Ausstieg aus der Kohleverstromung: Niedersachsen will sich Zeit lassen

Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) lehnt einen „zu schnellen“ Kohleausstieg ab. Das sei die falsche Position für ein Energiewendeland, meinen die Grünen.

Ein Kraftwerk der Firma Dow Chemical

Ein Kraftwerk der Firma Dow Chemical. Das in Stade geplante Modell soll zu 80 Prozent mit Kohle betrieben werden Foto: Dow Chemical

HANNOVER taz | Der niedersächsische Umwelt- und Energieminister Olaf Lies (SPD) will den Kohleausstieg nicht beschleunigen. „Die Forderung, morgen alle Kohlekraftwerke abzuschalten, ist doch absurd“, sagte er im Landtag. Zunächst müsse man eine Antwort auf die Frage haben, woher der Strom stattdessen kommen solle. Und auch die Bergbauregionen Deutschlands dürften bei dem Strukturwandel nicht abgehängt werden.

Mit eben diesem Tenor hat der Minister in der vergangenen Woche ein Papier unterzeichnet, das sich gegen einen schnellen Kohleausstieg richtet. Er schließt sich darin mit Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, dem Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt zusammen – im Gegensatz zu Niedersachsen allesamt Länder, in denen noch Arbeitsplätze an der Kohleförderung hängen.

Der letzte niedersächsische Braunkohletagebau im Helmstedter Revier wurde 2016 geschlossen. „Wir haben den Strukturwandel schon vollzogen“, sagt Lies. „10.000 Arbeitsplätze im Bergbau haben wir schon verloren.“ Die finanziellen Auswirkungen seien für die Region noch immer dramatisch.

In der Berliner Kohlekommission (siehe Kasten) wolle er Niedersachsen als Modellland präsentieren und zeigen, wie man so einen Strukturwandel organisieren könne. Die Abgeordnete Imke Byl von den Grünen findet jedoch, dass sich der Minister mit seiner Unterschrift zu sehr mit Bundesländern gemein macht, die ein wirtschaftliches Interesse daran haben, dass möglichst lange Kohle abgebaut und verbrannt wird. „Als Küstenland sind wir direkt vom Meeresspiegelanstieg bedroht und was macht Lies?“, fragt Byl. „Er unterstützt die Forderung der Zukunftsverweigerer.“

Die Bundesregierung hat die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung am 6. Juni 2018 eingesetzt.

Ziel ist es, dass die Kommission einen Vorschlag ausarbeitet, wie und bis wann der Kohleausstieg gelingen kann. Der Abschlussbericht soll schon Ende des Jahres kommen.

Die Mitglieder kommen aus unterschiedlichen Bereichen. Es sind Politiker aus dem Bund, den Ländern und den Kommunen dabei, aber auch Gewerkschaften, Umweltverbände oder Wirtschaftsvertreter.

Streit gibt es derzeit, weil der RWE-Konzern während der Verhandlungen Rodungsarbeiten im Hambacher Forst im Rheinland für einen dortigen Braunkohle-Tagebau vornehmen lassen will.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) positionierte sich: „Wenn ein gesellschaftlicher Konsens organisiert werden soll, dann dürfen während einer solchen Phase keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden.“

Damit meint sie wohl Politiker wie Brandenburgs vergangene Woche zurückgetretenen Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD). Auch er hat unterzeichnet. „Mit einem vorzeitigen Ausstieg aus der Kohleverstromung ist niemandem gedient – auch dem Klima nicht“, sagt er. „Flexible konventionelle Kraftwerke gewährleisten, dass die Energieversorgung sicher und bezahlbar bleibt.“ Zumindest für den Übergang würden sie gebraucht.

Lies betont, wie wichtig der Ausbau der erneuerbaren Energien sei. „Niemand möchte zurück zur Kernkraft und allen ist klar, dass der Einsatz von Kohle heruntergefahren werden muss“, sagt er. Es dürfe jedoch keine „Verengung auf den Ausstieg“ geben.

Die Kommission solle die Folgen eines vorzeitigen Kohleausstiegs auf die Strompreise und die Versorgungssicherheit stärker berücksichtigen, fordert Lies zusammen mit seinen Amtskollegen – die fünf Wirtschaftsminister sind jeweils auch für Energie zuständig, nur in Niedersachsen liegt das Thema beim Umweltminister, der allerdings vor einem Jahr selbst noch Wirtschaftsminister war.

Lies befürwortet zudem, dass in Stade ein neues Kohlekraftwerk gebaut wird. „Das lässt einen doch völlig verzweifeln“, sagt Byl. „Als Umweltminister muss er sich doch für unser Klima einsetzen.“

Das Unternehmen Dow Chemical plant an seinem Stader Standort für 1,2 Milliarden Euro ein Kraftwerk, das zu 80 Prozent mit Steinkohle und je zehn Prozent mit Biomasse und Wasserstoff betrieben werden soll. Lies hält das für „einen klugen Weg.“ Schließlich sei es kein Kohlekraftwerk. „Was das Unternehmen Dow dort vorhat, ist etwas ganz anderes. Dow will ein Industriekraftwerk bauen.“

Diese Wortwahl ärgert jedoch die Initiativen vor Ort, die vor Gericht bislang mit dem Bemühen gescheitert sind, das Kraftwerk zu verhindern. „Das ist genau die Greenwashing-Rhetorik der Dow“, sagt Holger Becker von Greenpeace Hamburg über den Minister, der auch Kern- statt Atomkraft sagt. Auch wenn man es Industriekraftwerk nenne, bleibe der Hauptbrennstoff Kohle. „Das sollte die Politik eigentlich verhindern“, sagt Becker.

Widerstand gegen das Kohlekraftwerk in Stade

Silke Hemke von der BUND-Kreisgruppe in Stade hält die Worte des Ministers gar für eine „Täuschung des Landtages und der Öffentlichkeit, wenn er den großen Anteil der Kohlekraft verschweigt“. Die anderen Brennstoffe seien nur Deko, sagt Hemke.

Gegen die Abweisung der Klagen von Umweltverbänden und einer Anwohnerin hatte das Oberverwaltungsgericht Lüneburg keine Revision zugelassen. Sie haben Beschwerde eingelegt und warten auf eine Entscheidung. Hemke und ihre Mitstreiter wollen alle juristischen Mittel ausschöpfen – und auch der Landespolitik zeigen, was sie von dem Kraftwerk halten. Am 8. September ab 11 Uhr wollen sie in Stade demonstrieren. Das Motto: „Wir lassen uns nicht verkohlen.“

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