Berlin Science Week im November: Ein Kessel Buntes
Die Berlin Science Week will neue Perspektiven für die Zukunft eröffnen. Doch auch wenn es Spannendes zu sehen gibt, fehlt es an breiter Ansprache für alle.
taz | Für zehn Tage ist Berlin wieder das Zentrum der internationalen Wissenschaftsszene. Wie jedes Jahr im November bietet die „Berlin Science Week“ einen bunten Blumenstrauß an Vorträgen und Experimentalvorführungen aus allen Forschungsdisziplinen, verteilt über rund 80 Wissenschaftsinstitute in der ganzen Stadt. „Die Berlin Science Week ist ein Festival für alle Neugierigen“, sagte Organisator Christian Rauch von der privaten „Falling Walls“-Stiftung am Samstag bei der Eröffnung.
Die Stiftung hatte das Event vor zehn Jahren ins Leben gerufen, um die internationale Strahlkraft der Wissenschaftsmetropole zu stärken. „Das ist uns auch gelungen“, stellte Jürgen Mlynek fest, der frühere Präsident der Berliner Humboldt-Universität und „Erfinder“ der Science Week: „Von 35 Veranstaltungen am Anfang sind wir auf jetzt 350 Events gewachsen“. Das inhaltliche Spektrum reicht von Künstlicher Intelligenz (KI) und Teilchenphysik über Nachhaltigkeit, Gesundheit und Materialinnovation bis zu Religionsdidaktik.
Das Rahmenthema in diesem Jahr lautet „Beyond now“. „Mit dem Festivalthema fragen wir, wie Wissenschaft helfen kann, über die Krisen der Gegenwart hinauszublicken und neue Perspektiven für die Zukunft zu eröffnen“, erläuterte Rauch den Claim.
Das allgegenwärtige Thema KI wird dabei mitunter – wie am Eröffnungs-Samstag im Naturkundemuseum – von altbekannten Personen dargeboten. So hatte die ETH Zürich ihren digitalen Albert Einstein mitgebracht, dem mittels ChatGPT Laien-Fragen gestellt werden konnten. Im bequemen Sessel versuchten die Besucher dem Physik-Genie die Geheimnisse der Relativitätstheorie zu entlocken. Albert antwortete immer prompt und freundlich.
Berlins Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) zeigte sich bei der Eröffnung begeistert über die „Festspiele der Wissenschaft“, von denen sie sich wünsche, das sie einmal die Breitenwirkung der „Grünen Woche“ entfalten könnten. „Die Wissenschaften haben nicht nur eine Bringschuld, sondern in diesen uruhigen Zeiten brauchen wir sie mehr denn je“, betonte die SPD-Politierin. Der Berliner Senat fördert die Science Week mit 630.000 Euro. Im vorigen Jahr, als 35.000 Besucher gezählt wurden, gab es rund 695.000 Euro aus der Landeskasse.
Weil sich die Wissenschafts-Schau vor einigen Jahren auch der Kultur geöffnet hat, werden vermehrt Entwicklungen vorgestellt, bei denen sich Forschung und Design die Hand reichen. So zeigt das Fraunhofer-Netzwerk „Wissenschaft, Kunst und Design“ eine neue Art von „fühlenden“ Textilien. „Diese Textilien machen Schalter und Tasten in Hardware überflüssig, verschmelzen nahtlos mit Oberflächen und ermöglichen intelligente Steuerungen, wo sie gebraucht werden“, erklärt der Werkstoffwissenschaftler Lukas Werft vom Berliner Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) die Technik, die noch an der Schwelle zur industriellen Anwendung steht.
Einen besonderen Leckerbissen hält der zweite Festival-Standort am Holzmarkt bereit. Dort wird in der ersten eigenen Ausstellung der Science Week das Projekt „Korallenklang-Resilienz“ des Künstlers Marco Barotti gezeigt. Dabei handelt es sich um einen Serie von Unterwasser-Klangskulpturen, die demonstrieren, wie die Klanglandschaften aus gesunden Korallenriffen für die Erholung geschädigter Ökosysteme eingesetzt werden können. Nach Befunden der Meeresforscher gibt es dieses „Heilungseffekt“ unter Wasser tatsächlich.
Auch Berliner „Lost Places“ soll mithilfe der Wissenschaftswoche neues Leben eingehaucht werden. So wird am 4. November das Konzept des „Teufelsberg Campus“ vorgestellt, das den ehemaligen Spionagehügel aus der Zeit des Kalten Krieges in eine Plattform für Austausch, Bildung und gemeinsame Reflexion über die Vergangenheit und Zukunft der Stadt transformieren soll.
„Der Teufelsberg war schon immer ein Ort des Wandels: vom Schutthügel zur Abhörstation, vom verlassenen Gelände zum Symbol künstlerischer Freiheit“, heißt es in der Ankündigung von der Teufelsberg-Gruppe, zu der die TU Berlin und das Wissenschaftsnetzwerk „Brain City Berlin“ gehören. Nun solle der Berg, in dessen tieftstem Innern die Ruinen der Wehrtechnischen Fakultät aus dem Dritten Reich ruhen, seine Geschichte fortschreiben – „als Denkmal, das nicht nur die Vergangenheit bewahrt, sondern auch der Zukunft lauscht“.
Viel Interessantes wird also bei der 10. Science Week geboten. Dennoch lässt sie einiges vermissen. So hätte insgesamt der traditionelle Ansatz der Wissenschaftskommunikation, der immer noch von der „Schaufenster-Funktion“ ausgeht, im Jubiläumsjahr auf ein neues Level gehoben werden können. Tatsächlich stößt dieses Modell derzeit an seine Grenzen, weil praktisch nur die ohnehin an Wissenschaft interessierten Menschen für Events dieser Art erreicht werden.
Dazu zählt auch die „Lange Nacht der Wissenschaft“ im Frühsommmer, die ebenfalls rund 35.000 Besucher zählt. Die Aufgabe wäre gewesen, mit neuen Ansätzen der Partizipation neue Bevölkerungsschichten zu erschließen, die der Wissenschaft bisher desinteressiert oder ablehnend gegenüberstehen. In Zeiten des wachsenden Rechtspopulismus wäre eine solche Kommunikationsrichtung „raus aus dem Silo“ zudem demokratiestärkend.
Ebenfalls unterentwickelt ist bei der Science Week der Praxistransfer in die Wirtschaft. Im dritten Jahr der Wirtschaftskrise, in der Deutschland weiterhin durch eine unterentwickelte Innovationskraft nicht zu wirtschaftlichem Wachstum kommt – was auch der Bundeskanzler gerade beim Start der „Hightech Agenda Deutschland“ angemahnt hatte – wäre ein konzentrierter Ansatz einer „Science and Innovation Week“ oder ein dritter „Innovation Campus“ – etwa in Adlershof – passend gewesen. Wissenschaft soll den Menschen und der Gesellschaften nützen. In der hiesigen Wirtschaft werden diese Kompetenzen derzeit am dringendsten gebraucht.
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