Billy Graham wird 90: Der Urahn der Fernsehprediger

Der "Papst" des protestantischen Amerika und Vorläufer aller TV-Evangelisten zog Millionen in seinen Bann: Auch US-Präsidenten erlagen Grahams Charisma.

Bruch der Tradition: Bill Clinton suchte keinen Rat bei Billy Graham. Bild: dpa

WASHINGTON taz “Und Gott liebt euch. Er liebt euch, er liebt euch!” - Diese Botschaft, gerufen in ein überfülltes Stadium hinein, das ist das Markenzeichen Billy Grahams. Graham, 89, ist gleichzeitig der Urahn der so genannten "Televangelisten" (siehe Kasten), obwohl er selbst nie so genannt werden wollte.

Im Laufe seiner Karriere hat er die frohe Botschaft live vor bis zu 215 Millionen Menschen in allen Teilen der Welt gepredigt. Ungezählte hunderte Millionen mehr haben seine Auftritte im Fernsehen und am Radio verfolgt. Am 7. November feiert der erfolgreichste evangelikale Publikumsliebling aller Zeiten seinen 90sten Geburtstag.

Zu Ehren seines Geburtstags rief sein ältester Sohn, Franklin Graham, kürzlich die Öffentlichkeit auf, seinen Vater mit persönlichen Geschichten und Grußbotschaften zu würdigen. Alle, die sich von Grahams Wirken direkt angesprochen und ermutigt gefühlt hätten, seien willkommen, ihm einen selbstgeschriebenen Geburtstagswunsch oder eine Geschichte zu schenken, kündigte die Billy Graham Evangelistic Association (BGEA) Anfang Oktober an.

“Mein Vater ist ein bescheidener Mensch, der niemals erwarten würde, zu seinem Geburtstag persönlich geehrt zu werden,” sagte sein Sohn, Präsident der BGEA. Dessen ungeachtet plant Franklin Graham anläßlich des feierlichen Anlasses internationale evangelikale Festivals und Projekte. Die BGEA unterhält auch nach dem Ende von Billy Grahams aktivem Einsatz weiterhin ein umfangreiches Netz weltweiter Predigtämter.

William Franklin Graham Jr., wie Billy heißt, ist seit 60 Jahren der nahezu unumstrittene religiöse “Revivalist” der USA. Rund vier Jahrzehnte davon war er sogar schlicht der “Papst” des protestantischen Amerika. Und immer hat er für Kontroversen gesorgt. So auch als er, Bibel in der Hand, 1991 an der Seite von George H. W. Bush erschien.

Gemeinsam mit dem damaligen US-Präsidenten segnete er die in den Golfkrieg von 1991 aufbrechenden US-Truppen. Seine Präsenz sollte damals allen symbolisieren: Der Kreuzzug in den Golf habe, wenn schon nicht ausschließlich christliche, so aber doch biblische Ausmaße. Was manche als den Höhepunkt seiner Karriere sehen, ist für andere der Gipfel der Selbstdarstellung.

Den Begriff, zusammengezogen aus "Tele" und "Evangelisten" hatte einst das Time-Magazine geprägt. Evangelismus, wie er in der Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA entstand, hatte stets zum Ziel gehabt, die frohe Botschaft in die ganze Welt und zu möglichst vielen Menschen hinaus zu tragen.

Evangelikale waren mit großem Erfolg die Ersten, die das neue Medium Radio in den 1920er Jahren zu regelmäßigen Sendungen nutzten, eine Tradition, die noch bis heute insbesondere in den Ländern der Dritten Welt fortgesetzt wird. Predigerstars dieser Frühphase waren in der Zeit der Großen Depression S. Parkes Cadman und Vater Charles Coughlin, dessen stark anti-kommunistiich und anti-semitisch gefärbte Sendungen Millionen Hörer anzogen.

Das Fernsehen entdeckten die Evangelikalen erst zu Beginn der 50er Jahre. Der erste TV-Prediger war jedoch ein Katholik: Erzbischof Fulton J. Sheen, der erfolgreich bis Ende der 60er Jahre in die Wohnzimmer der USA hinein predigte. Ab den 1960er Jahren war Billy Graham dann ausschlaggebend für den Erfolg und die Verbreitung des evangelikalen Protestantismus in den USA. Mit den Televangelisten der Gegenwart, darunter Joel Osteen aus Texas und Robert Schuller in Kalifornien, begann vor allem die rasante weltweite Verbreitung des fundamentalistiichen Pfingstlertums.

Dass Graham auch provozierte, hat seinem Immage eines aufrechten Predigers kaum geschadet. Er ist kein Intellektueller, kein Denker und kein Theologe. Anders als andere Prediger seiner Zeit hatte er nur eine geringe theologische Ausbildung erhalten, größtenteils an verschiedenen Bibelschulen. Sein Studium am Wheaton College, Illinois, schloß er 1943 mit einem Bachelor in Anthropologie ab. Schon während des Studiums begann er zu predigen, was er prima konnte. Und eine schöne Stimme hatte er auch. Als man ihm ein Studium am theologischen Seminar in Princeton anbot, lehnt er ab.

Der große Durchbruch kam für Graham auf einem Parkplatz. In Los Angeles stellte er 1949 Zirkuszelte auf und begann dort “Revivalist”-Gottesdienste abzuhalten. Was drei Wochen dauern sollte, währte ein Leben lang. Graham war zum landesweiten Star geworden, es folgten aufsehenerregende Missionsshows in New Yorks Madison Square Garden und bald in aller Welt.

Geholfen hat dem Prediger dabei der Medienzar William Randolph Hearst. Der wies seine Chefredakteure an “Graham zu puschen”. Schleierhaft für die Freunde Hearsts, der Graham nie persönlich getroffen hat, war, was dem Medienmogal an dem Mann so gut gefiel.

Graham ist schwer zu fassen. Einerseits war er vehement gegen die Rassentrennung in seinem Land. Er weigerte sich in den 60er Jahren bei Veranstaltungen zu sprechen, zu denen Schwarze keinen Zutritt hatten und riß einmal in einem Wutanfall Absperrungen um, die Sicherheitskräfte zur Trennung des weißen und des schwarzen Publikums aufgestellt hatten.

“Der Boden vor dem Kreuz ist eben”, sagt er dazu und sieht in der Bibel nichts, was die Segregation rechtfertigen könnte. Er war zudem einer der ganz wenigen Weißen, die Martin Luther King bei seinem Spitznamen “Mike” nennen durften. Beide Männer verband eine Freundschaft, nachdem Graham für King eine hohe Kaution bezahlt hatte, damit dieser aus dem Gefängnis kam.

Andererseits sprach Graham niemals über das Problem der Armut zuhause und in der Welt. Seine Missionsvision richtete sich rein auf das Seelenheil. Peinlich war seine Phase als begeisterter Kommunisten-Jäger und Bewunderer von Senator Joseph McCarthy.

“Ich danke Gott für Männer, die trotz öffentlicher Lästerei loyal ihre Arbeit machen und die Pinkfarbenen, die Lilafarbenen und die Roten ausfindig machen, die sich unter den Schwingen des amerikanischen Adler verstecken und von dort dem größten Feind, den wir jemals hatten helfen – Kommunismus,” geiferte Graham. In den 80er Jahren dann, Graham ging mit der Zeit, entdeckte er den Frieden und forderte die Aussöhnug mit Russland und China.

US-Präsident Harry Trumann nannte ihn nach eienem Gespräch schlicht eine “Fälschung”, einen publicitygeilen Aufschneider. Doch andere US-Präsidenten suchten sein Charisma und seinen Rat. Eisenhower und Kennedy begannen mit dieser Tradition, Graham zu konsultieren. Die Präsidenten Johnson, Nixon, Ford, Carter und Reagan führten sie dann noch intensiver fort. Bush Senior schließlich nannte Graham “Amerikas Pastor”. Erst Bill Clinton wich langsam davon ab. Er konsultierte lieber den schwarzen Reverend Jesse Jackson.

Graham läßt sich nicht in einen Topf werfen mit den Pat Robertsons und den anderen Großen der rechtskonservativen Televangelisten. Ihm ging es nie um den politischen Kreuzzug gegen das Abtreibungsrecht (das er nicht befürwortet) oder um eine ganze Reihe von Steuerfragen und den Kampf gegen die Trennung von Staat und Kirche.

“Ich denke nicht, dass Jesus oder die Apostel sich in der politischen Arena auf eine Seite gestellt haben” erlärte er seine Haltung. Der endgültige Bruch mit der christlichen Rechten kam schließlich, als er deren Taktiken des gewaltsamen Anti-Abtreibungskampfes entschieden verurteilte. “Unsere Mittel sollten Gebet und Diskussion sein”, befand Graham und blieb dabei.

Jenseits der politisierten christlichen Rechten, die ihre größten Erfolge schließlich unter dem gegenwärtigen US-Präsidenten, George W. Bush, selbst ein wiedergeborener Christ, feiern konnte, läßt sich für Billy Graham keine bestimmte Kategorie finden. Stets transzendierte er Doktrin und Konfession. Er klang nie wie einer der neuzeitlichen Fundamentalen – obgleich er die Fundamente des Glaubens bestätigt: Die wortwörtliche Wahrheit der Bibel.

Empfängnis und Geburt der Jungfrau Maria. Und die körperliche Wiederauferstehung Jesus Christus und die Erlösung. Auch sein größter Bucherfolg "Peace with God" von 1953 hat nichts gemein mit den evanglikalen Blockbustern eines Joel Osteen, gegenwärtig einer der erfolgreichsten evangelikalen Pastoren, Publizisten und US-Fernsehfiguren.

Während in den 80er Jahren ein Televangelist nach dem anderen sich in Skandale, Sexaffären und Schulden verhedderte, blieb Graham stets aufrecht. Ihm mag dabei seine Frau Ruth geholfen haben, die – während er um die Welt reiste und Menschen für Jesus begeisterte, zuhause allein die fünf Kinder großzog.

Sie war ihm, wie er sagt, eine unermessliche Stütze und Helferin bei seinem Wirken. Ruth, als Tochter eines presbyterianischen US-Missionars in China geboren, hatte ihm zuliebe ihren großen Plan, nämlich nach Tibet zum Missionieren zu gehen, aufgegeben. Ihren Tod im Juni vergangenen Jahres, nahm Graham mit Fassung und der Gewissheit hin, sie bald im Himmel wieder zu sehen.

Vor drei Wochen erst war Billy Graham selbst ins Krankenhaus eingewiesen worden. Er, der fast Erblindete, war zuhause, in Montreat, im US-Bundesstaat North Carolina, über einen seiner Hunde gestolpert. Seine Gesundheit ist nicht die Beste. Aus seinem Kopf muß unablässig Flüssigkeit abgepumpt werden, um Druck auf das Gehirn zu vermeiden, der zu parkinson-ähnlichen Symptomen führen kann. Vergangenes Jahr erst hatte er die Behandlungen eines Prostata-Krebs und interner Blutungen überstanden.

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