Ausstellung Thomas Ruff in München: Fotograf der Fotografie

Biedere Wohnzimmer, unscharfe Nackte und Bilder vom Mars: Die große Ruff-Retrospektive zeigt den Weg der Fotografie von der Darstellung zur Vorstellung.

Eine verpixelte Landschaft aus der Reihe "jpeg". Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2011

Ein Schwarzwaldbube träumt von der weiten Welt: nicht ungewöhnlich. Denn wenn man in den engen Tälern des dicht bewaldeten Mittelgebirges zu Hause ist, sucht der limitierte Blick fast automatisch das Freie. Thomas Ruff ist in Zell am Harmarsbach geboren, am Westrand des Schwarzwaldes. Und sein Blick orientierte sich in Jugendjahren nicht nur an der ihn umgebenden Natur, sondern wanderte nach oben, zum Himmel hin, in die unendlichen Weiten des Weltalls.

Kurz vor dem Abitur lautete für ihn die Frage: Studiere ich Astronomie oder Fotografie? Da er sich die harte Wissenschaft von den Gestirnen nicht zutraute, entschied er sich mit 19 Jahren für ein Studium der irgendwie weicheren Fotografie - und zog hinaus an die Düsseldorfer Kunstakademie als einer der ersten Schüler von Bernd Becher.

Wie hart oder weich das Studium auch immer gewesen sein mag, Ruff entwickelte sich seit den achtziger Jahren zu einem der prominentesten Vertreter der Becher-Schule und avancierte zum international anerkannten Fotokünstler.

Zeit für ein Innehalten: Das Münchner Haus der Kunst präsentiert nun eine umfassende Ausstellung des Gesamtwerkes von Thomas Ruff von den Anfängen als Student bis zum Jahr 2011 - gezeigt werden 17 Werkgruppen aus 33 Jahren künstlerischer Arbeit. Schritt für Schritt, Raum für Raum entfaltet sich der künstlerische Weg, den Ruff mit beachtlicher Konsequenz gegangen ist: dem von der Darstellung zur Vorstellung.

Farbiger Verstoß gegen das Dogma

Anfangs glaubte der seit langem in Düsseldorf lebende und arbeitende Fotograf noch daran, sein Medium eigne sich zur Abbildung von Wirklichkeit - wie etwa in seiner ersten, von 1979 bis 1983 entstandenen Serie "Interieurs". Noch verweisen die Bilder auf etwas, das da war. Während zahlreicher Aufenthalte bei seiner Familie und bei Freunden im Schwarzwald lichtete er Ausschnitte aus Innenräumen ab, sachlich, detailliert, so wie er sie vorgefunden hatte.

Die mittelformatigen Farbaufnahmen von Bade-, Schlaf- und Wohnzimmern waren damals ein Verstoß gegen das vorherrschende Schwarz-Weiß-Dogma in der Fotokunst. Heute erscheinen sie nicht zuletzt als ein Dokument der Kleinbürgerlichkeit in Prä-Ikea-Zeiten.

Die Handschrift des Subjekts

Ruff ärgerte sich dann aber recht bald darüber, dass Fotografie mit Wirklichkeit verwechselt wurde: Irgendwann erkannte er, dass selbst in jedem Versuch der Dokumentation von Objekten die Handschrift des Subjekts eintätowiert ist. So wird Ruff zum Ungläubigen einer für ihn überholten ästhetischen Ideologie und spielt von nun an virtuell-virtuos mit der Rezeption des Betrachters.

Reichte ihm zu Beginn seiner Karriere noch das Blow-Up als Distanzmethode wie in seinen übergroßen Porträts Ende der achtziger Jahre, entwickelte sich Ruff in den vergangenen zehn Jahren zum Meister des Pixels: Die Möglichkeit der extrem einfachen, softwaregesteuerten Bildbearbeitung vereinnahmt er nicht einfach als neue Technik, sondern nutzt sie als Methode der Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung in einer digitalen Welt, in der man den Bildern nicht mehr trauen kann.

Die dumme Maschine

Ausgangspunkte der seit 2004 entstehenden Werkgruppe "jpeg" sind im Internet gefundene Bilder und selbst aufgenommene Fotos. Durch eine radikale Vergröberung der Pixelstruktur, die sich im Ergebnis als pointillistisch beschreiben lässt, entstehen neue Bilder aus den alten.

Die Kamera als "dumme Maschine"? Wozu dann noch selbst Fotos machen? Diese Fragen führten am Ende dazu, dass Thomas Ruff schon früh bereits existierendes Bildmaterial aus anderen Quellen heranzog und nicht mehr selbst auf den Auslöser drückte.

Ob er nun mit von ihm benutzten Originalkopien des Archivs des "European Southern Observatory" den Sternenhimmel zum Motiv erhob (Sterne, 1989-1992), pornografische Internetbilder als Ausgangspunkt seines Bilderspiels mit sexuellen Praktiken und Fantasien hernimmt, wie in seinen "nudes" seit dem Ende der neunziger Jahre, oder ob er Comics derart miteinander multipliziert, dass am Ende nur noch eine Gummibärchen-Suppe aus dem Plotter sprudelt, wie in "Substrate", wenige Jahre später: Der Rekurs auf bereits medial vermittelte Bildwelten und deren Weiterverarbeitung per Doppelklick spielt bis zum Schwindelgefühl mit möglichen Ansprüchen von Betrachtern auf das Sichtbarmachen von Wahrheiten.

Die Münchner Ausstellung zeigt das große Labor eines der wichtigsten Fotokünstler, der die künstlerische Fotografie durch seine großformatigen Tafelbilder hoffähig und extrem kunstmarkttauglich gemacht hat.

Inhalte spielen untergeordnete Rolle

Es wird sichtbar, dass Ruffs technisch brillante Arbeiten aufeinander aufbauen, anstatt sich bloß zu wiederholen: Unbeantwortete oder sich neu ergebende Fragen aus je aktuellen Zyklen werden in der Folge konsequent wieder aufgenommen, beispielsweise der Umgang mit Schärfe und Unschärfe.

Dabei spielen Inhalte eine eher untergeordnete Rolle, vielmehr geht es dem Bildwissenschaftler Ruff darum, die technischen Möglichkeiten seines Mediums selbst zu thematisieren, etwa wenn er mit Kameras experimentiert, die Phantombilder erzeugen oder die mit Restlichtverstärkern arbeiten, um den Eindruck eines Nachtsichtgerätes zu erzeugen, was harmlose Düsseldorfer Nächte unheimlich und kriegerisch erscheinen lässt.

Thomas Ruff ist der Fotograf der Fotografie. Ein schlauer Erkenntnissucher, der dennoch nicht völlig im analytischen Modus verharrt. Er findet immer wieder ganz eigene, persönliche und berührende Zugänge zu seinen Bildserien. Dazu muss er nicht einmal mehr in den Himmel schauen wie früher im Schwarzwald: Seinen Sehnsuchtsort findet Ruff im weltweiten Netz: die Website der Nasa. Da gibt es all die hochaufgelösten und zur Verwendung freigegebenen Aufnahmen und Videos von Himmelskörpern, Bilder, die er nicht selber schießen kann.

Hier macht einer seine Träume wahr: Wenn Thomas Ruff in der 2010 begonnenen Serie "m.a.r.s" Fotografien des Mars staucht und anschließend koloriert, erzeugt er eine Perspektive, als befände sich der kleine Major Tom beim Landeanflug auf den weit entfernten Planeten und schaute beiläufig staunend aus dem Bordfenster seines Raumgleiters. Bilder der Zukunft im Hier und Jetzt.

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