Bruderhahn-Projekt für Eintagsküken: Hof der glücklichen Hähne

50 Millionen Küken landen jährlich auf dem Müll. Der Bauckhof wollte sich damit nicht abfinden – und entwickelte den „Bruderhahn“.

Küken stehen auf Stroh

Kommen auf dem Bauck-Hof nicht in den Schredder: männliche Küken. Foto: dpa

Einmal berichtet, dann vergessen: Immer wieder bleiben im journalistischen Alltag Themen auf der Strecke. Die taz.nord möchte mit der Serie „Der zweite Blick“ dranbleiben an Themen, die wir für wichtig halten: Missständen, die wir kritisiert haben, Reform-ideen und Menschen, die losgezogen sind, die Welt zu verändern.

HAMBURG taz | Wer auf den Hof von Carsten Bauck kommt, wird von hunderten Hühnern beäugt. Auf der grünen Wiese vor den Fachwerkhäusern tapsen sie übers Gras. Im rechten Gatter die Hennen, links die Hähne. Ganz nah kommen sie an den Weidezaun heran. Lautes Gackern und Glucksen, dazwischen kräht ein Hahn, der sich unter die Hennen gemischt hat. Bauck hält inne, hebt eine Hand ans Ohr.

„Hören Sie das?“, fragt der Landwirt. „Da hat eine Henne gesungen. Das Geräusch hört man in den meisten Betrieben gar nicht mehr.“ Er nickt zufrieden, öffnet die Tür zu einem der Ställe. Auf einem Holzbalken sitzen ein paar stattliche Hähne, die sich kräftig aufplustern. Bauck lacht. „Die zeigen uns jetzt, wie stark sie sind. Wie pubertäre Jungs.“

Carsten Bauck ist ein großer Mann mit breiten Schultern und kräftigen Armen, die er beim Reden immer wieder weit von sich streckt. Er ist Bauer, Sohn, Enkel, Neffe von Bauern. Seit Jahrzehnten wird sein Hof im niedersächsischen Klein-Süstedt von der Familie bewirtschaftet. Aber Bauck ist keiner, der auf Traditionen beharrt.

Sondern mit ihnen bricht, wenn es nötig ist. Den Betrieb in der Lüneburger Heide versteht er als ein Versuchslabor, mit dem er ein Beispiel setzen will: Für eine Landwirtschaft, die sich an ethischen Grundsätzen und nicht allein am Profit orientiert. Eine, „die Mensch und Tier gut tut“, wie er sagt.

Die stattlichen Hähne, die dem Bauer da um die Füße laufen, müssten eigentlich längst tot sein. Vergast oder geschreddert, zu Tierfutter verarbeitet. So wie 50 Millionen andere männliche Küken, die jährlich allein in Deutschland auf diese Weise sterben. Männlich gleich nutzlos: Zum Eierlegen taugen die Brüder der Legehennen nichts, sie fressen zu viel, setzen weniger Fleisch als Masthähnchen an. Also müssen sie sterben. So will es der Markt.

Die Tötung der sogenannten Eintagsküken ruft Tierschützer seit Jahren auf den Plan. „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“, heißt es in Paragraf 1 des Tierschutzgesetzes. Doch der Markt schreibt seine eigenen Gesetze. Carsten Bauck macht da nicht mehr mit. „Jeder schimpft auf die freie Wirtschaft mit ihrem Preisdruck, alle wissen, was mit den Küken passiert. Und am Ende tut keiner was dagegen“, sagt er.

Der dreifache Vater wirkt nicht eben wie ein militanter Rebell, das Stereotyp eines Ökos bedient der eloquente Landwirtschaftsmeister inmitten dieses hochmodernen Betriebs auch nicht. Aber Bauck ist mit Leib und Seele Hühnerhalter.

„Hühner sind grundgute Wesen, sehr genügsam, nie asozial“ sagt er. Er kann viel erzählen über die Psychologie der Tiere, ihr Verhalten hat er lange studiert. „Den Hühnern geht es nie um Macht oder Gier. Bei Menschen ist das leider anders, die nutzen die Genügsamkeit der Tiere aus.“

Also rief der Landwirt 2012 die Bruderhahn-Initative Deutschland (BID) ins Leben. Die Idee ist simpel: Die männlichen Küken können weiterleben, weil die Eier der Hennen teurer verkauft werden. 4 Cent mehr pro Ei garantieren dem Hahn ein längeres Leben: Drei Cent gehen in die Aufzucht, ein Cent als Rücklage an die BID.

Bauck ist kein Einzelkämpfer. 21 Betriebe beteiligen sich heute am Bruderhahn-Projekt, die Naturkostgroßhändler Nord, Elkershausen und Erfurt haben die Idee mitentwickelt und ihr Angebot komplett auf die Brudertier-Produkte umgestellt, weitere Händler ziehen nach.

Mehr Geld verlangen für das gleiche Projekt – allein der Ethik wegen. Das soll funktionieren? Ja – denn die Verbraucher ziehen mit. „Die Nachfrage nach den Bruderhahn-Eiern ist so groß, wir haben oft mit Engpässen zu kämpfen“, sagt Jan Timm, Geschäftsführer von Naturkost Nord. „Das ist ein absolutes Phänomen für uns: Wir sprechen das moralische Bewusstsein der Verbraucher an, die für Ethik gern einen höheren Preis zahlen.“

Rund 3 Millionen Eier haben die BID-Betriebe allein im vergangenen Jahr produziert. Abnehmer fänden sich vom Bodensee bis zur dänischen Grenze, bei Bioläden, Restaurants, Großverbrauchern und im Einzelhandel.

In den Discounter-Regalen werde man die Bruderhahn-Eier allerdings aber auch in Zukunft nicht finden. „Die Mengen, die dort verlangt werden, können wir mit unseren Produktionsstrukturen gar nicht liefern; nicht, ohne ökologische Standards zu missachten“, sagt Timm. Bei der Vermarktung des Bruderhahnfleischs ist indes Umdenken gefragt: „Das Fleisch sieht anders aus als gewöhnliches Hähnchenfleisch, es ist dunkler, fester in der Konsistenz“, sagt Timm.

Auch die Verarbeitung sei anders. „Die Verbraucher sind das nicht gewöhnt, daher vermarkten wir es als Babykost in Gläsern und in Fertiggerichten.“ In der Gastronomie ist das langsam gemästete Fleisch hingegen beliebt: Ein Coq au vin vom Bruderhahn gilt als Delikatesse und kommt etwa im Hamburger „Lokal 1“ auf den Tisch.

Aber Carsten Bauck will mit seinen Produkten „nicht nur die Geldelite“ ansprechen. Er fordert ein Umdenken, was die Produktion und den Konsum von Lebensmitteln betrifft. „Jeder ist Teil des Systems. Mit ihrer Kaufentscheidung können reflektierte Kunden viel erreichen.“ Also setzt der Bauer auf die Öffentlichkeit, installiert Webcams in den Ställen, alles für die maximale Transparenz.

„Die Verbraucher sollen begreifen, wo das Tier herkommt, was es braucht, wie es lebt und stirbt.“ Dann seien sie auch bereit, bis zu 25 Euro für ein Huhn zu bezahlen, das, wie hier auf dem Bauckhof, nach Demeter-Richtlinien aufgewachsen sei.

Auf den ersten Blick würde man in der Bauckhof-Idylle nicht den Ausgangspunkt für einen Kampf gegen das Agrar-Establishment vermuten. Doch die Geschichte des Hofs war schon immer eher ungewöhnlich. Seit 1932 schon wird hier „biologisch-dynamisch„ gewirtschaftet – lange bevor Öko und Bio im Trend lagen.

1969 wurde der Hof, gemeinsam mit anderen Betrieben im Umkreis, in gemeinnütziges Eigentum überführt. Vererbt oder verkauft wird nicht mehr, wer pachten will, muss sich bei der Tierhaltung an die strengen Demeter-Richtlinien halten. Und damit die Tierhaltung bis zum Letzten ökologisch korrekt bleibt, hat der Bauckhof seine eigene Futtermühle, seine eigene Schlachterei aufgebaut. „Das Tierwohl steht immer im Fokus“, sagt Bauck.

Doch Bauck weiß: So erfolgreich die Aufzucht der Bruderhähne jetzt auch sein mag, auf lange Sicht muss ein anderes Konzept her. Auf die 50.000 Bruderhähne, die in den BID-Betrieben bis heute aufgezogen werden konnten, sei er war „stolz wie Bolle“ – doch auch dieses Projekt sei nur „ein Tropfen auf dem heißen Stein“.

Und wieder denkt der Landwirt in großen Kategorien. „Das ist alles nur eine Symptombekämpfung. Was wir brauchen, ist eine neue Form des Wirtschaftens.“ Wie diese aussehen soll? Das Konzept klingt wieder recht simpel: Hähne und Hennen wachsen zusammen auf, die einen zum Eierlegen, die anderen für die Mast.

Dafür müssen Zweinutzungstiere gezüchtet werden, die beides können: Eier legen und gleichzeitig ordentlich Fleisch ansetzen. Erste Züchtungsversuche gibt es bereits, alltagstauglich sind sie noch nicht. Gerade hat die BID eine GmbH zur ökologischen Tierzucht gegründet. In einigen Jahren sollen dann die ersten Tiere zur ökologische Zweinutzung verfügbar sein.

Einen anderen Ansatz zur Vermeidung des Küken-Tötens lehnt Bauck ab: In Zukunft könnte das Geschlecht des Kükens bereits nach drei Tagen im bebrüteten Ei bestimmt werden. Entsprechende Forschungsprojekte sind bereits an der Uni Leipzig im Gange, 1,2 Millionen Euro investiert das Landwirtschaftsministerium in die Forschung.

Carsten Bauck kann da nur den Kopf schütteln. „Das ist für mich wie Abtreibung, Töten bleibt Töten“, sagt er. „Mensch und Tier bilden eine natürliche Symbiose – aber wir haben kein Recht, nach Gutdünken in die Schöpfung einzugreifen.“

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