Berlins Parteien eine Woche vor der Wahl: Kampf um Nuancen

Das Rennen ist noch längst nicht gelaufen: Schon zwei Prozentpunkte Unterschied können die Landespolitik in den nächsten Jahren entscheidend beeinflussen.

Plakate in den Straßen

Wen soll man da nur wählen…? Foto: dpa

Eine Woche haben die Wahlkämpfer der Parteien noch Zeit, die Berliner von ihren jeweiligen Positionen zu überzeugen – und sie tun gut daran, diese Zeit zu nutzen. Denn auch wenn auf Bundesebene die Trends klar sind und Angela Merkel samt CDU uneinholbar davongeeilt ist: In Berlin geht noch viel, und es geht auch noch um viel. Verschiebungen von nur ein oder zwei Prozentpunkten im Endergebnis können durchaus ernste Folgen haben für die Landespolitik.

Da sind zuallererst Michael Müller und die SPD, die zittern müssen – was letztlich auch die Koalitionspartner Linkspartei und Grüne zittern lässt. Bei der Abgeordnetenhauswahl im September 2016 hatte Müller mit 21,6 Prozent das schlechteste Ergebnis seiner Partei in der Nachkriegszeit eingefahren. Vor einem Jahr hatte der Regierende, der sich nur wenige Monate zuvor an die Parteispitze geschoben hatte, die Niederlage noch damit zu kaschieren versucht, dass die SPD wenigstens stärkste Partei geblieben war.

Am 24. September wird das ziemlich sicher nicht passieren: Die CDU liegt in Umfragen für die Bundestagswahl seit Langem deutlich vorn. Ihr werden zwischen 26 und 30 Prozent vorhergesagt, der SPD um die 20 Prozent. Mit einem solchen Ergebnis könnte Müller sogar leben. Aber was, wenn die Sozialdemokraten am 24. September unter die symbolisch für sie so wichtige Marke von 20 Prozent fallen? (Wobei man vergessen sollte, dass vor einigen Jahren diese Marke noch bei 30 Prozent lag, aber das ist eine andere Geschichte).

So ein Absturz ist möglich: Er liegt im Fehlerbereich der Umfragen und im Wahrscheinlichkeitsbereich der SPD. Und es könnte noch schlimmer kommen – wenn die Sozialdemokraten eines ihrer nur noch zwei Direktmandate verlieren. Das Rennen in Neukölln zwischen SPD und CDU ist denkbar knapp. Nur Eva Högl in Mitte scheint sicher ihr Mandat zu verteidigen.

Sollte die rot-rot-grüne Koalition zudem den parallel stattfindenden Volksentscheid über die Offenhaltung des Flughafens Tegel verlieren, wird Müller parteiintern massiv unter Druck geraten. Die Doppelniederlage wäre für Müllers Kritiker ein Beleg dafür, dass die bundesweit erste rot-rot-grüne Koalition unter SPD-Führung dem größten Partner nichts bringt und die sowieso schon dramatische Lage der Sozialdemokraten in jener Stadt, in der Willy Brandt Regierender Bürgermeister war, noch verschlimmert.

Relativ entspannt kann die Linke der Wahl entgegenblicken. Im Vergleich zur Abgeordnetenhauswahl 2016 dürfte sie etwas zulegen. Laut einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage von infratest dimap könnte sie mit 18 Prozent knapp hinter der SPD (19 Prozent) landen.

Die Grünen aber können vielleicht nur drei statt wie bisher vier Berliner Abgeordnete in den Bundestag schicken. Sie liegen bei gut 10 Prozent. Sollte Canan Bayram das Direktmandat in Friedrichshain-Kreuzberg verteidigen, könnte der dritte Platz auf der Landesliste zu wenig sein für Exbundesministerin Renate Künast. Für die AfD wurden 12 Prozent errechnet, für die FDP 7 Prozent und für die CDU 26 Prozent.

Zwar ist kein Putsch in der Partei zu erwarten; auch die Koalition steht vorerst nicht zur Diskussion, denn es gibt aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Abgeordnetenhaus keine realistischen Alternativen. Aber bei Linken und Grünen fürchtet man um die Souveränität Müllers innerhalb der Dreierkonstellation, um die es schon in den ersten Monaten des Bündnisses nicht gut bestellt war, was intern auf die Stimmung drückte und die Handlungsfähigkeit der Koalition einschränkte.

Ein erneuter Dämpfer der Wähler für die größte Regierungspartei würde die inzwischen weitgehend solide arbeitende Koalition aus SPD, Linker und Grünen wieder ins Wanken bringen. Denn Müller müsste stärker als bisher auf eine Profilierung der SPD-Senatoren und -Inhalte achten, wohingegen die Juniorpartner stets auf eine Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“ pochen.

Michael Müller

Wird er nach dem 24. September noch lächeln können? Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) Foto: dpa

Es könnte am 24. September aber alles auch ganz anders kommen. Vielleicht wird dieser Tag als erster richtig großer Erfolg von R2G in die Berliner Geschichte eingehen und den Grundstein bilden für die folgenden vier Jahre zukunftsweisender Politik.

Dafür würde wohl schon reichen, dass die Berliner mehrheitlich Nein zu Tegel sagen – ein Ergebnis, von dem vor den Sommerferien im Senat niemand auch nur träumen wollte. Nun deuten die letzten Umfragen auf einen langsamen, aber nachhaltigen Stimmungsumschwung hin.

Dieser stützt sich auf prominente Stimmen aus der (laut Mitgliederbefragung eigentlich pro Tegel eingestellten) CDU, die sich aus ökonomischen Gründen gegen einen Weiterbetrieb aussprechen, sowie auf Juristen aus allen politischen Lagern, die es für fast ausgeschlossen halten, dass rechtlich ein Weiterbetrieb von Tegel parallel zum BER möglich wäre. Auch die Argumente des Senats (etwa die Lärmbelastung von 300.000 Anwohnern) dringen so langsam durch.

Abstimmungszettel

Achtung, nicht dem Pfeil folgen und bei „Nein“ kreuzen Foto: dpa

In einer am vergangenen Mittwoch veröffentlichten Umfrage von infratest dimap sprechen sich 55 Prozent der Befragten für einen Weiterbetrieb Tegels aus. Das ist zwar weiterhin eine Mehrheit, aber es sind auch 14 Prozentpunkte weniger als bei der Umfrage im Mai. Gleichzeitig stieg die Zahl derjenigen, die den alten Airport lieber geschlossen sehen würden, von 27 Prozent im Mai auf nun 39 Prozent. Da ist also noch alles drin.

Dieser Text ist Teil des aktuellen Wochenendschwerpunkts der Printausgabe der taz.berlin. Darin außerdem: Wer hat welche Chancen aufs Direktmandat? Und ein Interview mit Bewegungsforscher Dieter Rucht.

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