Berlinale Wettbewerb „Eldorado“: In den Augen Zorn und Stolz

Markus Imhoof hat einen filmischen Essay über Flüchtlinge in Europa gedreht. „Eldorado“ handelt auch von der Ökonomie der Flucht.

Geflüchtete sitzen in roten Rettungswesten auf einem Boot

Diese Flüchtlinge haben die Überfahrt überlebt Foto: Berlinale

Es ist ein trauriger, humanistischer, nachdenklicher und ruhiger Film, den der Schweizer Filmemacher Markus Imhoof gedreht hat. Und es ist bezeichnend für diese Doku, die als filmisches Essay vielleicht besser beschrieben wird, dass ihre traurigste Szene vollkommen unspektakulär ist. In Chiasso begleitet die Kamera schweizerische Grenzpolizisten, die aus Italien kommende Zugreisende nach ihren Pässen fragen. Einige von ihnen haben keinen. Sie haben ihr Leben riskiert, um das Mittelmeer zu überqueren. Jetzt wollen sie weiter nach Norden.

In den Räumen der Polizei eine afrikanische Familie, Vater, Mutter, zwei Kinder. Sie stehen hinter einem Tisch, darauf ihre wenigen Habseligkeiten. Die Kamera blickt in das Gesicht des älteren Mädchens, vielleicht ist sie acht oder zehn. Sie begreift die Situation genau, man sieht es in ihren Augen. Ein Polizist stellt Wasserflaschen und legt Schokoriegel auf den Tisch, eine kleine Geste. Die Kamera wendet sich den Polizisten zu. Es ist klar, die Familie muss nach Italien zurück, da gibt es einen Knall. Das Mädchen hat Wasser und Schokolade vom Tisch gefegt. In ihren Augen Zorn, Stolz, Verzweiflung. Die Mutter umarmt das Kind. Der Polizist wirkt hilflos. Niemand sagt etwas.

„Eldorado“ heißt Imhoofs Film. So richtig passt der Titel nicht, obwohl es ihm unter anderem um die Ökonomie der Migration geht. Er beginnt mit einem Gottesdienst auf dem italienischen Marineschiff San Giusto. Imhoof zeigt, wie die Soldaten Menschen aus Booten fischen. Sie sind sehr höflich und sprechen die Frauen mit Madame an. Es gibt medizinische Erstuntersuchungen, Notfälle werden sofort behandelt.

Imhoff erzählt von sich selbst

Die filmische Reise geht in Italien weiter, sie führt in Erstaufnahmelager und in ein sogenanntes Getto, in dem Menschen ohne Papiere unter mehr als problematischen Bedingungen leben müssen. Die Mafia vermittelt die Männer in die Landwirtschaft, die Frauen werden zur Prostitution gezwungen. Wer Menschen unsichtbar macht, liefert sie der organisierten Kriminalität aus. So einfach ist das, aber noch lang nicht alles.

Die Arbeiter schicken Geld nach Afrika, die Bauern Tomaten. Mit dem Geld werden dann Tomaten gekauft

Ein Aktivist erklärt die Rolle der Illegalen im herrschenden System: Sie arbeiten für italienische Landwirte, die, von der EU subventioniert, Tomaten anbauen. Die Hälfte des Tageslohns kassiert der Kapo. Die Arbeiter schicken Geld zu ihren Familien nach Afrika, die Italiener exportieren Tomaten dorthin. Von dem Geld aus Europa kaufen Afrikaner dann Tomaten in Dosen.

24. 2., 9:30 Uhr, Zoo Palast 1; 24. 2., 22:30 Uhr, International

Imhoof erzählt in „Eldorado“ auch über sich selbst. Als Kind liebt er Giovanna, die als italienisches Kriegskind zeitweise von seiner Familie in der Schweiz aufgenommen wird. Das Arrangement ist Teil eines Flüchtlingsdeals mit den Faschisten. Für jedes jüdische Kind, das Italien in Richtung eines Hafens durchquert, müssen die Schweizer drei Kriegskinder beherbergen.

Der Regisseur spricht Giovanna aus dem Off an: „Es gab keine Rationierungskarten für Flüchtlinge. Wir mussten mit dir teilen.“ Man hört, er hat es gern getan.

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