Bürokratieabbau für Flüchtlinge: Der Sisyphos aus Kirchentellinsfurt

Einen Antrag auf Kindergeld stellen, obwohl er aussichtslos ist? Wolfgang Werner hat dem Papierkrieg von Flüchtlingen den Kampf angesagt.

Ein Flüchtling hält in der Regierungsstelle für Flüchtlinge in Berlin ein Formular in der Hand

Die Flüchtlinge witzelten schon, Deutschland sei „Paperland“ Foto: dpa

KARLSRUHE taz | Wenn es um Papierkrieg geht, ist Wolfgang Werner einiges gewohnt. Jahrelang arbeitete er in einem interna­tio­nalen Computerkonzern, befüllte Formulare und Anträge. Und seit er im Ruhestand ist und auch sein Heimatort Kirchentellinsfurt bei Tübingen viele Flüchtlinge aufgenommen hat, ist er es eben, der die Flüchtlinge bei ihrem Gang zu den Behörden unterstützt.

Doch was ihm und seinen drei jungen, syrischen Schützlingen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und das Jobcenter zugemutet haben, hat auch den Schwaben an seine Grenzen geführt. Denn die Flüchtlinge sollten einen Antrag stellen, von dem alle wussten, dass er abgelehnt würde.

Dazu muss man wissen: Alleinreisende Flüchtlinge haben in Deutschland Anspruch auf Kindergeld, auch wenn sie unter 25 Jahre alt sind. Allerdings nur, wenn ihre Eltern tot sind oder ihr Aufenthaltsort unbekannt ist. Das Kindergeld wird dann auf das Arbeitslosengeld II angerechnet, das den Flüchtlingen ohnehin zusteht.

Somar, Karam und Kamel, die drei Jungs aus Syrien, um die sich Werner kümmert, sind jedoch weder Waisen noch sind ihre Eltern verschollen. Sie haben per Telefon und SMS regen Kontakt mit ihnen. Also keine Aussicht auf Kindergeld. Doch diese Nachricht genügte dem Jobcenter nicht, um das Arbeitslosengeld an die jungen Männer auszuzahlen. Es verlangte, dass sie dennoch einen Antrag auf Kindergeld stellen, Werner solle sich das zwanzigseitige Formular dafür beschaffen.

„Wissen Sie“, sagt Werner, „die Flüchtlinge bekommen ständig seitenweise Formulare und Dokumente.“ Sie witzelten schon, Deutschland sei „Paperland“. Bis heute seien die unzähligen Blätter nicht mal auf Arabisch oder Englisch übersetzt, damit sie die Flüchtlinge selbst ausfüllen können. Das müssen alles Ehrenamtliche machen.

Für das Kindergeld, das Somar, Karam und Kamel nie bekommen würden, mussten aber auch noch Dokumente beigefügt werden, die man nur selten auf der Flucht mit sich führt: Geburtsurkunden, Zeugnisse oder Nachweise von früheren Arbeitgebern. Ersatzdokumente zu besorgen, wie es die Familienkasse empfahl, hätte wieder Monate gedauert. Arbeitszeit, die Werner lieber in sinnvolle Flüchtlingshilfe stecken würde.

„Hutschnur geplatzt“

„Irgendwann ist mir die Hutschnur geplatzt“, sagt Werner. Er schrieb einen Brief an Frank-Jürgen Weise, der nicht nur Chef der Arbeitsagentur, sondern auch des Bamf ist. Ob das Jobcenter nicht zunächst die Voraussetzungen für das Kindergeld prüfen könne, bevor man es beantragt? Das würde Behörden und Flüchtlingshelfer entlasten.

Zuerst bekam Werner eine Standardantwort von der Kundenbetreuung der Arbeitsagentur. Dann eine Absage: Leider sei sein Vorschlag nicht umsetzbar. Dann schrieb doch noch die zuständige Beamtin. Sie habe auf Weisung von Behördenleiter Weise den Vorgang geprüft und könne mitteilen, dass nach Absprache mit der Familienkasse der Antrag auf Kindergeld künftig nicht mehr nötig sei, wenn die Voraussetzungen fehlen. Sie dankte Werner im Namen der Behörde: „Für Ihr Engagement für schutzsuchende Menschen und Ihre konstruktive Anregung unsere Arbeit betreffend.“

Wolfgang Werner ist zufrieden mit seinen kleinen Beitrag zum Bürokratieabbau. Der Weise, sagt er, der sei ja offenbar ein ganz vernünftiger Mensch. Eigentlich schade, dass er gerade angekündigt hat, sich Ende des Jahres von beiden Behörden zurückzuziehen.

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