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Beziehungsunfähige GenZ? Resilienzen und Romanzen

GenZ und die Liebe – es ist kompliziert: Mira will sich nicht binden. Und Autor Aron hat sich schon gebunden. Aber nicht romantisch. Er weiß es nur noch nicht.

„Liebe“ muss nicht immer zwangsläufig romantisch konnotiert sein Shaira Dela Peña/Unsplash

taz FUTURZWEI | Der Sommer in Berlin fängt genau dann an, als Mira mir sagt, was Sache ist.

Und ich frage: »Also, wir können, wenn wir wollen, auch andere Leute treffen und machen, was wir wollen und sehen uns dann einfach Sonntag nächste Woche?«

»Ja.«

»Ich frage das ja auch nur, um zu wissen, ob das auch für dich okay ist.«

»Sonst hätte ich es ja nicht vorgeschlagen.«

»Ok!«

Eine Stunde später stehe ich heulend mit meiner Reisetasche in Berlin-Mitte, klingele bei meinen Freunden Jakob und Maik und erzähle, was los ist: Ich habe gerade keine Wohnung, da mein Vermieter die für sich braucht und weil ich eigentlich diesen Sommer hauptsächlich reisen wollte, dachte ich. Für die paar Berlin-Besuche könnte ich ja immer bei Mira schlafen.

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Doch daran ist jetzt nicht zu denken. Und auch nicht an die Reise und auch an sonst nichts, weil ich nur noch an Mira denke – und an das, was war. Wir haben uns im Frühjahr kennengelernt und ab da alles zusammen gemacht. Wir waren auf Demos und Campen und haben super viele Partys gefeiert und Sex gehabt. Und ich dachte, dass wir vielleicht ruhiger werden, es aber so mit uns weitergeht und wir irgendwann ein Kind haben und an Weihnachten zusammen mit dem ICE zu ihrer Familie fahren, weil ich mein Auto aus lauter Liebe endlich verkauft habe. Aber jetzt ist Sommer und ich habe keine Ahnung, was Mira will. Ich weiß nur, dass sie mich nicht will.

»Ach, Mann«, sagt Maik, und er und Jakob nehmen mich in den Arm. Dann gehen wir gemeinsam aus, trinken, später weine ich ein bisschen und schlafe bei den Beiden auf der Couch.

Die ersten Abende meiner Ablenkungskur laufen größtenteils nach diesem Muster ab: Tagsüber liege ich nur in der Wohnung herum und höre laut Indie-Pop-Songs, die ich zu meiner Situation passend finde. Doch eines Morgens setzt sich Jakob plötzlich zu mir an die Couch.

»Wenn ich in dieser Wohnung noch ein scheiß Tocotronic-Lied höre, musst du gehen«, sagt er bemüht ruhig.

»Aber nur so kann ich nachdenken!«, entgegne ich echauffiert.

»Worüber denn?«

So richtig weiß ich das auch nicht. Über meine Situation? Darüber, dass ich keine meiner toll geplanten Reisen antreten kann, weil ich Berlin jetzt bloß nicht verlassen darf, weil das irgendwie auch eine endgültige Absage an die Sache mit Mira wäre.

Dieser irre Mist, den man sich eben erzählt, wenn man unglücklich verliebt ist. Aber die Erkenntnis soll erst später kommen. Jetzt, mitten im Sommer, klammere ich mich noch an folgendem Gedanken fest: Okay, Mira und ich sind kein Paar, wir steuern auf nichts hin, sagt sie, aber da ist nicht nichts. Und so lange nicht klar ist, was nicht nichts ist, habe ich Hoffnung.

»Die Abhängigkeit, die Mira in romantischen Beziehungen fürchtet, haben wir als Freunde längst.«

Sie kann sich vielleicht einfach noch nicht entscheiden, denke ich. Verständlich, die größte Sorge unserer Generation liegt laut Trendstudien schließlich darin, die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Dass man sich jemandem anvertraut, man investiert, sich verletzbar macht, aber dann doch merkt, dass das keine gute Idee war. Mira kam aus einer langen Beziehung, genau wie ich auch. Sie hatte Angst, sich zu committen, sich zu stressen und ich habe mich eigentlich ziemlich schnell in sie verliebt, und wusste nie, womit diese Angst begründet war. Aber niemand erklärt uns die Angst vor der Liebe, habe ich ihr dann einmal gesagt, und als sie nicht so richtig reagierte, sagte ich noch: »Das ist von Jörg Fauser.«

»Keine Ahnung, wer das ist, aber das ist einfach kitschig«, antwortete sie.

»Aber das zeigt nun einmal deine viel zu romantische Art«, sagt Maik, als er mir eines Abends eine Tasse Tee bringt, ich ihm ungefragt davon erzähle und er dann schnell in seinem Zimmer verschwindet.

Mira und ich haben uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht wiedergetroffen, da ich darauf warte, dass sie sich meldet. Bis dahin gucke ich hin und wieder auf ihr Instagram-Profil, ob sich da was verändert. Währenddessen schlägt mir der Algorithmus schon seit Tagen vermeintlich hilfreiche Artikel verschiedener Zeitungen vor:

Sind wir jetzt eigentlich zusammen?

Wir wissen alle nicht, wie Beziehung geht

Wir können unseren Herzschmerz abschwächen

Und: Warum bleibe ich in einer Beziehung, die nicht guttut?, lese ich. Dann schließe ich die App. Was mache ich hier eigentlich?

Wieso kann mich die kleinste Disharmonie in einer romantischen Beziehung sofort durchdrehen lassen, während das in freundschaftlichen Unklarheiten ganz anders ist? Wenn ich jetzt darüber nachdenke, ist das so, seitdem Natalie mir im Kindergarten mitteilte, dass sie künftig zur Schule gehen müsste und zu alt für mich sei. Damals haben Felix und ich uns als Ritter verkleidet, heute gehe ich mit Maik und Jakob stundenlang spazieren oder Bier trinken. Trotzdem treibt mich das Warten im romantischen Hin und Her immer wieder auf den Gipfel der Verzweiflung. Ich habe in den letzten Jahren viel aus Erfahrungen gelernt. Aber in puncto Romantik habe ich noch immer die Ambiguitätstoleranz einer ausgemergelten Laborratte auf Speedentzug.

Als ich im Dunkeln meine Teetasse zur Küchenspüle bringe, stolpere ich über den Berg von Liebesbüchern, die ich in der letzten Zeit alle nicht gelesen habe, weil mir der Titel Alles über Liebe der amerikanischen Autorin bell hooks eigentlich gleich am brauchbarsten erschien. Da bin ich dann auf einen Satz über Freundschaft gestoßen: »In einer Freundschaft ist ehrliches, kritisches Feedback möglich, wir vertrauen darauf, dass Freunde unser Bestes wollen.« Und ich denke an die letzten Tage und daran, wie Maik und Jakob mich ziemlich schnell aus meinem selbst angelegten Selbstmitleidssumpf und von der Couch nach draußen zerrten.

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Das 1,5 Grad-Ziel ist verloren, das 2 Grad-Ziel wohl auch. Braucht es einen Strategiewechsel und wie sieht der aus?

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»Ich habe keine Zeit, mit euch abzuhängen, ich hab zu viel zu tun«, versuchte ich mich anfangs noch zu wehren.

»Shut up, Darling«, sagte Maik zärtlich. »Wir haben auch ständig zu tun, aber es geht ja darum, sich bewusst Zeit zu nehmen, ok?«

Und nach ein paar Wochen geht es mir wirklich besser, obwohl ich dachte, dass das unmöglich sei.

Seltsamerweise habe ich Maiks Ansage nie als übergriffig empfunden, genauso wenig wie Jakobs Tocotronic-Verbot oder die Challenge, nur noch einmal pro Woche eine Nacht auf Drogen durchzutanzen, um mich abzulenken. Ich machte alles mit in dem Wissen, mich vor den beiden nicht ewig wie so eine schwer aushaltbare Mischung aus H. P. Baxxter und dem depressiven Esel aus Winnie Puuh aufführen zu können. Klar, ich hätte auch fliehen können – aber das wollte ich nicht. Und die beiden wollten das auch nicht, denke ich. Wozu sonst die vielen Interventionen und Gespräche?

Die Abhängigkeit, die Leute wie Mira in romantischen Beziehungen fürchten, haben wir als Freunde längst. Zwar weiß ich auch hier nicht, wieso ich mich da hineinbegeben habe – man kalkuliert ja am Anfang einer Freundschaft wie auch beim Verlieben nicht, was einem das Ganze später einmal bringen wird. Nur ist das alles vermutlich deswegen weniger gruselig, weil man diese Abhängigkeit fern von sexuellen Trieben oder romantischen Konventionen ja irgendwie selbst wählt. Während Verliebte aus Harmoniebedürfnis oder Angeturntheit viele Nervereien des Partners einfach hinnehmen, merken nicht miteinander schlafende Freund:innen viel schneller, dass dieses Spiel bescheuert ist – weil niemand gern mit Leuten abhängt, die einem nichts Gutes für die eigens investierte Zeit zurückgeben, denke ich noch auf der Straße und kaufe beim nächsten Späti eine Flasche Sekt für alle.

Inzwischen ist es Spätherbst.

Mir geht es deutlich besser. Aber weil es jetzt Jakob ist, der in kürzester Zeit verlassen wurde, jemand Neues kennenlernte und nun wieder Liebeskummer durchmacht, sitzen wir im Regionalzug und fahren ans Meer. Das war Maiks Idee. Er kommt von der Küste und immer, wenn ihm die Selbsthilferatschläge ausgehen, setzt er sich an den Strand.

Maik und ich liegen auf einem Handtuch, während Jakob hinter uns ziemlich aufgeregtes Zeug in sein Handy spricht. Die gesamte Zugfahrt hatte er traurig aus dem Regionalzugfenster gesehen, doch nun klingt er total aufgekratzt, als er sagt:

»Ich habe keine Ahnung, was das mit mir und Jennifer wird, aber vielleicht treffen wir uns Dienstag!«

»Da treffe ich Mathilda!«, sage ich fröhlich.

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Ach ja, das habe ich ganz vergessen: Kurz vor der Fahrt ans Meer habe ich in einer Bar Mathilda kennengelernt – und sie ist super! Als ich ein paar Tage vorher meine Bücher neben der Couch zusammengepackt und noch einmal darüber nachgedacht habe, wieso die ganze Pop- und Ratgeberkultur eigentlich viel mehr auf romantische als auf freundschaftliche Beziehungen abfährt, bin ich auf ein Interview mit der Philosophin Sabine Hohl gestoßen. Hohl spricht da zum einen über die institutionelle Ungleichberechtigung von romantischer Liebe und Freundschaft und später auch darüber, dass vieles entspannter wäre, wenn man Freundschaften den gleichen Stellenwert geben würde wie romantischen Beziehungen. Einfach, weil die meisten Leute sich mit der Suche nach dem richtigen Partner extrem stressen würden, der alles abdecken müsse. Wenn die romantische Beziehung scheitere, dann sei das oft eine Katastrophe. Die Pflege eines Netzes aus nahestehenden Personen mache uns dagegen resilienter, wenn Lebensumstände sich verändern.

Daran muss ich denken, während Jakob und ich uns in Sachen Romantik updaten.

»Irgendwie bin ich voll aufgeregt!«, sagt Jakob.

»Ich auch!«

»Wie wär’s eigentlich, wenn ihr beide euch mal eine Weile nicht nur auf Romantik konzentriert?«, unterbricht uns Maik.

Draußen wird es jetzt schon früh dunkel, der Herbst geht auch schon wieder zu Ende. Ich fühle mich sehr verliebt in Mathilda und denke daran, dass Maik damals am Strand vor irgendetwas gewarnt hat. Nur fällt mir einfach nicht ein, was er gesagt hat.

Aber egal. Falls es hart auf hart kommt, wird er da sein und es mir ein weiteres Mal sagen.

Modern Love ist eine wunderbare Rubrik in der New York Times on Sunday – Geschichten über Liebe, Ende der Liebe, menschliche Beziehungen. Das machen wir jetzt auch.

Dieser Beitrag ist im Dezember 2023 in unserem Magazin taz FUTURZWEI N°27 erschienen. Lesen Sie weiter, die aktuelle Ausgabe von taz FUTURZWEI gibt es jetzt im taz Shop.