Belgischer Roadmovie "Eldorado": Das Herz der Finsternis

In Boulie Lanners Spielfilm "Eldorado" ist Belgien das Land, in dem jeder schuldig wird, selbst wenn er nur helfen will.

Wie im beinahe gleich betitelten Western "El Dorado" von Howard Hawks geht es in "Eldorado" um Saufgelage und Männerfreundschaften. Bild: kool

Belgien ist das Land des Irgendwo. Irgendwo an den Ausläufern einer Stadt, deren Namen wir nicht erfahren, lebt Yvan (Regie, Drehbuch, Hauptrolle: Bouli Lanners). Irgendwo an der Grenze zu Frankreich steht das Haus der Eltern von Elie (Fabrice Adde), der in Wirklichkeit Didier heißt. Und irgendwo dazwischen begegnen Yvan und Elie einer Reihe skurriler Figuren: Nudisten in ausrangierten Wohnwagen, betrunkenen Hellsehern und unsichtbaren Tankstellenbesitzerinnen. Wo man sich gerade befindet, weiß man in dieser Gegend nie so genau. Der Horizont erstreckt sich endlos in großzügiger Cinemascope-Fotografie, die Straßen verlaufen für Ewigkeiten schnurgerade und treffen im rechten Winkel aufeinander. Gold ist hier keines zu finden. Golden leuchtet höchstens der Raps auf den Feldern.

Der schlaksige Elie und der bärbeißige Yvan sind eines dieser unwahrscheinlichen Paare des Kinos: der eine ein abgebrannter Junkie, der behauptet, keinen Stoff mehr anrühren zu wollen. Der andere ein Automechaniker, der einen Cadillac fährt, der ständig den Geist aufgibt. Kennen gelernt haben sie sich, als Elie in Yvans Haus eingebrochen ist. Gefunden hat er dort allerdings nur ein Glas mit einer Handvoll Kupfermünzen; er sagt, er braucht das Geld, um seine Eltern zu besuchen. Aus Mitleid lässt Yvan sich überreden, ihn dorthin zu fahren. Mit dieser absurden Prämisse beginnt ein Roadmovie in einem Land, das dreihundertmal kleiner ist als die USA und mit dem Auto in einem Tag eigentlich problemlos zu durchqueren wäre.

Dass das nicht gelingt, liegt an der Trägheit von Yvan wie an der rastlosen Nervosität von Elie, der mit seiner roten Baseballmütze und dem ungepflegten Bart aussieht wie der Wiedergänger von Harry Dean Stanton in Wenders "Paris, Texas". Umwege werden zu Abwegen, Seitenstraßen zu Sackgassen. In einer Gewitternacht nach einer Autopanne finden Elie und Yvan sich unversehens auf einem Friedhof für schrottreife Campingwagen wieder. Das Versprechen von Mobilität und Freiheit rostet auf der Wiese vor sich hin.

Als vor einigen Jahren "Aaltra" in die Kinos kam, die schwarz-weiße Komödie des belgischen Komikerduos Gustave de Kervern und Benoît Delépine über zwei streitsüchtige Rollstuhlfahrer, die sich von Belgien aus auf den beschwerlichen Weg nach Finnland begeben, endete der Film mit einer Verneigung vor Aki Kaurismäki. Auch Bouli Lanners, der in "Aaltra" in einer Gastrolle als Kneipensänger zu sehen war, ist erkennbar ein Fan der lakonischen Sentenzen des finnischen Meisters der Melancholie. Dialoge beschränken sich auf kurze Repliken, werden es mehr, liegt das an der Sturköpfigkeit der Beteiligten, die jedem "Nein" ein kindisch-trotziges "Doch" entgegensetzen.

Und wie im beinahe gleich betitelten Western "El Dorado" von Howard Hawks geht es um Saufgelage und Männerfreundschaften. Nur dass Freundschaften hier rasch in die Brüche gehen und Alkohol die Menschen nicht geselliger, sondern verbitterter macht. Man sollte dem Film nicht auf den Leim gehen und ihn als tragikomisches Buddy-Movie missverstehen. Im Innern von "Eldorado" schlägt ein nihilistisches Herz: Belgien ist für Lanners das Herz der Finsternis, ein Land, in dem die Härte der Väter die Söhne in die Drogensucht treibt, in dem Hunde gefesselt von Autobahnbrücken geworfen werden und jeder schuldig wird, auch wenn er nur helfen wollte. Eine Erlösung ist nicht in Sicht. Wie sagt der verrückte Alte mit dem Stirnband zu Beginn des Films? "Ich bin der Messias; aber ich bin nicht gekommen, um mich ein zweites Mal kreuzigen zu lassen."

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