Aufstände in Bosnien und Herzegowina: Zerstören, um aufzubauen

Das politische Herz Bosniens brennt. Die Demonstranten stellen sich gegen die Macht der nationalistischen Parteien und das Abkommen von Dayton.

Am Tag danach: Ausgebranntes Regierungsgebäude in Tuzla mit zierendem Beiwerk. Bild: reuters

SARAJEVO taz | Sowas hat man in Sarajevo seit dem Bosnienkrieg in den 1990ern nicht mehr gesehen. Aus den Fenstern der zentralen Gebäude des bosnischen Staates stiegen Flammen auf. Erst brannte das Kantonalgebäude, dann die Präsidentschaft. Das Herz des politischen Bosniens.

Tausende von Demonstranten heilten die Polizei in Schach, die aber ohnehin nur sporadisch eingriff. Offenbar hatte sie den Befehl erhalten, nicht aktiv zu werden. Ein paar hundert Jugendliche, die mit Steinen bewaffnet einige dieser Polizisten verletzt hatten, konnten seelenruhig die Fenster einschlagen und brennbares Material hinein werfen. Die Feuerwehr war nicht zu sehen.

Über seine Motive befragt, antwortete einer der jungen Militanten, erst müsse das zerstört werden, „was uns alle bedrückt“. Die Macht der nationalistischen Parteien, die Macht der kroatischen HDZ, der muslimischen SDA und der serbischen Nationalisten müsste gebrochen werden. Das Abkommen von Dayton sei schlecht für Bosnien. „Wir müssen jetzt zerstören, um wieder aufbauen zu können. Weg mit diesen korrupten Politikern.“

Die Bewegung ist spontan, nicht einmal die Nasa Stranka (Unsere Partei), die nichtnationalistische Partei der Zivilgesellschaft, hat Einfluss auf die Demonstranten. Es kommen Menschen aus allen Schichten. Ein Professor für Staatsrecht ist genauso dabei wie ein Theaterdirektor. Beide stellen sich gegen die Verfassung von Dayton und heißen die Aktionen der Jugendlichen gut.

Rat an die Polizei

„Wir brauchen eine Revolution, um endlich in Bosnien weiterzukommen. Die internationale Gemeinschaft hat diese Diebe und Banditen unterstützt, damit muss Schluss sein“, sagt der Professor. Und der Theatermann rät den Polizisten, sich mit dem Volk zu vereinen: „Warum unterstützt ihr die Repräsentanten eines Nichtstaates?“

Die Angriffe auf die Nationalisten ist ernst gemeint. In Mostar brannte am Freitagabend das Hauptquartier der „Demokratischen Kroatischen Gemeinschaft“ HDZ. Deren Chef Dragan Covic schmiedet mit dem Präsidenten des serbischen Teilstates, Milorad Dodik, Pläne, Bosnien und Herzegowina unter ethnsichen Kriterien endgültig territorial aufzuteilen.

Wie ein Flächenbrand haben sich die Demonstrationen und Belagerungen von öffentlichen Gebäuden in Bosnien und Herzegowina ausgebreitet. Mit den Rufen „Diebe“ und „verschwindet“ belagerten Demonstranten das Gebäude des Kantonsgebäudes in der 100.000 Einwohner zählenden Stadt Zenica.

Militante Proteste gegen die lokalen Politiker gab es in Bihac, wo ebenfalls das Kantonsgebäude besetzt wurde, in den Kleinstädten Donji Vakuf, Sanski Most, Brcko und Mostar demonstrierten jeweils Hunderte, ruhig verliefen dagegen kleinere Demonstrationen in den serbisch kontrollierten Städten Banja Luka und Prijedor.

Doch für Samstag sind größere Demonstrationen in Prijedor und Banja Luka angekündigt. Der serbische Professor Srdjan Puhalo erklärte, die nationalistischen Parteien hätten riesige Angst davor, dass sich die Menschen verbünden könnten. Die Schürung des Nationalismus mache ihre Macht aus, doch die könne verschwinden, wenn endlich die Menschen ihre gemeinsamen sozialen Probleme entdeckten.

Die politische Führung schweigt

Die Politiker Bosnien und Herzegowinas scheinen abgetaucht zu sein. Niemand wollte sich äußern. Lediglich Fahrudin Radončić, Politiker, Vorsitzender der Partei „Für eine bessere Zukunft“, Chef der größten Zeitung Dnevni Avaz und Innenminister, erklärte, die Kantonsregierungen seien an der Lage schuld, er hätte auf die Brisanz der Situation wiederholt hingewiesen.

Doch auch er ist bei den Demonstranten nicht unbedingt positiv angesehen. „Wo sind denn alle Politiker, sitzen die in Butmir in der Zentrale der Eufor-Truppen und zittern dort?“, fragt einer der Steineschmeißer. Auf die Drohung des österreichischen Hohen Repräsentanten Valentin Inzko, Truppen der Eufor einzusetzen, lachen die Demonstranten nur auf. „Das ist nichts neues, die Internationalen haben immer die Diebe und Verbrecher unterstützt.“

Ein Ziel haben die Demonstranten schon erreicht. Der Chef der Kantonsregierung Sead Čaušević ist zurückgetreten. Die Demonstranten wollen offenbar alle Kantonalregierungen zum Rücktritt zwingen und damit eine Verfassungsänderung von unten erreichen.

Die spontane Bewegung scheint keine Führung zu haben. Selbst die anfänglich hervorgetretenen Aktivisten wie Aldin Sragojovic von der Organisation Udar (Schlag) äußern sich nicht mehr. „Wir können nur zerstören, die Politik müssen andere machen, das können wir nicht“, erklärte ein junger Mann, der gerade einen Feuerwerkskörper in das Präsidentschaftsgebäude geworfen hat. Doch noch zeigen sich keine Gesichter, die der Bewegung politische Richtung und Ausdruck geben. Ein Vitali Klitschko ist in Bosnien noch nicht in Sicht.

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