Bildungsoffensive von Apple: Der Apfel der Verführung

Apple hat seine Pläne vorgestellt, wie und mit welchen Geräten das Unternehmen die Bildung revolutionieren will. Hat das gedruckte Buch nun ausgedient?

Eine Ergänzung zum, aber kein Ersatz fürs Buch: Apples iBook2. Bild: dapd

BERLIN taz | Es war das übliche Bohai. Immer wenn im Big Apple eine neuer Apfel enthüllt wird, geht die halbe Welt vor der PR-Maschinerie des Computerherstellers aus Cupertino, Kalifornien, auf die Knie. Es hat etwas Quasi-Religiöses.

Apple greift einen neuen Markt an – aber das Zerstören, von dem Steve Jobs offen sprach, hat etwas Zärtliches, der Untergang wirkt erlösend: Das gedruckte Buch, es hat ausgedient. Denn ab sofort gibt es "iBooks2" und "iBooks-Author". Sie sollen Schüler ermächtigen mit der Wunderflunder selbst komplexe Bücher herzustellen, mit Ton, bewegtem Bild, selbst arrangiert – und versandfertig für Papas und Mamas Mailbox.

Und was macht das hyperkritische Twittervölkchen? Es ergeht sich in Apfelogen. "Apple and texbooks? I'm going back to school!" – solche Ehrerbietungen rasseln im Sekundentakt durch die Timeline. In allen Sprachen. Die Welt nimmt den Apfel der Verführung, als wäre er eine Offenbarung. Wie kommt das? Was bedeutet das?

Der Effekt, der von dem 59-minütigen Post-Steve-Auftritt im Guggenheim-Museum ausgeht, ist nicht allein Public Relation. "Die Lehrer sind seit 400 Jahren Teil des Wissensmonopols, das vom Buchdruck ausgeht", schrieb Neil Postman 1992, "jetzt werden sie Zeugen der Auflösung dieses Monopols."

Postman hatte zu früh Recht. Erst jetzt erfüllt sich seine Prophezeiung. Die kalifornischen Weltmarktschrecken haben erst den Telefonmarkt mit einem Neuling erobert, dann mit dem Tablet ein neues Lese-und-Spiel-Gerät etabliert - und greifen nun den zähesten aller Märkte an: Schule, Bildung, Lernen.

Tablet plus Inhalt plus Flair

Wer das elektronische und selbstherzustellende Buch als Werbegag abtut, hat nicht begriffen, was passieren wird. Neunjährige brechen in Entzücken aus, wenn sie ein iPad bekommen sollen. Und Lehrer können mit dem Tablet Produkte des Lernens sichtbar und sexy machen – wenn sie es denn können. Die Kombination Tablet plus Inhalt plus Flair wird das Lernen definitiv verändern. Das ist kein Kitsch.

Zugleich aber wird sich die Marktdominanz der Apfelprodukte ins Unheimliche steigern. Bereits ohne iPads hat Apple unter den Schulcomputern einen Marktanteil von beinahe 40 Prozent, kein Wettbewerber kann dagegen anstinken. Die Omnipotenz des Tablets, auf dem so viele Anwendungen Platz haben, ist erschreckend – denn die schöne neue Welt des Lernens ist nicht nur schön, sie ist auch ein Gefängnis.

Schulen und Lehrer werden in einem goldenen Käfig eingesperrt: Die Applikationen, mit denen das elektronische Buch getunt und personalisiert werden kann, laufen eben nur auf den Produkten, die in Cupertino erfunden und in asiatischen Werkstätten zusammengesteckt werden. "Apple versucht mit den erweiterten eBooks einen neuen Standard zu definieren", schreibt der IT-affine Lehrer Felix Schaumburg in seinem Blog edushift.de. Der Superkritiker Fefe schreibt in seinem Weltverschwörungsblog, Apple arbeite wie ein Crack-Dealer: "Der erste Hit ist umsonst!"

Zweigleisig fahren

Die Gegenmaßnahmen sind kümmerlich. Angeblich basteln die Wettbewerber Mircosoft und Intel an einer Allianz, die so etwas wie einen allgemein verbindlichen Standard definieren soll, sprich, der es möglich macht, dass Lernappplikationen zugleich auf Windows, Linux und so weiter laufen, also auch mühelos von Samsung, Lenovo, Dell, Sony, Asus und wie sie alle heißen, nutzbar wären. Aber die Allianz wird halt nicht im Guggenheim vorgestellt, sondern in Halle xy auf der Didacta in Hannover. Mal sehen, ob das den Twitter-Puls hochtreiben wird.

Was kann man tun? Zweigleisig fahren, wenn es irgendwie geht. Matthias Mackert heißt einer der Helden. Mackert ist ein Facharbeiter und Vater, und er hat quasi im Alleingang ein Tablet-Projekt in Mannheim auf die Beine gestellt. Mackert will 1,8 Millionen Euro einsammeln, um über 2.000 der Allzweck-Lernwerkzeuge für Mannheims Schulen anzuschaffen, er will Lehrer fortbilden und er kauft, selbstverständlich, Produkte von Apple – und Samsung.

"Wir wollen unsere Kinder auf das 21. Jahrhundert vorbereiten, aber unsere Klassenzimmer sehen aus wie in den 50ern", ist Mackert überzeugt. Aber er weiß noch etwas: Eine Monokultur darf dort nicht entstehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.