Bundesliga-Aufsteiger Darmstadt 98: Stinkig, schimmlig, eklig

Mit sehr speziellen Tugenden hat sich Darmstadt 98 in die Fußball-Bundesliga gekämpft. Ein Trupp Ausgestoßener wollte es noch mal wissen.

Sogar die Fans sind erstligatauglich: Darmstadt feiert den Aufstieg Bild: dpa

DARMSTADT taz | „Letztes Jahr waren wir im Olymp der Verrückten und Bekloppten. Jetzt sind wir vielleicht die Götter von Darmstadt“, sagte Marco Sailer nach dem mit dem 1:0-Sieg über St. Pauli verbundenen Erstligaaufstieg der 98er, bevor der Mann mit dem Rauschebart mit nacktem Oberkörper und einem Riesenbierglas in der Hand auf den Tunnel vorm Kabinengang kletterte und seine Mitspieler mit Bier duschte.

Nachdem die Lilien im Vorjahr in den Relegationsspielen zur 2. Liga gegen Bielefeld eine 1:3-Niederlage durch einen 4:2-Sieg wettgemacht hatten, toppte das Team seine Leistung nun mit dem Durchmarsch in Liga eins. „Wir machen da weiter, wo die anderen aufhören“, sagte Präsident Rüdiger Fritsch, dessen linker Brillenbügel bei den Feierlichkeiten vor der Trainerbank auf der Strecke geblieben war.

„Wir sind Freunde und nicht nur Kollegen“, nannte Kapitän Aytac Sulu das Erfolgsgeheimnis der Südhessen, nachdem der Abwehrmann, der sich im Hinspiel einen lockeren Zahn selbst gezogen und zuvor bereits wochenlang wegen kaum ausgeheilter Gesichtsfrakturen mit einer Maske gespielt hatte, nach dem Schlusspfiff weinend zu Boden gesunken war.

„Uns wollte keiner mehr. Aber jetzt haben wir bewiesen, was wir draufhaben“, fügte der Deutschtürke an, bevor er von einem Fan zum Verdruss seiner kleinen Tochter Aylin mit Bier übergossen wurde. Doch auch danach stellte sich der 29-Jährige bereitwillig zu einem Foto mit einem weiteren Anhänger, obwohl dieser ihm torkelnd in die Arme gefallen war.

Gemeinschaft von Gescheiterten

Dass die Darmstädter den wohl besten Teamgeist aller Profiklubs besitzen, liegt auch daran, dass der Zweitligazweite eine Gemeinschaft von Gescheiterten ist, aus der Trainer Dirk Schuster ein Siegerteam formte. So kickte Sulu zuvor beim österreichischen Zweitligisten Altach, während Flügelspieler Marcel Heller bei Eintracht Frankfurt ebenso ausgemustert wurde wie Offensivmann Sailer und Torjäger Dominik Stroh-Engel beim Drittligisten Wehen; Rechtsverteidiger Leon Balogun war arbeitslos.

„Wir sind eine Arbeitertruppe und eine einzigartige Gemeinschaft“, sagte Heller. „Bei uns ist jeder bereit, für den anderen Vollgas zu geben“, sagte Schuster. Der jetzige Coach hatte im Mai 2013 nach der Fast-Insolvenz 2008 den sportlichen Abstieg in die Regionalliga nicht verhindern können, bevor die Lilien nur wegen des Lizenzentzugs von Kickers Offenbach drittklassig blieben und das Darmstädter „Märchen“, so Fritsch, seinen Lauf nahm.

„Unser Trainer ist der Vater des Erfolgs. Er weiß, wie er uns anzupacken hat“, sagt Sulu über Hobbymarathonläufer Schuster, der mit vielen Wettkampfformen und Wetten den Ehrgeiz seiner Spieler auch im Training anstachelt und deren Leistung mit Punkten bewertet hat. Während der Führende mit einem Foto vier Wochen lang in der Kabine als „Mitarbeiter des Monats“ gewürdigt wird, muss der Letzte im Training ein rosafarbenes Leibchen mit der Aufschrift. „Fehleinkauf“ tragen. „Wir können nicht normal“, sagte der 47-jährige vierfache Nationalspieler und frühere Karlsruher Verteidiger, der auch drei Länderspiele für die DDR bestritten hat.

Für Pep wird durchgewischt

„Als die größte Story der Bundesligageschichte“, bezeichnete Darmstadts Oberbürgermeister Jochen Partsch die Erstligarückkehr der Lilien nach 33 Jahren, die diese mit dem Mini-Etat von 5,8 Millionen Euro schafften. Mit dieser Summe lag der Darmstädter Haushalt unter dem des letztjährigen Erstligaaufsteigers Paderborn (6,2). Nun freuen sich der gebürtige Chemnitzer Schuster, der den DFB-Fußballlehrerlehrgang 2007 als Jahrgangsbester abgeschlossen hatte, und sein Team auf die Bayern.

„Wenn der Pep kommt, werden wir die Kabine noch einmal durchwischen“, sagte Fritsch in Anspielung auf die an eine Schulturnhalle erinnernde Umkleide direkt neben dem Presseraum, während der angeheiterte Torwart Christian Mathenia in Richtung des Bayern-Trainers Josep Guardiola sagte: „Nimm dich in acht. Die Kabine stinkt enorm. Schon mal viel Spaß“, was Stroh-Engel bestätigt: „Die Bundesligamannschaften können sich auf Schimmel in der Kabine, kalte Duschen und eine eklige Darmstädter Mannschaft freuen. Die Bundesliga wird für uns wahrscheinlich ein Lehrjahr und wir werden wie Paderborn als erster Absteiger gehandelt werden“, fügte er an.

Spielern, die er verpflichten will, zeigt Schuster erst einmal das nur 16.150 Zuschauer fassende marode Stadion, das erst ab Herbst 2017 umgebaut werden soll. „Wir haben in der Bundesliga eigentlich nichts zu suchen“, hatte Schuster vor ein paar Tagen gesagt. Das kann man auch anders sehen.

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