Ausstellungsempfehlung für Berlin: Koloniale Vermächtnisse im Fokus

Auftakt zum einjährigen Forschungs- und Ausstellungsprogramm „Untie to Tie“ in der ifa-Galerie Berlin. Die taz sprach mit der Leiterin Alya Sebti.

Ab Donnerstag in der ifa-Galerie: Pascale Marthine Tayou: Douces Épines (Süße Dornen), 2015; courtesy of the artist und VNH Gallery Foto: Claire Dorn

Pascale Marthine Tayou hat Sand in der ifa-Galerie verteilt. Man muss darüber gehen, um sich die Arbeiten des Kameruner Künstlers aus der Nähe zu betrachten. Fast ist es ein bisschen wie in Kolmanskop, der Geisterstadt in der Namib-Wüste, in der der Sand verödete Herrenhäuser inzwischen halb verschluckt.

Kolmanskop war einst deutsche Kolonie, reich geworden durch den Diamantenboom, dann verlassen. Für Tayou ist Kolmanskop ein Bild für verborgene koloniale Strukturen und deren unbewusste oder noch unerforschte Einflüsse auf Kultur und Alltag. Die aufzudecken und umzuwerten ist Tayous künstlerischer Ansatz.

Eine ganze Wand hat er mit hölzernen Dornen bestückt, die Spitzen jedoch fröhlich bunt angemalt, Stacheldraht hat er zur harmlosen Wolke geformt, stereotype „afrikanische“ Masken von einer toskanischen Manufaktur aus Glas nachbilden lassen und mit Fundstücken aus aller Welt behängt.

Allein schon für Tayous Einzelausstellung, die am Donnerstag eröffnet wird, lohnt sich der Besuch der ifa-Galerie, aber nicht nur: Sie ist nur ein Teil des ersten Kapitels eines einjährigen Forschungs- und Austellungsprojekts, mit dem Leiterin Alya Sebti der ifa-Galerie eine neue Struktur gibt.

Das Programm ist ambitioniert, „Untie to Tie“ will koloniale Vermächtnisse heutiger Gesellschaften aufarbeiten, mit Ausstellungen, Gesprächen, Performances und im öffentlichen Dialog. Letzterer wird gefüttert von einer Lesestation, kuratiert von den Chefredakteurinnen des Onlinemagazins Contemporary And, einer Hörstation von Saout Radio und einer digitalen Plattform. Alles baut aufeinander auf und ergänzt sich, wie bei Édouard Glissant, dessen Ideen das erste Kapitel gewidmet ist.

ifa-GalerieEröffnung: 30. 3., 19 UhrDi.–So. 14–18 Uhr, bis 11. 6., Linienstr. 139/140

Einblick (666): Alya Sebti, Kuratorin und Leiterin der ifa-Galerie

taz: Welche Ausstellung in Berlin hat dich zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und warum?

Alya Sebti: Die Ausstellung „Deutscher Kolonialismus. Fragmente seiner Geschichte und Gegenwart“ im DHM. Für eine Institution wie das DHM war es sehr wichtig, bei diesem Thema einen starken Bezug zu aktuellen Realitäten aufzuzeigen. Besonders gut gefallen haben mir eine Arbeit von Satch Hoyt und eine Recherche von Natasha A. Kelly über alltägliche Wörter mit kolonialem Einfluss.

Welches Konzert oder welchen Klub in Berlin kannst du empfehlen?

Das HAU mit seinem herausragenden Programm, das Grenzen durchbricht und die Reflexion darüber vorantreibt, inwiefern der Körper ein politischer Raum für das Erzählen von Geschichten und das Teilen von Erinnerungen sein kann. Am 21. April wird der marokkanische Künstler Taoufik Izzediou dort „En Alerte“ präsentieren.

Welche Zeitschrift/welches Magazin und welches Buch begleitet dich durch den Alltag?

Gerade lese ich „Habiter la Frontière“ von Leonora Miano. Diese fantastische Schriftstellerin wird am 29. Juni in der Begegnungsreihe „Égalité – Liberté – Fraternité“ in der ifa-Galerie Berlin auf Dr. Markus Messling, den stellvertretenden Direktor des Centre Marc Bloch, treffen.

Alya Sebti (*1983 in Casa­blan­ca) studierte an der École supé­rieure de Commerce de Reims, an der École Du Louvre sowie am Institut d’Etudes Supérieures des Arts. Als Kuratorin liegt ihr Fokus auf zeitgenössischer Kunst aus Nordafrika. 2014 war sie künstlerische Direktorin der 5. Marrakech Biennale. Seit April 2016 leitet sie die ifa-Galerie Berlin, deren einjähriges Forschungs- und Ausstellungsprogramm „Untie to Tie“ am Donnerstag startet.

Was ist dein nächstes Projekt?

Am 30. März launcht die ifa-Galerie Berlin ihr einjähriges Recherche- und Ausstellungsprogramm „Untie to Tie – On Colonial Legacies and Contemporary Societies“ mit der Ausstellungseröffnung „Kolmanskop Dream“ von Pascale Marthine Tayou. Bis März 2018 werden wir die kolonialen Hinterlassenschaften zeitgenössischer Gesellschaften erforschen. Dafür entwickeln wir eine neue Struktur mit drei Säulen: „Kunst im Dialog“, ein öffentliches Programm mit Bezug auf die Ausstellung; dem „Treffpunkt“ mit einer Lese- und Hörstation und der digitalen Plattform: untietotie.org.

Welcher Gegenstand/welches Ereignis des Alltags macht dir am meisten Freude?

Meine Teetasse von der Salzburg-Sommerakademie, bei der ich im vergangenen Sommer unterrichtet habe.

Text und Interview erscheinen im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz

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