Bosnien 25 Jahre nach Kriegsbeginn: Siegreiche Nationalisten

Multikulturalität und Toleranz in der ex-jugoslawischen Republik sind nach dem Krieg verloren gegangen. Daran ist auch Europa schuld.

Zerbomte Häuser in Mostar im Januar 1996

In Schutt und Asche: Mostar im Januar 1996 Foto: dpa

SPLIT taz | Es gibt dieser Tage in den Medien in Bosnien und Herzegowina Artikel, Filme und Diskussionen über den Beginn des Krieges vor 25 Jahren. Darin zeigt sich die tiefe Spaltung des Landes. Die Ereignisse von damals, die in einem fürchterlichen Krieg mündeten, bei dem mehr als 100.000 Menschen umkamen und über zwei Millionen aus ihren Häusern, Wohnungen, aus ihrer Heimat, vertrieben wurden, werden nur durch die jeweiligen nationalen Brillen gesehen und dargestellt. Dieser Umstand symbolisiert die Tragödie des Landes, denn vor dem Krieg war Bosnien und Herzegowina eine multinationale und multireligiöse Gesellschaft mit jahrhundertelanger Tradition.

Hunderttausende demonstrierten vor 25 Jahren gegen den Krieg, für den Frieden und für ihre Lebensweise. Wer heute durch Sarajevo geht und das Gebäude der internationalen Verwaltung OHR besuchen will, muss eine Brücke überqueren. Sie heißt „Most Suade i Olge“, weil dort am 5. April 1992 die beiden Frauen Suada Dilberović und Olga Sučić von Schützen aus dem von serbischen Nationalisten besetzten Hotel Holiday Inn erschossen wurden.

Beide Frauen hatten sich der Demonstration um das Parlament und dem Sitz der Republik-Regierung angeschlossen. Die 34-jährige zweifache Mutter Olga war bei der Verwaltung der Stadt Sarajevo angestellt, die 23-jährige Suada aus der kroatischen Stadt Dubrovnik studierte Medizin in Sarajevo. Olga war Katholikin, Suada Muslimin.

Dass beide unterschiedlichen Religionen angehörten, spielte für die Demonstranten damals keine Rolle. Auch nicht, dass der aus der Nachbarschaft stammende Igor sich dem spontan gebildeten Trupp anschloss, der die Schützen im Hotel aufspürte und erschoss. Igor war ein Serbe. Er verteidigte später als Scharfschütze die belagerte Stadt gegen die Truppen unter Befehl des serbischen nationalistischen Extremisten Ratko Mladic. Weil er einige Scharfschützen der Gegenseite traf, musste er nach dem Krieg den Namen wechseln und untertauchen.

Vaterlandsverräter und Volksheld

Dieses Schicksal teilen Hunderte andere Serben aus Sarajevo, die heute die meisten Serben aus Serbien und der serbischen Teilrepublik in Bosnien für Vaterlandsverräter halten. So wie der aus Belgrad stammende Vizekommandeur der bosnischen Armee (Armija BiH) General Jovan Divjak, bis heute ein Volksheld im mehrheitlich muslimischen Sarajevo.

Die Verteidiger kämpften nicht nur für ihre Stadt sondern gegen den nationalistischen Extremismus der anderen Seite. Sie verteidigten in ihrem eigenen Verständnis das multinationale, multireligiöse und tolerante Prinzip gegen das nationalistische Prinzip. Sie verteidigten, wie Jovan Divjak einmal sagte, die „Werte Europas gegen die Barbarei.“ Die Angreifer dagegen wollten genau diese Gesellschaft zerstören, so viel Territorium wie möglich für sich und „ihre Volksgruppe“ erobern und die anderen Bevölkerungsgruppen von diesem Territorium vertreiben.

Die Politik und Verbrechen der „ethnischen Säuberungen“ waren von vornherein geplant. Und zwar nicht nur auf der Seite des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic, sondern auch des kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman. Die beiden Präsidenten hatten sich nach Aussagen serbischer und kroatischer Politiker und Militärs unter strenger Geheimhaltung schon im März 1991, also vor dem Krieg, in Kroatien getroffen, um die territoriale und ethnische Aufteilung Bosnien und Herzegowinas zu besprechen.

Gewonnen haben die Nationalisten aller Seiten. Am Ende des Krieges war auch auf der Seite der Verteidiger bis auf einige Inseln die religiös gefärbte muslimisch-bosniakische Richtung tonangebend. Durch die Verbrechen der ethnischen Säuberungen wurde nicht nur das Territorium aufgeteilt, sondern die multinationale Gesellschaft weitgehend zerstört. Die bosnische Tradition der multinationalen und multireligiösen Gesellschaft existiert zwar noch mancherorts wie in Tuzla. Für die meisten Menschen lebt diese Tradition jedoch nur noch als Erinnerung, in manchen Sitten, in der intellektuellen Zivilgesellschaft sowie im Kultur- und Musikleben weiter.

Eine Tragödie

Die von Nationalisten indoktrinierte Jugend hat sie nie kennengelernt. Nicht nur für Bosnien ist es eine Tragödie, dass eine Gesellschaft, die einstmals für religiöse und politische Toleranz stand, so enden musste.

Dies alles geschah auch, weil Europa und die internationale Gemeinschaft sich nach dem Krieg nicht mit der Tradition Bosniens beschäftigten. Weil die internationale Gemeinschaft bei den Friedensverhandlungen in Dayton 1995 die nationalistischen Kategorien akzeptierte und zustimmte, das Land nach nationalistischen Kriterien territorial aufzuteilen, wurde eine in Europa einmalige großartige Kultur negiert.

Europa hat seine eigenen Werte in Bosnien nicht verteidigt und tut es bis heute nicht. Das Friedensabkommen von Dayton stärke ausschließlich „die kollektiven ethnischen Rechte,“ sagte der Präsident des „Bürgerforums“ in der Industriestadt Tuzla, Vehid Sehic der Nachrichtenagentur dpa. „Daher wird die gesamte Souveränität den nationalen Kollektiven zugesprochen. Der einzelne Bürger, der in den normalen europäischen Ländern der Träger der Souveränität ist, existiert in Bosnien nicht.“

Hat der Aufstieg des Nationalismus im Europa mit dem Ausgang des Bosnienkrieges zu tun? Eines ist sicher: Der extremistische Nationalismus gewann damals die Oberhand und wird bis heute von der EU und auch Deutschland akzeptiert.

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