Ausstellung „Tiere“ in Hamburg: Tiere sind auch nur Menschen

Respekt, Harmonie, Unterwerfung: Eine Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe widmet sich dem Verhältnis von Mensch und Tier.

Kunstwerk mit Fledermaus

Eine der Themeninseln geht von einem Fledermaus-Aquarell aus dem Jahr 1522 aus Foto: Pierre Guenat © Besançon, musée des Beaux-Arts et d’Aechéologie

HAMBURG taz | Hätte sich ein noch größeres Thema finden lassen? Um Tiere dreht sich diese Ausstellung des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe (MKG) ja nur vordergründig – der Untertitel „Respekt/Harmonie/Unterwerfung“ deutet dies mehr als nur an: Ja, man will heran an Großes und ans Ganzes. Ja, hier geht es um ein komplexes Thema, ein kompliziertes Verhältnis, nämlich das des Tieres zum Menschen. Wobei dieser ja, biologisch gesehen, nur ein besonders aufmerksamkeitheischendes Beispiel für jenes ist. Wo endet das Menschliche, wo fängt es an – und was lässt sich darüber lernen, wirft man den Blick auf die Grenze, dorthin also, wo die Tiere wohnen, auch die wilden?

Weder chronologisch noch enzyklopädisch sei man dabei vorgegangen, sagte zur Eröffnung MKG-Direktorin Sabine Schulze, „das wäre ja auch gar nicht zu stemmen gewesen“. Als zentral bezeichnen die AusstellungsmacherInnen die Frage: „Wie nah oder fremd sind Mensch und Tier einander?“ Nachgegangen wird ihr erklärtermaßen in Abwesenheit des Menschen: „Er tritt physisch nicht auf in dieser Ausstellung, präsent wird er mit seinen Sehnsüchten und Ängsten in der Darstellung der Tiere.“

Auf Gemeinsamkeit und Unterschied, Verwandtschaft und Trennung stößt den Besucher schon das Plakatmotiv „Orang Utan, Erdbeeren fressend“, 1776 gemalt vom niederländischen Hofmaler Tethart Philipp Christian Haag: der Affe, den Teller in der einen Hand, die Gabel mit der süßen Frucht in der anderen – „Affen und anderen Menschen“ widmet sich im sehr guten Katalog ein ganzes Kapitel.

Es ist dies vielleicht die aussagestärkste Facette des Themas: Dem Affen, gerade weil er ihm so nahe ist, unterstellt der Mensch umso bereitwilliger, was er an sich selbst gerne ausblendet, ja: verdrängt.

So ist aus der Hochphase des Kolonialismus die Trope von der Entführung (gebärfähiger) Frauen durch Menschenaffen überliefert – eine der jüngeren Variationen des sehr alten Motivs von der Schönen und dem Biest (und eine Art Etappe auf dem Weg hin zu den Diskursen, die bald darauf den nicht weißen Menschen mitsamt all seiner unterstellten Triebe ins Tierreich ausbürgerten). Hier zieht die Ausstellung dann auch die Verbindung in die jüngste, die filmische Vergangenheit: zu „King Kong und die Weiße Frau“ (1933).

Dürer-Bild und Fledermaus-Drohne

Organisiert ist „Tiere“ in Themeninseln, die mal einem Motiv folgen, mal auch ganz nahe am Objekt bleiben: Da tritt dann etwa ein lange Zeit Albrecht Dürer zugeschriebenes Fledermaus-Aquarell aus dem Jahr 1522 neben ein 450 Jahre jüngeres Aufhellungspräparat eines Braunen Langohrs – eine Fledermausart aus der Familie der Glattnasen – sowie, beinahe direkt aus den Labors der kalifornischen Eliteuni Cal Tech, ein „Bat Bot“ (2017), was der vorläufig gelungenste Versuch des Menschen ist, die Flugtechnik der Fledermaus in einem Flugroboter nachzubilden und also nutzbar zu machen.

Natürlich kommt eine Ausstellung zum Tier nicht vorbei an der Mythologie, an Sphinx und Sirene und Minotaurus, all den Mischwesen also, auf die der Mensch manches Göttliche projizierte, dann wieder zutiefst fleischliches Begehren. Auch die beinahe erwartbaren Felder sind beackert, so gibt es etwa auch eine Themeninsel zu Rolle und Rang der Katze im alten Ägypten, mit kleinem Sarg, vierbeiniger Mumie und allem Pipapo.

Tiere. Respekt/Harmonie/Unterwerfung: bis 4. März 2018, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg.

Was man angesichts der vielen Objekte erahnen kann: die Ausstellung ist Ergebnis jahrelanger Arbeit. Für etliche der Exponate arbeitete man mit Partnern im In- und Ausland zusammen; überhaupt etwas, das dem Hamburger Haus zunehmend gut zu gelingen scheint.

Dass ein – räumlich – kurzer Weg manchmal aber umso länger dauern kann, zeigt die Sache mit Paul Klees „Goldfisch“ (1925): Den bekam man von der Kunsthalle, gleich auf der anderen Seite des Hamburger Hauptbahnhofes gelegen. Die allerdings wollte das Bild eigentlich nie wieder verleihen – seit einem Säureattentat im Jahr 1977.

Nun aber trifft er einerseits auf andere Tiere-in-der-Kunst wie Franz Marcs „Liegender Hund im Schnee“ (1910/11), aber eben genauso auf Röntgenfotografien von Fischen von Josef Maria Eder und Eduard Valenta sowie die versteinerten Artgenossen vom Monte Bolca, die der Deutschen liebster Universalgelehrter Johann Wolfgang von Goethes höchstselbst aufgesammelt haben soll.

Tiere als Lebensmittel

Wer den Blick nicht komplett nach hinten richten will – und es obendrein ernst meint mit dem Unterwerfungsverhältnis, wie es ja der Untertitel formuliert –, der wird auch heutige, entfremdete Mensch-Tier-Verhältnisse berücksichtigen. Die Hamburger Ausstellung tut das in Gestalt von Michel Schmidts Arbeit „Lebensmittel“, dem sie einen Nebenraum widmet: In insgesamt 177 Fotografien umkreist Schmidt da die landwirtschaftliche Ab- und Zurichtung des Tiers als, eben, Lebensmittel.

Schön ist, wie diese teils abstrahierten Innenansichten auch von Agrarindustrie nun kombiniert werden mit einer Eberkopfterrine aus dem Museums­bestand. Was für manchen Vegetarier vielleicht einer Trigger-Warnung bedürfte, erzählt gerade von Zeiten, in denen das Verspeisen so eines Tiers eben nichts Alltägliches war.

Das andere Ende der Skala, eine Art Versöhnung nämlich zwischen den einander so fremd gewordenen Verwandten, beanspruchen Jennifer Allora und Guillermo Calzadilla mit der Videoinstallation „Raptor’s Rapture“ (2012): Eine Musikerin spielt darin auf der Nachbildung des ältesten überhaupt bekannten Musikinstruments, vor 35.000 Jahren geschnitzt aus der Speiche eines Gänsegeiers – dessen Nachfahre sitzt ihr krähend gegenüber: ein putzmunterer Altweltgeier.

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