrer Klasse gezeigt. „Freundinnen von mir haben jetzt keine Angst mehr, zum Frauenarzt zu gehen“, sagt sie. Sie sei stolz, dass ihr Film das bewirkt habe. Die Mädchen wüssten jetzt: „So schlimm ist es gar nicht.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.