Birmas Protestikone in Berlin: Diktatur mit Blüten im Haar

Berlin empfängt Aung San Suu Kyi wie eine Staatschefin. In Birma will man aber nicht, dass sie Präsidentin wird, sondern weiter für die Demokratisierung kämpft.

Steht nicht im Schatten vom Bundespräsidenten, nur in ihrem eigenen: Auung San Suu Kyi. Bild: dpa

RANGUN taz | Ihr Konterfei ist in Birma allgegenwärtig – auf T-Shirts, als Poster, auf Feuerzeugen, Taschen und Tassen ist ihr Gesicht gedruckt. Jede Woche pendelt sie zwischen der neuen Hauptstadt Naypyidaw und der alten Metropole Rangun und kommt kaum zu Atem in ihrer Rolle als Parlamentarierin, Chefin der größten Oppositionspartei und Vorsitzende mehrerer wohltätiger Stiftungen: Aung San Suu Kyi.

Außenpolitik macht sie auch – zurzeit in Berlin. Fast könnte man meinen, da käme die Präsidentin oder Regierungschefin ihres Landes, so aufmerksam wird die birmesische Friedensnobelpreisträgerin in diesen Tagen empfangen. Die 68-jährige Politikerin, zierlich und elegant, stets mit einer Blüte im Haar, traf Bundespräsident Joachim Gauck im Schloss Bellevue, Bundeskanzlerin Angela Merkel im Kanzleramt, Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Auswärtigen Amt. Am Freitag empfing sie von Sigmar Gabriel den Internationalen Willy-Brandt-Preis der SPD.

Minister und Parlamentarier drängten sich darum, die couragierte Frau zu sehen, die in über 15 Jahren ihres Hausarrestes zur Symbolfigur für eine demokratische und zivile Opposition gegen die Militärjunta geworden ist – und die für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft des heruntergewirtschafteten Landes steht.

Noch vor einigen Jahren hingen in den Straßen von Rangun grimmige Politslogans in roter Farbe, die die Bevölkerung vor inländischen Staatsfeinden und ausländischen „Handlangern“ warnten. Heute sieht man dort Reklameschilder für Mobiltelefone, Autos oder Kreditkarten, Kräne drehen sich, Plakate an Bauzäunen kündigen Fünf-Sterne-Hotels, Einkaufszentren und Luxuswohnungen an, und der Verkehr staut sich, denn die Regierung hat die Importbeschränkungen für Autos aufgehoben.

Fabriken und Strohmatten

Die enormen Veränderungen, die seit der Regierungsübernahme des reformerischen Exgeneral Thein Sein vor vier Jahren begannen, sind an allen Ecken und Enden zu spüren. Am Südosten von Rangun sind die Reisfelder verschwunden. Hier, im Bezirk Thilawa in der Nähe des Hafens, soll eine Sonderwirtschaftszone entstehen, finanziert und verwaltet von japanischen Unternehmen.

Auf der anderen Seite der Stadt, jenseits des Hlaing-Flusses, stehen bereits neue Fabriken. Um sie herum drängen sich die Hütten der Arbeiter, aus Strohmatten, Wellblech und Holzresten zusammengezimmert. Trinkwasser bringt ein Händler in gelben Kanistern mit dem Fahrrad herbei. Rund zwei Dollar verdienen Arbeiter am Tag, wenn sie Glück haben.

Gegen Landvertreibungen und korrupte Politiker und für mehr Rechte sind Forderungen, für die allenthalben im Land demonstriert wird. Offener als früher und ohne Angst vor den Spitzeln der Junta reden nun auch Oppositionelle, Anwälte, Abgeordnete oder Künstler über die Zustände in ihrem Land.

Einer von ihnen ist der Journalist und Autor Win Tin, 84, der dabei war, als Aung San Suu Kyi und eine kleine Gruppe von Oppositionellen 1988 die National League for Democracy (NLD) gründeten. Über neunzehn Jahre hat er deshalb im Gefängnis gesessen, wurde gefoltert, in winzige Isolationszellen geworfen, bis er 2008 freikam. Seine Gesundheit hat so stark gelitten, dass er bis heute immer wieder akut ins Krankenhaus von Rangun eingeliefert wird.

Win Tin ist immer noch ein glühender und loyaler Anhänger Aung San Suu Kyis. Aber so wie viele birmesische Oppositionelle ist auch Win Tin skeptisch und sorgt sich über den Weg, den sie eingeschlagen hat. Sein Haus an einer staubigen Straße ist winzig, kaum größer als eine Gartenlaube. An der Wand hängen ein Porträt Aung San Suu Kyis und das Plakat einer Menschenrechtsorganisation, die sich für ihn eingesetzt hatte. Es zeigt ihn hinter Gitterstäben, davor steht der Satz: „Alles Gute zum 75. Geburtstag für Win Tin, der seit 16 Jahren im Gefängnis ist.“

Fragiler Waffenstillstand

Doch derzeit ist er nicht in seinem Haus, sondern im Krankenhaus. Seine Freunde bangen um sein Leben. Vor wenigen Wochen noch konnte der Mann mit dem schlohweißen Haar und der großen Brille, der trotz seines Alters ein scharfer Beobachter geblieben ist, hier noch Besuch empfangen. Die Diktatur, warnte er, sei knapp vier Jahre nach dem Ende des Juntaregimes noch nicht besiegt, mehr Rechtsstaatlichkeit nicht in Sicht. Immer noch würden Journalisten eingesperrt.

Doch das ist nicht der einzige Missstand. Dramatische Armut, ein fragiler Waffenstillstand mit den alten Rebellenarmeen und ethnische Konflikte in vielen Gegenden des Landes, die von Teilen des Militärs und buddhistischen Kreisen geschürt würden, haben in den vergangenen zwei Jahren mehrfach zu antimuslimischen Pogromen geführt. Im Parlament wurde kürzlich ein Gesetzentwurf eingebracht, der Ehen zwischen Buddhisten und Muslimen verbieten wollte.

In diesem Frühjahr richtete sich ein Mob sogar gegen internationale Hilfsorganisationen, die aus der Grenzregion Arakan im Westen des Landes fliehen mussten, weil sie den bedrängten muslimischen Rohingyas beigestanden hatten. Am Tag vor unserem Besuch war der alte Win Tin aus Mandalay zurückgekommen, wo er den prominenten Mönch Wirathu getroffen hatte, um ihn von seiner Hetze gegen Muslime und andere Minderheiten abzubringen. Ein vergebliches Unterfangen.

Aber Win Tin zeigt auch Verständnis. Die demokratische Opposition sei nach so vielen Jahren der militärischen Repression noch stark geschwächt: „Unsere Partei liegt in Trümmern, uns fehlen qualifizierte junge Leute, die wir als Kandidaten für die nächsten Wahlen vorbereiten können. Birma hat 300 Städte und 65.000 Dörfer und Wahlkreise. Wir müssen unsere Partei erst einmal wiederaufbauen.“

Die „ältere Schwester“

Bei so vielen Baustellen ist klar, dass sich die Hoffnungen vielerorts auf die Chefin der Partei, Aung San Suu Kyi, konzentrieren, die in der Bevölkerung auch liebevoll „ältere Schwester“ genannt wird. In der zweiten und dritten Reihe fehlen prominente Köpfe. In führenden Gremien der NLD sitzen neben Aung San Suu Kyi vor allem betagte Mitstreiter, die ihr auch in Zeiten von Repression und Untergrundarbeit treu geblieben waren. Viele aus dieser Generation fällt es jetzt schwer, den Jüngeren Platz zu machen, die etwa aus dem Exil zurückgekehrt sind.

Aung San Suu Kyi aber war – gegen den Wunsch Win Tins – nach ihrer Freilassung aus dem Hausarrest 2010 auf einen Kompromiss mit den Generälen eingegangen: 2012 kandidierten sie und mehr als vier Dutzend NLD-Kandidaten bei Nachwahlen für das Parlament und gewannen fast alle Sitze. Damit verhalf sie der Regierung der nun in Zivil gewandeten Exmilitärs zu neuer Legitimität – auch international. Die Sanktionen endeten.

Die Politikerin hatte die Gelegenheit ergriffen, den ersten Schritt auf dem Weg zur Demokratie zu machen. Der alte Journalist: „Sie glaubte, dass es ihre Pflicht sei, dem Volk zu zeigen, dass sie politische Verantwortung übernehmen will.“

Doch die Verfassung des Landes dürfte verhindern, dass Aung San Suu Kyi jemals Staatsoberhaupt ihres Landes wird – auch wenn ihre Partei bei den nächsten Wahlen im Dezember 2015 hoch gewinnt, was viele im Militär verhindern wollen. Die Armee hat im Parlament eine Sperrminorität von 25 Prozent bei allen wichtigen Entscheidungen. Eine speziell auf die Oppositionsführerin zugeschnittene Klausel verbietet es Politikern, deren Familienangehörige ausländische Staatsbürgerschaft haben, Präsident zu werden – und sie hat zwei Söhne mit britischem Pass.

Deshalb, so glauben Win Tin und viele ihrer Anhänger, wäre es besser, wenn sich Aung San Suu Kyi nicht auf den Weg zur Präsidentschaft konzentrieren würde. Sie sollte lieber als moralisches Vorbild agieren, weiter demokratische Reformen einfordern und sich um auf den Aufbau ihrer Partei kümmern. Aber am Ende „werden wir sie immer unterstützen, wie sie auch entscheidet“, sagt Win Tin. „Ohne sie haben wir keine Chance.“

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