Bizarre Geldforderung an Flüchtlinge: „Unsensibel und hinterfotzig“

Die Stadt Hannover fordert für die polizeiliche Räumung eines sudanesischen Protestcamps 10.000 Euro vom Versammlungsleiter. Der wehrt sich jetzt.

Protestieren, um zu bleiben: Camp sudanesischer Flüchtlinge am Weißekreuzplatz in Hannover Foto: Andrea Scharpen

HANNOVER taz | Im April hat die Polizei in Hannover das Protestcamp der Sudanesen auf dem Weißekreuzplatz räumen lassen. Das regionale Abfallunternehmen Aha riss die großen grünen Schlafzelte und das offene Küchenzelt ab und entsorgte die Habseligkeiten der Geflüchteten. Nun soll der Versammlungsleiter der Protestaktion, Babakir I., der Stadt Hannover dafür 10.186 Euro und 27 Cent zahlen. Er wehrt sich vor dem Verwaltungsgericht gegen den Kostenbescheid.

„Wir werden nicht zahlen“, sagt Babakir I. der taz. „Wir klagen.“ Denn schon die Räumung durch die Polizei sei nicht rechtens gewesen. „Wir haben das Camp nicht freiwillig verlassen.“ I. und andere Sudanesen hatten sich am 26. April mit dem Bürgermeister des Bezirks Mitte, Michael Sandow (SPD), getroffen, um über die Zukunft des Camps zu sprechen.

Während dieser Zeit war keiner der Geflüchteten auf dem Weißekreuzplatz. Die Polizei erklärte die Versammlung für beendet und begann mit der Räumung. „Das war unsensibel und hinterfotzig“, kritisiert Kai Weber vom niedersächsischen Flüchtlingsrat. Die Stadt und die sudanesischen Aktivisten seien gerade dabei gewesen, sich „einvernehmlich zu einigen“ und den Protest in eine politische Veranstaltungsreihe umzuwandeln, das Camp also ohnehin abzubauen.

So aber schuf die Polizei Tatsachen. Webers Kollege Sigmar Walbrecht, der an dem Tag vor Ort war, erinnert sich: Die Beamten hätten das Camp mit Flatterband abgesperrt und schon einige Zelte zum Einfallen gebracht, damit niemand mehr darin wohnen könne, sagt er.

Der Sudan im Nordosten Afrikas hat sich im Juli 2011 nach jahrelangem Bürgerkrieg und einem anschließenden Referendum in zwei Staaten gespalten: Sudan und Südsudan. Beide gelten als unsichere Staaten.

In der Region Darfur im Westen des Sudans war 2003 ein blutiger Bürgerkrieg zwischen Volksgruppen und der arabisch dominierten Regierung in Khartum entbrannt. Millionen Menschen wurden vertrieben, Hunderttausende starben.

Präsident Omar Hassan al-Baschir ist seit 1989 im Amt und wurde im April 2015 offiziell mit 94 Prozent wiedergewählt.

Wegen des Verdachts auf Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Krisenprovinz Darfur wird er mit internationalem Haftbefehl gesucht.

Polizeisprecher Mirco Nowak bestätigt, dass Polizisten die Zelte „in Teilen“ abbauten. Sie hätten die Aktivisten in den vorigen Wochen mehrfach darauf hingewiesen, dass mindestens zwei Personen für eine Versammlung anwesend sein müssten. Dass die Sudanesen an diesem Tag bei einem Treffen mit dem Bezirksbürgermeister waren, „war der Polizei Hannover nicht bekannt“, sagt Nowak.

Den eigentlichen Abbau des Zeltplatzes sollten die Geflüchteten bis zum nächsten Tag selbst übernehmen. „Sie wollten aber nicht ihr eigenes Camp räumen“, sagt Walbrecht. Also griff die Stadt ein – und schrieb nun die Rechnung.

„Das soll wohl eine einschüchternde Wirkung auf zukünftige Aktivitäten haben“, vermutet Walbrecht. Demonstranten sollten wissen: „So eine Aktion kann euch teuer zu stehen kommen.“ Dem Flüchtlingsrat Niedersachsen ist kein ähnlicher Fall bekannt.

Die Stadt erklärte auf taz-Anfrage, dass sich die Sudanesen zunächst bereit erklärt hätten, die Zelte abzubauen, das aber dann doch nicht getan hätten. Der Stadt seien dadurch Kosten für „Personal, Fahrzeuge, Container, Einlagerung und schließlich Entsorgung der Gegenstände entstanden“, sagt Udo Möller, Sprecher der Stadt Hannover. Diese Kosten solle nun der damalige Versammlungsleiter tragen. Sollte das Gericht die Klage abweisen und Babakir I. die 10.000 Euro trotzdem nicht zahlen, werde „die Stadtkasse die Vollstreckung der Forderung betreiben“, sagt Möller.

Anwalt Paulo Dias aus Hannover, der Babakir I. unterstützt, hält es nicht für wahrscheinlich, dass die Stadt das Geld bekommt. I. befindet sich mitten im Asylverfahren. Er jobbe zwar als Hilfsarbeiter in einem Lager, sein Einkommen liege aber unter der Pfändungsfreigrenze, sagt Dias. Eine Chance auf Asyl bestehe aber: I. und andere Geflüchtete aus der Gruppe müssten durch ihre „exilpolitische Betätigung gegen den sudanesischen Präsidenten“ in ihrem Heimatland Verfolgung befürchten (siehe Kasten).

Die sudanesischen Geflüchteten hatten fast zwei Jahre lang auf dem Weißekreuzplatz campiert und mehrere Demonstrationen in Hannover und Berlin organisiert, um auf Menschenrechtsverletzungen und Verfolgung in ihrem Heimatland hinzuweisen und für ein Bleiberecht zu protestieren. Damit aufhören wollen sie nach dem Abriss ihres Camps nicht. „Wir wollen immer weitermachen“, sagt Babakir I.

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