Berliner Stadtschloss: Ein Schlossherr für alle

Anderthalb Jahre nach seinem Jobantritt füllt der Gründungsintendant des Humboldt Forums Neil MacGregor sein Projekt zum ersten Mal mit Ideen.

Very british: Der Museumsstar Neil MacGregor Foto: dpa

Ein Kosmopolit, ein Museumsstar! So british, so witzig und bescheiden! Als im Frühjahr 2015 bekannt wurde, dass der bisherige Leiter des British Museums, Neil MacGregor, Gründungsintendant des Humboldt-Forums wird, waren die Seufzer der Erleichterung groß in Berlin. Endlich einer von außen, dem man zutraute, sich über die verhärteten Fronten zwischen Schlossfans und -hassern hinwegzusetzen. Endlich einer, der die Kompromisslösung Humboldt- Forum, dieses monströse „Von allem irgendwas“, das es bisher werden wollte, mit echten Inhalten versehen wird.

Erst jetzt, gut anderthalb Jahre später, deuten sich erste Umrisse an, was denn das für Inhalte sein könnten, mit denen der 70-jährige Schotte das Humboldt-Forum ab 2019 füllen wird. Im Martin-Gropius-Bau ist derzeit seine Ausstellung „Erinnerungen einer Nation“ zu sehen – eine Schau, die einem Buch MacGregors über die Deutschen zugrunde liegt, in dem er große Geschichte jenseits aller Klischees an Phänomenen aus Alltags- wie Hochkultur erzählt.

Anfang November wurde seine erste Ausstellung in der Humboldt-Box eröffnet, „Extreme – Natur und Kultur am Humboldtstrom“: Es geht um die Idee Alexander von Humboldts, Natur und Mensch zusammen zu denken, über alle Disziplinen hinweg – und darum werden in der kleinen, intelligenten Ausstellung Objekte aus wissenschaftlichen Sammlungen des 19. Jahrhunderts in den Kontext von Erkenntnissen der heutigen Umweltforschung gestellt.

Und nun, am vergangenen Montagabend, machte MacGregor noch einmal deutlich, wohin die Reise mit ihm noch gehen könnte. In einem Gespräch mit Andrea Wulf, die eine ebenso erfolgreiche wie euphorische Biografie über Alexander von Humboldt geschrieben hat, legte er dar: Humboldt ist nicht nur der Namensgeber, sondern eine Inspiration, ein Kompass für sein Projekt.

Im Jahr 2019 soll das Humboldt-Forum eröffnet werden. Die Zeit bis dahin wird durch öffentliche Veranstaltungen und Ausstellungen in der Humboldt-Box überbrückt, die sich nur ­einen Steinwurf entfernt befindet, Schlossplatz 5.

Bis 26. Februar 2017 läuft in der Humboldt-Box die von Neil MacGregor mitkuratierte Ausstellung „Extreme! Natur und Kultur am Humboldtstrom“. Der Eintritt ist für alle Besucher frei.

Außerdem ist bis 9. Januar 2017 im Martin-Gropius-Bau Neil MacGregors Ausstellung „Der Britische Blick: Deutschland – Erinnerungen einer Nation“ zu sehen.(sm)

Über alle Disziplinen hinweg

Wie bei Humboldt wird es hier darum gehen, erstens Kontexte herzustellen, zweitens über alle Disziplinen hinweg zu denken – und drittens zu demokratisieren, also auch Menschen ins Boot zu holen, die sonst schon bei der Vorstellung, ein Museum zu betreten, zum großen Gähnen ansetzen.

Alexander von Humboldt, so erklärt MacGregor bereits in der Einleitung der voll besetzten Veranstaltung im Kronprinzenpalais, war ein Universalgelehrter, der in alle Richtungen dachte und daher Zusammenhänge sah wie keiner vor ihm. So war er zum Beispiel der Erste, der das Ökosystem dachte.

Humboldt ist eine Inspiration, ein Kompass für sein Projekt

Die Ausführungen Wulfs machen es plastischer: Humboldt erkannte bei seiner Reise durch Lateinamerika zum ersten Mal die klimatische Funktion des Waldes. Rund um den Valenciasee in Venezuela hatten Plantagenbesitzer Wälder gerodet, sodass sich keine Quellen mehr bilden konnten. Humboldt war ein Vordenker der Umweltbewegung und geht deshalb alle an, sagt Wulf – und MacGregor nickt begeistert mit dem Kopf.

Museen sind für alle da

Es geht an diesem Abend um nicht weniger als darum, was Museen heute sein müssen: kein Ort für Eliten mehr, kein Ort, an dem Vergangenes konserviert wird, sondern ein Ort, der offen ist für alle, da an ihm die Gegenwart vermessen wird.

So ist es auch kein Wunder, dass MacGregors ohnehin gut durchblutete Wangen im Laufe des Abends immer röter werden, als Wulf von Humboldt erzählt: wie sehr er an den freien Austausch der Informationen glaubte, dass er anders als damals üblich keinen Eintritt bei seinen Berliner Kosmos-Vorlesungen verlangte und von Adligen wie Zimmermännern gehört wurde, dass außerdem die Hälfte seines Publikums weiblich war.

Es ist bekannt, dass Neil MacGregor ein Angebot des Museums of Modern Art zugunsten des Humboldt-Forums ausschlug, weil er hier anders als dort keinen Eintritt verlangen muss. Er plant sogar, mit einzelnen Objekten in andere Bezirke der Stadt zu gehen, um sie den Kiezbewohnern nahezubringen – in den neugierigen Dialog mit einer Stadtbevölkerung zu treten, wie es vielleicht wirklich nur einer kann, der all den Zwist um das Schloss nicht miterlebt hat.

Gefühl und Phantasie

Da ist aber auch noch ein weiterer Aspekt, der sich an diesem Abend herauskristallisiert. Neil MacGregor wird besonders auch an jenen Stellen hellhörig, wo Humboldt von seiner Biografin als Romantiker beschrieben wird, als ein Mann also, der dachte, dass man die Natur nicht nur wissenschaftlich, sondern auch mit den Gefühlen und der Fantasie erfassen muss.

Gefühle? Fantasie? Hätte man je gedacht, solche Worte einmal im Zusammenhang mit einem Bau wie dem Berliner Stadtschloss zu hören? So oder so: Wer diesen Abend im Kronprinzenpalais erlebt hat, der hat vielleicht zum ersten Mal das Gefühl, dass doch noch alles gut wird. Vielleicht kehren nun doch Ideen ein in dieses verminte Haus.

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