Berliner Mauer: Der Westen mitten im Osten

Zehn Exklaven hatte Westberlin auf dem Gebiet der DDR. Doch Steinstücken war die einzige bewohnte. Einen freien Zugang gab es erst elf Jahre nach dem Mauerbau.

Wer zu Zeiten der Teilung einen Westberliner Stadtplan zur Hand nahm, staunte nicht schlecht. Nicht nur der amerikanische, der britische und der französische Sektor waren darin eingezeichnet, sondern auch die Westberliner Exklaven auf dem Gebiet der DDR. Die hatten teilweise exotische Namen wie "Wüste Mark", "Kuhlaake" oder "Laszins-Wiesen". Die berühmteste Exklave war allerdings Steinstücken. Als einzige der zehn Westberliner Inseln in der DDR war sie bewohnt. Das machte Steinstücken auch zum Streitobjekt zwischen den Besatzungsmächten.

Als am 9. November 1989 die Mauer fiel, war für die Bewohner von Klein-Glienicke und Steinstücken nicht nur die Zeit der deutschen Teilung zu Ende, sondern auch eine Zeit der Absurditäten. Beide wohnten in einer Exklave, die auf dem Gebiet der jeweils anderen Seite lag: Klein-Glienicke im Westen, Steinstücken im Osten. Heute ist von dieser Absurdität, wie auch vom Rest der Mauer, nur noch wenig zu sehen.

Dafür wird am heutigen Tag wieder kräftig gefeiert. In der Gedenkstätte Bernauer Straße werden unter anderen Klaus Wowereit und Matthias Platzeck an das historische Ereignis erinnern. Bereits gestern präsentierte Kulturstaatssekretär André Schmitz Infostelen, die künftig den Verlauf der Berliner Mauer verdeutlichen sollen. TAZ

In einer Ausstellung des Heimatmuseum Zehlendorf erfährt man, dass die DDR am 18. Oktober 1951 sogar versucht hatte, Steinstücken zu annektieren. Doch das stieß nicht nur auf den Widerstand der 200 Bewohner, sondern auch der Vereinigten Staaten von Amerika. Als Reaktion auf das Einschreiten der US-Truppen reagierte die DDR mit einer weiteren Verschärfung der Situation. Besuchern aus den drei Westsektoren war fortan nur noch die Einreise nach Ostberlin, nicht aber in die DDR gestattet. Steinstücken war damit von Westberlin abgeriegelt. Um den Bewohnern der Exklave wenigstens den Zugang nach Kohlhaasenbrück in Zehlendorf zu ermöglichen, richtete das Bezirksamt Zehlendorf eine ständige Außenstelle in der Bernhard-Beyer-Straße 10 ein. Dort wurden die nötigen Passierscheine ausgestellt.

Noch dramatischer waren die Monate nach dem Bau der Mauer am 13. August 1961. Nun war Steinstücken bevorzugter Fluchtort für DDR-Bürger. Anders als an den Westberliner Außengrenzen war die Exklave nur mit Spanischen Reitern - spitzenbewehrten Barrieren - gesichert. Doch nach der Flucht von 20 Grenzsoldaten ließen die DDR-Behörden auch um Steinstücken eine Mauer bauen. Damit war auch der Zugang der Steinstückener nach Zehlendorf gekappt. Auch das wieder ein Fall für die Westberliner Schutzmacht. Nachdem er einen militärischen Durchbruch kurzfristig abgesagt hat, flog US-General Lucius D. Clay am 21. September 1961 mit dem Hubschrauber nach Steinstücken. Kurzerhand wurde auf dem Westberliner Vorposten ein Hubschrauberlandeplatz gebaut und ein ständiger Militärposten errichtet.

Dass sich die Mächte des Kalten Krieges nicht nur am Checkpoint Charlie, sondern auch im Südwesten Berlins gegenüberstanden, ging - wie in Klein-Glienicke - auch in Steinstücken auf die Zeit der Bildung der Großgemeinde Berlin 1920 zurück. Steinstücken, ursprünglich eine Feldmark des Dores Damsdorf, wurde nach dessen Zerstörung durch eine Feuerbrunst von Bauern aus dem Dorf Stolpe bestellt. "So kam es, dass Steinstücken als ein Flurteil des Dorfes Stolpe, später Wannsees galt", schreibt Gabriele Leech-Anspach in ihrem Buch über die Exklave. 1920 wurde Steinstücken nach Berlin eingemeindet, zwei Jahre später wurde es Ortsteil von Zehlendorf. Drum herum lagen die Gemarkungen des Regierungsbezirks Potsdam.

Der Entwicklung Steinstückens zur Berliner Villenkolonie tat das keinen Abbruch. Der wohl bekannteste Steinstückener war bereits vor der Eingemeindung vor die Tore Zehlendorfs gezogen. Es war der Architekt Peter Behrens, der 1907 von Düsseldorf nach Berlin kam, um dort als künstlerischer Berater für die AEG tätig zu werden. Das Haus, das er für sich und seine Familie suchte, fand er im "Erdmannshof", einer Villa mit Park, die der berühmte Architekt der AEG Turbinenhalle und der "Behrensbauten" am Alexanderplatz bis 1927 bewohnte.

Heute findet man in Steinstücken keinen Hinweis mehr auf den Erdmannshof. Die Kriegsruinen wurden nach der Wende abgerissen, das Gelände parzelliert. Steinstücken ist wieder eine beliebte Wohnsiedlung. Die Zahl der Bewohner hat sich mit 400 im Vergleich zu vor 1989 fast verdoppelt. Aber auch die Grenzlage ist nur noch schwer auszumachen. Außer einem Schild "Landeshauptstadt Potsdam" weist nichts darauf hin, dass man sich hier nach wie vor auf Zehlendorfer Gebiet befindet. Überhaupt war die Zeit des Mauerfalls für die Steinstückener nicht das bedeutendste Datum der Geschichte, wie Klaus-Peter Laschinsky, der Ausstellungsmacher im Zehlendorfer Heimatmuseum, weiß. Für die Bewohner der Exklave sei die Mauer schon 1972 aufgegangen.

Tatsächlich war 1972 für die Steinstückener so etwas wie eine Wiedervereinigung mit Westberlin. Im Zuge der Entspannungspolitik gewährte die DDR den Bau eines Korridors. Die Mauer lag nun nicht mehr zwischen Berlin und Steinstücken, sondern rechts und links der Zufahrt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.