Bürger bepflanzen die Stadt: Begrünte Bunker und Samenbomben

Eine Ausstellung zeigt Visionen für die Bepflanzung moderner Großstädte. Vieles davon ist eine hilflose Reaktion auf den alles überwuchernden Beton.

Grüne Inseln im ehemaligen Hafenbecken: Baakenhafen-Quartier in der Hamburger Hafencity. Bild: Atelier Loidl/Hamburg Museum

HAMBURG taz | Bebauung ist Geld, und alles, was an Grün möglich wäre, kommt lange danach. Schon in der Antike behalf man sich zum Beispiel mit Dachbegrünungen, wenn am Boden kein Platz dafür war.

Ursprünglich entstanden ist das Problem wohl, als der Mensch vom Jäger zum sesshaften Bauern wurde und Siedlungen baute. Da wollten alle dicht zusammen wohnen, Boden wurde wertvoll, Häuser wichtiger als Gärten. Das haben einzelne Planer in Folgejahrhunderten immer wieder aufzubrechen versucht, etwa der Hamburger Oberbaudirektor Fritz Schumacher, der in den 1920er-Jahren ein Freiraumkonzept für Hamburg entwickelte, das mit achsenförmig angelegten Grünflächen operierte.

Heutzutage, in den noch dichteren Metropolen, ist solche vorausschauende Grünflächenplanung weit schwieriger – und um Alternativen zu zeigen, hat das Museum für Hamburgische Geschichte jetzt eine Ausstellung namens „Stadtgrün“ ausgerichtet. 26 teils schon verwirklichte Visionen zur Großstadtbegrünung präsentiert die Schau; Beispiele aus Madrid, Paris, viele aus Hamburg sind dabei, was dem Ort des Geschehens geschuldet ist, als Pars pro Toto aber gut funktioniert.

Denn großstädtische Probleme ähneln sich: Die Menschen wollen in der Stadt und im Grünen gleichzeitig wohnen, den Raum am liebsten auf zwei Arten gleichzeitig nutzen. Das ist nicht nur ein physikalisches, sondern auch ein zeitliches und philosophisches Paradox und erlaubt maximal einen Taschenpark – den es wirklich gibt im Innenhof eines Pariser Museums.

Im Übrigen aber fangen Großstädte an ernst zu nehmen, dass Grün für die Bewohner ein Qualitätsmerkmal ist, ja sogar einen Standortvorteil bedeutet. Und weil schon so viel Raum vergeben ist, suchen die Verwaltungen und Bewohner aus dem Vorhandenen zu machen, was man kann.

Mit Dachbegrünungen auf Bunkern zum Beispiel: Für Hamburgs größten Hochbunker am Heiligengeistfeld ist so ein Beteiligungsprojekt angedacht, das einen mehrgeschossigen öffentlichen Stadtgarten vorsieht. Eine andere, gleichfalls auf Beton fußende Variante ist der begrünte Tunnel – in Hamburg zu besichtigen anhand eines Deckels über der Autobahn 7, der die Stadtteile wieder verbinden soll, die die Autobahn zerschnitt.

Parks und Erholungsflächen sollen da bis 2023 drauf. Und wenn auch die Motivation keine verkehrspolitische war, sondern die Sorge, andernfalls die erlaubten Lärmschutzwerte zu überschreiten, ist es ein Schritt in eine gute Richtung: die Menschen über der Erde zu platzieren und die Autos darunter. Und wenn man später mal oben herumspaziert, kann man sicher eine Zeitlang verdrängen, dass unten weiter Abgase produziert werden.

Mit Verdrängung muss der geneigte Fußgänger auch auf begrünten Mülldeponien wie dem Hamburger Energieberg Georgswerder arbeiten, der auf einer 1979 wegen giftiger Industrieabfälle stillgelegten Deponie entstand. Man hat sie versiegelt und bepflanzt, allerlei Biotope angelegt, Windkraftanlagen draufgestellt und sogar einen Rundweg geschaffen.

Die Hamburger Ausstellung zeigt die Entwürfe in schlichten, laborartigen Holzkästen. Wer genau schaut, kommt von selber drauf, dass diese Art der Begrünung immer nur hilfloses Reagieren ist, eine Aktion im Nachhinein und kein von vornherein mitgeplantes Element.

Entsprechend künstlich wirken die Entwürfe; auch die Freizeitinsel, die man in Hamburgs Hafencity aufschütten will, wirkt auf den Animationen wie frisch aus Plastikland. Gräser und Bäume wurden abgezählt und streng reglementiert an ausgewählte Orte gebracht; eher dekorativ als wild, und ein bisschen wirkt das Ganze wie der akkurat abgezirkelte Garten der absolutistischen Könige von Versailles.

Aber man soll nicht ungerecht sein: Bei stillgelegten Flughäfen wie in Berlin-Tempelhof und Frankfurt-Bonames haben Planer die Chance genutzt, eine riesige Fläche zum Freizeitareal zu machen, das die Natur zurückerobern kann.

Manchmal wird dieser Wiederbewuchs auch bewusst forciert wie im Falle der 1990 stillgelegten Hamburger Wasseraufbereitungsanlage, die zur „Wasserkunst Elbinsel Kaltehofe“ umgestaltet wurde und ein interessantes neues Genre zwischen Stadt, Industriedenkmal und Natur samt Lehrpfad bildet. Es entstand eine echte, Historie einbindende Kulturlandschaft, über die man gern auch philosophieren kann.

Nicht zu vergessen ist auch das Urban Gardening, das teils halblegale Wiedererobern von Straßenrändern und Brachland durch Privatiers, Anwohner-Inis und Grünpatenschaften: Heimlich mit Samenbomben Kleinst-Areale zu bepflanzen, die weder erreich- noch pflegbar sind – ein Thema, das nicht nur ökologisch, sondern auch politisch ist:

Wo die Verwaltung es nicht tut, müssen sich die Bürger als „Garten-Guerilla“ eben selbst helfen. Dahinter steht die Idee, Stadtgrün als Menschenrecht zu begreifen – vielleicht sogar als moralisches Gebot, das – innere Freiheit und Gesundheit fördernd – verpflichtend in die Charta von Stadtentwicklern aufgenommen sollte.

Aber dieser Weg ist weit: Begrünung konkurriert immer mit der lukrativeren Nutzung des Bodens durch private Investoren, denen städtische Kämmerer meist nicht widerstehen können. Und auch wenn die Ausstellung das nur am Rande formuliert: Genau in dieser kapitalfreundlichen Grundordnung liegt das größte Hemmnis für eine großzügige, wahrhaft menschenwürdige Stadtbegrünung.

„Stadtgrün 3.0“: Bis 19. 4., Museum für Hamburgische Geschichte
Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.