Ausstellung in Berlin: „El Dschihad“ und die Einarm-Fibel

Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt in „Der Erste Weltkrieg“ die Gewalt des Kriegs. Sie traf nicht nur Soldaten, sondern auch die Bevölkerung.

Von den deutschen Besatzern in Polen erfasste Zivilisten, Polen 1915–1918. Bild: Stiftung Deutsches Historisches Museum

„Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich untereinander abwürgen und dabei ganz Europa so kahlfressen, wie noch nie ein Heuschreckenschwarm“, schrieb Friedrich Engels 1887 in London.

„Die Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs zusammengedrängt in drei bis vier Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet; Hungersnot, Seuchen, allgemeine, durch akute Not hervorgerufene Verwilderung der Heere wie der Volksmassen; rettungslose Verwirrung unsres künstlichen Getriebs in Handel, Industrie und Kredit, endend im allgemeinen Bankerott.“

Das Zitat hängt im Eingangsbereich der eben eröffneten Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin und ist so erhellend wie irreführend. Erhellend, weil es zeigt, dass die „Urkatastrophe“ des zwanzigsten Jahrhunderts kein ungeahnter Gewaltausbruch war. „Das ist die Aussicht, wenn das auf die Spitze getriebene System der gegenseitigen Überbietung in Kriegsrüstungen endlich seine unvermeidlichen Früchte trägt“, heißt es bei Engels weiter.

Irreführend ist das Zitat, weil die Ausstellung keine thesenstarke, neue Interpretation des Ersten Weltkriegs, seiner Ursachen und Folgen liefern möchte, sondern ganz bescheiden zeigen will, wie die entfesselte Kriegsgewalt im Detail aussah. Im Detail aber zeigen sich einige Facetten dieses Kriegs, die auf grausame Art wegweisend für das zwanzigste Jahrhundert waren.

Bis 30. November, täglich von 10 bis 18 Uhr. Der Katalog zur Ausstellung „Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten" umfasst 224 Seiten mit 100 farbigen Abbildungen und kostet 24,95 Euro

Ein großer deutscher Held

„Der Erste Weltkrieg. 1914-1918“ präsentiert in 17 Abteilungen 14 Orte, an denen beispielhaft die wesentlichen Themen verhandelt werden. 500 Exponate haben die Ausstellungsmacher Juliane Haubold-Stolle und Andreas Mix dafür versammelt. Viele Exponate stammen aus den Beständen des Museums, viele sind Leihgaben aus der ganzen Welt, darunter einige aus russischen Sammlungen. Multimediaguides für Erwachsene und Jugendliche erzählen die Geschichten hinter den Objekten.

Manche sind groß, wie die Feldküche, die mitten im Parcours steht. Manche sind klein und unscheinbar, wie die „Einarm-Fibel“ von Eberhard Freiherr von Künssberg, die verstümmelten Soldaten etwa demonstrierte, wie man sich die Fingernägel abknipst, indem man den Knipser zwischen die Oberschenkel klemmt.

Der kaputte Helm Ernst Jüngers ist ebenso zu sehen wie zwei seiner Kriegstagebücher. Eine große Fototapete der zerstörten Kirche Notre Dame de Albert an der Somme. Das anatomische Modell eines weiblichen Unterleibs mit Syphilis. Die zerfetzte Kartusche einer 28-cm-Granate, die den Großen Kreuzer S.M.S Seydlitz traf.

Eine Ausgabe von „El Dschihad“, der in Berlin gedruckten „Zeitung für die muhammedanischen Kriegsgefangenen“, die Teil der Strategie war, Muslime in den französischen und britischen Kolonien zum Aufstand anzustacheln. Ein Kinderbuch, das General Hindenburg als „großen deutschen Held“ verehrt, was sich auf „über alles in der Welt“ reimt. Alle diese Dinge sprechen für sich, sie werden durch ergänzende Texte nur in knapper Form erklärt.

Mehr Mut zur Interpretation

Dieses Ausstellungskonzept funktioniert im Großen und Ganzen gut. Wenn aber etwa das berühmte Gemälde von Hindenburg und Ludendorff am Kartentisch mit dem Hinweis versehen wird, darauf sei der „arbeitssame Taktiker Ludendorff“ in Szene gesetzt, wünscht man sich den Nebensatz dazu, dass dieser Taktiker auch der Vordenker des Vernichtungskriegs war, den seine Nachfolger später ins Werk setzten. Ein bisschen weniger vornehme Zurückhaltung und ein wenig mehr Mut zur interpretierenden und einordnenden Aussage würden hier und an manch anderer Stelle nicht schaden.

Zwei Abteilungen widmen sich einem Kapitel dieses Krieges, das erst in den vergangenen Jahren Beachtung gefunden hat. Fotografien zeigen die bürokratische Erfassung der Bevölkerung im Osten, die Flüchtlingstrecks, die Deportationen und die massenhaften Hinrichtungen von Spionen, zu denen man auch Frauen und Kinder zählte. Waren den russischen Truppen die Juden in Galizien und anderswo schon deswegen verdächtig, weil diese sich mit den deutschen Truppen verständigen konnten, so vermuteten die deutschen und österreichischen Militärs potenzielle Spione oft unter den Russisch sprechenden Bevölkerungsteilen.

In der Ausstellung kann man den Befehl des Kreishauptmanns Hundhausen in Wolkowysk vom 12. März 1917 lesen. Er ordnet an, dass sich arbeitslose Handwerker bei den deutschen Militärbehörden zu melden haben. Der Befehl wurde auf Russisch und Jiddisch übersetzt.

Ein anderer Krieg

Der zynische Umgang mit „Menschenmaterial“ betrifft in diesem modernen Krieg nicht nur die Millionen von Soldaten, die man auf den Schlachtfeldern an der Westfront buchstäblich verheizte. Er zeigte sich auch am Umgang der Kriegsparteien mit der Zivilbevölkerung, in den besetzten wie den eigenen Gebieten.

So kündigte der Oberstadthauptmann Roth von Pancsova am 26. August 1914 an, dass der für sein Gebiet zuständige Armeeoberinspektor im Fall von Unruhen droht, auch serbische Ortschaften diesseits der österreichisch-ungarischen Staatsgrenze niederzubrennen, sowie Schuldige und Geiseln zu „iustifizieren“.

Das ist nicht der Erste Weltkrieg, wie wir ihn kennen. Hier werden Vorgehensweisen deutlich, die man, wenn auch in weitaus stärkerem Ausmaß und in radikalisierter Form, mit dem Zweiten Weltkrieg verbindet. Auch das ist eine Setzung.

Niemand ist geschlittert

Alan Kramer schätzt an der Ausstellung ihre Nüchternheit. In seiner Eröffnungsrede wies der Historiker auf zwei nicht mehr selbstverständliche Punkte hin: Zum einen habe kein Automatismus in diesen Krieg geführt, kein hydraulischer Apparat sei da selbsttätig in Gang gekommen. Vielmehr zeigten Dokumente aus sechs Ländern, dass die Verantwortlichen nicht wie „Schlafwandler“ in den Krieg „schlitterten“ – klarer kann man die Thesen, die Christopher Clark in seinem Buch „Die Schlafwandler“ formuliert hat, nicht zurückweisen.

Österreich-Ungarn wollte Auflösungserscheinungen ein für allemal mit harter Hand entgegentreten, das Deutsche Reich verstand diesen Krieg nicht nur als Präventivkrieg, sagt Kramer, Professor am Trinity College in Dublin. Im Gegensatz zu seinen Kriegsgegnern, die um Wahrung des Status Quo bemüht waren, sei es dem Reich dezidiert darum gegangen, das Gleichgewicht der Mächte zu verschieben.

„Und endlich ist kein andrer Krieg für Preußen-Deutschland mehr möglich als ein Weltkrieg“, schrieb Friedrich Engels, „und zwar ein Weltkrieg von einer bisher nie geahnten Ausdehnung und Heftigkeit.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.