Buch zur Energiewende: Tanken oder Kredit bezahlen?

Die Abhängigkeit von fossiler Energie sieht Josef Braml in seinem Buch „Der amerikanische Patient“ als Ursache für die Schwäche der USA. Er rät zu einer Energiepartnerschaft.

In den 50er Jahren deckten die USA drei Viertel ihres Ölbedarfs selbst, heute müssen sie mehr als 60 Prozent importieren. Bild: dpa

Das ist eine erstaunliche Nachricht: Kein Land der Welt investierte 2011 mehr Geld in die erneuerbaren Energien als die USA. Mit über 40 Milliarden Dollar standen die Vereinigten Staaten auf Platz 1, dann folgten China und Deutschland. Zum Bild von Amerika als Erdöl saufendem Dinosaurier will das nicht passen. Haben die USA ebenfalls die Energiewende ausgerufen?

Nein, schreibt Josef Braml, USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, in seinem neuen Buch „Der amerikanische Patient“. Der Kampf zwischen den alten Interessen der Öl-, Gas- und Atomindustrie einerseits sowie den neuen Energieproduzenten andererseits sei zwar im Gange, aber nicht zugunsten Letzterer entschieden. So würden nach wie vor hohe Subventionen die fossile und nukleare Energie begünstigen.

Die Energiefrage ist ein Angelpunkt in Bramls Analyse. Er untersucht, ob und wie die USA weiterhin ihre führende Rolle als Weltordnungsmacht aufrechterhalten können. Seine Antwort ist differenziert. Die US-Regierungen würden dies zwar versuchen, gleichzeitig aber behindert durch wachsende interne Probleme. Dazu zählt Braml, Jahrgang 1968, die große Abhängigkeit von fossiler, überwiegend importierter Energie, die gegenwärtige Schwäche der US-Wirtschaft, die soziale Unausgewogenheit der amerikanischen Einwanderungsgesellschaft und die politische Blockade der Washingtoner Politik.

Josef Braml: „Der amerikanische Patient. Was der drohende Kollaps der USA für die Welt bedeutet“. Siedler Verlag, München 2012, 222 Seiten, 19,99 Euro

Im Ergebnis fällt es den Vereinigten Staaten laut Braml heute schwerer, ihre Weltmachtrolle auszufüllen. Diese besteht auch darin, anderen Ländern bestimmte Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. So versprechen die global einsatzfähigen amerikanischen Truppen eine spezielle Art von Sicherheit und Stabilität. Diese „harte Macht“ sei trotz aller Schwierigkeiten noch immer unangefochten, schreibt Braml.

Wanken und herrschen

Anders sieht es dagegen mit der „weichen Macht“, der wirtschaftlichen und kulturellen Vorbildrolle, aus. Zwei Beispiele: Unter anderem als Folge der Finanzkrise verliert die Idee des liberalen, wenig regulierten Weltmarktes an Anziehungskraft. Außerdem nimmt die Bedeutung des Dollar als globaler Leitwährung allmählich ab, was mit der gigantischen Verschuldung der USA und der deshalb fraglichen Wertstabilität des beherrschenden Zahlungsmittels zu tun hat. Hier argumentiert Braml, der früher unter anderem für die Weltbank und im US-Kongress arbeitete, ähnlich wie Berkeley-Professor Barry Eichengreen 2011 in seinem Buch über den „Aufstieg und Fall des Dollar“.

Die Folge: Andere Staaten nehmen die USA inzwischen als wankenden Hegemon wahr, dem man sich nicht mehr so bereitwillig unterordnet, wie es seit dem Zweiten Weltkrieg der Fall war. Das wiederum bedinge Änderungen im Verhalten der Führungsmacht selbst. Mangels Folgsamkeit, meint Braml, greife die US-Regierung zu rabiateren Methoden, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Als einen Beleg führt der Autor den verstärkten Einsatz von unbemannten Kampfflugzeugen (Drohnen) an, die regelmäßig die Souveränität von Drittstaaten und die Grenzen des Völkerrechts verletzten. Außerdem sei die Washingtoner Administration bestrebt, besonders finanzielle Kosten der eigenen Führungsrolle auf Bündnispartner unter anderem in Europa abzuwälzen. An einer Reihe von regionalen Beispielen beschreibt Braml, wie sich die Muster der Durchsetzung amerikanischer Interessen ändern.

Dabei widmet er sich der Energiefrage eingehend. Während die USA in den 1950er Jahren mehr als drei Viertel ihres Ölbedarfs mit eigener Förderung deckten, mussten sie 2010 über 60 Prozent importieren. Wegen der auch künftig vermutlich weiter steigenden Ölpreise bedeutet dies einen permanenten Abfluss von Milliarden Dollar ins Ausland. Gleichzeitig steigt die gefährliche Staatsverschuldung.

Auch einen bislang wenig thematisierten Nebeneffekt des Fossilsystems beschreibt das Buch. 2008, kurz vor dem Zusammenbruch der Lehman-Bank, erreichte der Ölpreis einen neuen Rekordwert. Einkommensschwache amerikanische Arbeitnehmer sahen sich, so Braml, vor die Alternative gestellt, entweder die teure Tankfüllung für den Weg zur Arbeit zu bezahlen oder ihren Hauskredit zu bedienen. Der verschwenderische Energiekonsum habe damit geradewegs in die Immobilien- und Finanzkrise geführt. Nicht nur intern, auch extern jedoch gerät die Führungsmacht zunehmend in die Bredouille: Um ihren fossilen Energiehunger zu stillen, engagierte sich die Führungsmacht stark im Mittleren Osten und gerät in eine unerwünschte Ressourcenkonkurrenz zu China. So untermauert Braml seine These: Ein obsoletes Energiesystem schwächt die globale Ordnungsmacht.

Wie etwa Arne Jungjohann von der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington berichtet, führen solche Probleme inzwischen zu einem Umdenken im Establishment von Politik und Energiekonzernen. Man arbeite daran, die heimische Öl- und Gasförderung wieder zu steigern und den Anteil der Importe zu reduzieren. Ölsand, Tiefseebohrungen, unkonventionelle Erdgasvorkommen – alles sei recht, um das fossile System beibehalten zu können, gleichzeitig aber mehr politische Bewegungsfreiheit zu gewinnen.

Josef Braml empfiehlt den USA einen anderen Weg. Sein Rat: Schaut euch die deutsche Energiewende an und seid zu einer „transatlantischen Umwelt- und Energiepartnerschaft“ bereit. Diese böte gleich mehrere Vorteile: eine ausgewogenere Handelsbilanz, neue Produkte, bessere Exportmöglichkeiten. „Das weltweite Interesse an erneuerbaren Energie bietet den Vereinigten Staaten die Chance, als Führungsmacht voranzuschreiten bei der Lösung der globalen Energie-, Sicherheits-, Umwelt- und Wirtschaftsprobleme.“

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