Automobilindustrie in Deutschland: Durchwursteln, wie immer

Wer verstehen will, was alles an der Autoindustrie hängt, kann in Wolfsburg ins Stadion gehen. Der E-Motor hat es schwer.

Offener Porsche mit Monteur

Bei Porsche werden selbst Diesel weiter gebaut Foto: dpa

Das Land hängt am Verbrennungsmotor. Besonders Baden-Württemberg. Wer verstehen will, was alles an der Autoindus­trie hängt, kann in Wolfsburg ins Stadion gehen oder in Stuttgart ins Krankenhaus. Das Hospital in Filderstadt einige Kilometer südlich von Stuttgart ist eins von drei Krankenhäusern mit an­thro­posophischer Ausrichtung in Deutschland. Es hält den Rekord an Entbindungen in der Region. Die Filderklinik ist eine gemeinnützige GmbH, finanziert wird sie zu wesentlichen Teilen von der Mahle-Stiftung, die ihr Geld aus den Gewinnen des Mahle-Konzerns erhält. Der Automobilzulieferer aus Stuttgart baut seit 100 Jahren das Herzstück für Verbrennungsmotoren.

Dann ist da noch das Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhaus. Mit über tausend Betten eine der größten Kliniken der Stadt. Sie trägt sich zwar selbst, aber die Robert-Bosch-Stiftung, der 92 Prozent des Autozulieferers Bosch gehören, finanziert neue Investitionen. 2013 waren es 5,3 Millionen Euro. Unstrittig ist: Die Veränderungen wären gewaltig, wenn die Automobilindustrie den Anschluss verpassen würde. Nicht jeder siebte Arbeitsplatz, wie die Automobilindustrie gern behauptet, aber doch mindestens 900.000 Arbeitsplätze hängen bundesweit an der Automobilindustrie. Und nicht nur sie wären betroffen, sondern eben auch alle Einrichtungen, die vom Erfolg der Branche bisher profitieren.

Eine Stadt wie Friedrichshafen am Bodensee ist seit Jahrzehnten daran gewöhnt, mit den zusätzlichen Millionen der Zeppelin-Stiftung zu planen. Der Stiftung gehört die ZF Friedrichshafen AG, einer der weltweit größten Automobilzulieferer. Friedrichshafen finanziert damit zum Beispiel seine städtische Bibliothek oder seine Kitas. Nicht nur die großen Autobauer wie Mercedes und Audi, auch die großen Zulieferer wie Bosch oder Continental und hunderte kleine Mittelständler, die Kabel oder andere Komponenten zuliefern, sorgen für Arbeit und Auskommen. „Gute Arbeitsplätze“ seien das, hat die Kanzlerin jüngst in der taz betont. Fast 400.000 davon allein in Baden-Württemberg. Nicht ohne Grund hat Winfried Kretschmann seinen Satz, dass weniger Autos besser seien als mehr, nie wiederholt.

All das scheint spätestens seit dem Dieselskandal unsicher geworden zu sein. Immer offensichtlicher wird, dass der Mobilitätswandel nicht vom Neckartal, sondern vom Silicon Valley vorangetrieben wird. Was, wenn der Verbrennungsmotor tatsächlich ein Auslaufmodell ist, wenn Länder wie Norwegen oder Großbritannien Ernst machen und schon bald keine Verbrennungsmotoren mehr zulassen? Es wäre bei aller Ungewissheit über die Ökobilanz eines E-Autos wohl eine gute Nachricht für das Klima. Für die Arbeitsplätze in der Autoindustrie eher weniger.

Welche Folgen der Mobilitätswandel für Arbeitsplätze in Deutschland haben könnte, das hat das ifo-Institut jüngst untersucht. Etwa die Hälfte der Arbeitsplätze könnten gefährdet sein, wenn bis 2030, dem Datum, das die Grünen im Wahlprogramm stehen haben, in Deutschland der letzte Benziner oder Diesel vom Band laufen würde. Die wachsende E-Mobilität könnte zwar einen Teil dieses Stellenverlusts kompensieren. „Dass dies aber die gleichen Beschäftigten oder Beschäftigte innerhalb der gleichen Unternehmen wären, ist unwahrscheinlich“, heißt es in der Studie. Sie wurde vom Verband der Deutschen Automobil-Industrie in Auftrag gegeben. Vielleicht zeichnet das ifo-Institut also einfach nur das gewünschte Horrorszenario. Aber andere Schätzungen gibt es derzeit nicht.

Willi Diez

„Aus einem Kfz-Mechaniker machen sie halt keinen Informatiker“

„Aus einem Kfz-Mechaniker machen sie halt keinen Informatiker“, sagt Willi Diez trocken. Im Institut für Automobilwirtschaft in Geislingen bildet Diez seit Jahren Manager aus. Diez kennt die Autokonzerne von innen, ihre komplizierten Entscheidungswege und ihre langen Innovationsprozesse. Gerade deshalb ist er skeptisch, dass diese Konzerne in dem tiefgreifenden Wandel bestehen können. E-Mobilität, autonomes Fahren, Carsharing, Datenmanagement, die Veränderung habe so viele Dimensionen, sagt er. Die Hersteller müssten sich zum Mobilitätsdienstleister wandeln. Diez glaubt nicht, dass die Milliardenkonzerne das schaffen.

Woran es im Autocluster rund um Stuttgart vor allem fehlt: Start-ups, die sich ganz grundsätzlich mit der Zukunft der Mobilität beschäftigen. Daimler hat erst 2016 damit angefangen, zusammen mit der Universität ein Gründerzentrum aufzubauen. Der Name des Clusters erinnert an den alten deutschen PS-Mythos: „Startup Autobahn“ heißt es. Bisher sind dort gerade einmal 15 Pilotprojekte vertreten.

Auch das von Fritz Kuhn seit vier Jahren grün regierte Stuttgart ist trotz regelmäßigen Feinstaubalarms bisher nicht durch innovative Verkehrskonzepte aufgefallen. Und deshalb rollte im vergangenen November noch etwas ruckelig, aber immerhin elektrisch und ohne Fahrer ein Bus namens Olli durch Karlsruhe und nicht durch die Landeshauptstadt. Testweise. Der Kleinbus, eine Art autonomes Sammeltaxi, wird auf allen möglichen Straßentypen auf Alltagstauglichkeit und mögliche Probleme getestet. Ein bundesweit einmaliges Forschungsprojekt, das die Landesregierung mit 20 Millionen fördert. Doch es gibt einen Wermutstropfen: Olli ist nicht von Daimler oder einem Karlsruher Start-up entwickelt worden, sondern kommt vom amerikanischen Hersteller Local Motors.

Die Zukunft spielt im Silicon Valley

Die Zukunft spiele eben im Silicon Valley, sagt der Autoprofessor Diez. Einen wichtiges Indiz dafür sieht er an der Börse. Hier wird die Zukunft gehandelt – oder das, was die Anleger dafür halten. Die Aktien der großen Automobilhersteller stagnieren in den letzten Jahren, beobachtet Diez, während Unternehmen wie Tesla das Geld an der Börse nur so hinterhergeworfen wird. Es könnte also sein, prophezeit er, dass den Herstellern das Geld für den Umbau ihres Geschäfts ausgeht, weil keiner mehr in die alten Strukturen investieren möchte.

„Momentan sind wir in einer komfortablen Lage. Alle Schichten sind ausgelastet, die Auftragsbücher sind voll“, sagt Wolfgang Nieke zufrieden. Er ist Betriebsrat bei Daimler Untertürkheim und sitzt als Belegschaftsvertreter im Aufsichtsrat. Dass diese gute Lage trügerisch sein könnte, dämmert der Belegschaft, die im Stammwerk mitten in Stuttgart vor allem Verbrennungsmotoren fertigt, schon seit einer Weile. Daimler will in den nächsten Jahren eine Milliarde in E-Mobilität investieren. Doch die Zentren dafür wurden bisher in China, den USA und Ostdeutschland aufgebaut. Am Standort Stuttgart sollte alles beim Alten bleiben. Bei Nieke und seinen Leuten wuchs die Sorge, dass die Entwicklung an ihnen vorbeilaufen könnte.

Der Betriebsratschef von Untertürkheim Wolfgang Nieke gibt sich erleichtert: Die nächsten zehn Jahre sehe er keine Gefahr für die Arbeitsplätze durch die E-Mobilität.

Diesen Sommer forderte die Belegschaft dann ultimativ, dass auch in Untertürkheim künftig E-Motoren gefertigt werden und dass die dafür notwendige Fortbildung der Mitarbeiter in der Arbeitszeit stattfindet. Um die Unternehmensführung unter Druck zu setzen, verweigerten die Arbeiter Überstunden. Diesen Kampf konnte die Belegschaft gewinnen. Auch in Untertürkheim werden künftig E-Motoren und Antriebskomponenten gebaut. Und zwar zu den gewohnten tariflichen Bedingungen. Der Betriebsratschef von Untertürkheim Wolfgang Nieke gibt sich erleichtert: Die nächsten zehn Jahre sehe er keine Gefahr für die Arbeitsplätze durch die E-Mobilität. Wer heute in Untertürkheim arbeite, könne dort bleiben, bis er in Rente geht.

Vielleicht ist Niekes Prognose doch etwas voreilig. Denn immerhin ist ein E-Motor viel einfacher konstruiert als ein Verbrennungsmotor. Es gibt daran weniger zu verdienen, die Wertschöpfung beträgt gerade mal ein Sechstel des Verbrennungsmotors. Das wird sich auch in der Zahl der Arbeitsplätze auswirken.

Bei Zulieferer Mahle in Bad Cannstatt haben sie sich deshalb noch lange nicht vom Verbrennungsmotor verabschiedet. Mahle baut und perfektioniert seit 100 Jahren den Motorkolben und liefert in alle Welt. In jedem zweiten Auto, egal welcher Marke, ist mindestens ein Teil von Mahle zu finden. Wenn morgen der Verbrennungsmotor ausläuft, braucht keiner mehr diese Motorkolben. Deshalb ist Mahle-Chef Scheider seit 2015 dabei, das Unternehmen massiv umzubauen. Er kauft Spezialunternehmen für E-Mobilität zu, andere Unternehmensteile, auch rentable, wurden dagegen abgestoßen. Das sorgte für Unruhe. Der Betriebsratschef beklagte sich im vergangenen Jahr: „Das Schlimme ist, wir kennen die endgültige Strategie und deren Auswirkungen auf die Standorte nicht. Wir fordern den Arbeitgeber auf, uns mitzunehmen.“

Die endgültige Strategie gibt es wohl nicht. Deshalb denkt die Chefetage von Mahle den langfristigen Ausstieg aus dem Kerngeschäft in Szenarien: Was passiert, wenn aus Sicht von Mahle der Worst Case eintritt und in Deutschland 2030 tatsächlich das letzte Auto mit Verbrennungsmotor zugelassen wird? Die Mahle-Führung gibt sich erstaunlich entspannt. Selbst dann blieben für die nächsten 20 Jahre 70 Prozent der weltweiten Antriebe in Autos Verbrennungsmotoren, erklärt Scheider. Die Schwellenländer könnten sich die Infrastruktur für E-Mobilität noch lange nicht flächendeckend leisten. Auch Lkws und Busse blieben aufgrund ihrer Lasten und Reichweiten noch lange Verbrenner.

CO2-neutrale Kraftstoffe sind noch im Versuchsstadium

Die schlechte Nachricht für das Weltklima lautet: Wenn heute im Jahr 100 Millionen Autos weltweit vom Band laufen, werden es in zehn Jahren dank der Nachfrage aus Asien und Afrika wohl 120 Millionen sein. Um die Klimaziele von Paris dennoch einhalten zu können, empfehlen sie bei Mahle, stärker auf CO2-neutrale Kraftstoffe zu setzen. Die stecken aber noch im Versuchsstadium.

Auch wegen dieser Marktprognosen halten sie bei Mahle wenig von der grünen Vorliebe für E-Mobilität. Besser sei es, findet der Chef von Mahle, wenn die Politik Grenzwerte vorgibt, nicht aber bestimmt, mit welcher Technologie man sie erreicht. Das klingt so, als hätte es einen Dieselskandal und den Betrug bei den Messwerten nie gegeben.

Wie viel Veränderungswillen hat eine Industrie, die noch immer gute Gewinne mit der alten, klimaschädlichen Technik macht und womöglich auf einen weiter wachsenden Weltmarkt setzen kann? Was ist von einer Kanzlerin zu erwarten, die sich bis vor Kurzem auf EU-Ebene gegen strengere Abgasgrenzwerte eingesetzt hat? Und was kann zum Beispiel der grüne Ministerpräsident des Autolandes Baden-Württemberg tun, um einen Transformationsprozess auf den Weg zu bringen, der das Klima schützt und gleichzeitig Arbeitsplätze sichert? Die ernüchternde Antwort lautet wohl in allen drei Fällen: wenig.

Kretschmann steigt in seinen bescheidenen B-Klasse-Daimler. Hück und Blume brausen im Porsche Panamera davon.

Ortstermin mit Ministerpräsident in Zuffenhausen im Juli. Die Porsche-Zentrale lädt Winfried Kretschmann kurz nach Beginn der politischen Sommerpause ein, um ihm das neue Entwicklungszentrum für E-Antriebe zu zeigen. Bis 2020 will Porsche mit dem 600 PS starken Modell Mission E endlich die Verfolgung von Tesla aufnehmen. Die Journalisten werden am Rohbau des neuen Werks vorbeigeführt, das eigens dafür errichtet wird. Investitionskosten: 1 Milliarde Euro.

Ingenieure in Porsche-Jacken tragen Kretschmann ihre einstudierten Präsentationen vor, Fotografen machen Bilder: E-Motor-Block mit Ministerpräsident. Die Botschaft: Porsche wird grün, der grüne Ministerpräsident soll es bezeugen. Kretschmann wirkt aber noch ein bisschen ungelenker als sonst. Dann kommen die Journalistenfragen. Es ist der Tag, an dem die Daimler-Zentrale wegen des Abgasskandals durchsucht wird. Nein, dazu wolle er nichts sagen, erklärt Kretschmann. Dann wird Porsche-Chef Oliver Blume auf die Gerüchte, dass auch Porsche betrogen habe, angesprochen. Ihm lägen dazu bisher keine Erkenntnisse vor, beteuert er, aber man kooperiere mit der Staatsanwaltschaft. Betriebsratschef Uwe Hück nickt eifrig. Dann steigt Kretschmann in seinen bescheidenen B-Klasse-Daimler. Hück und Blume brausen im Porsche Panamera davon.

Zwei Wochen später ist dann klar: Auch Porsche hat bei den Abgaswerten betrogen. Selbst der sonst so zahme Bundesverkehrsminister fühlt sich genötigt, Neuzulassungen des Porsche Cayenne Diesel zu verbieten. Anfang August präsentiert der Autogipfel in Berlin dann ein Ergebnis, das kein Experte für ausreichend hält: Ein Software-Update soll genügen, damit die bisher schmutzigen Diesel künftig die Dieselgrenzwerte einhalten. Die neue Strategie von Politik und Autobranche scheint die alte: durchwursteln und auf Zeit spielen. Keine gute Nachricht. Nicht für das Weltklima und auch nicht für die Arbeitsplätze in Wolfsburg und Stuttgart.

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