Bürgerwissen ist gefragt: Forschungs-Hiwis oder Partner?

Die erste Citizen-Science-Konferenz in Berlin beriet über Bürgerwissenschaft. Befürchtet wird, dass Laienforscher nur als Hilfskräfte dienen sollen.

Jung und Alt machen mit bei der jährlichen Zählung der Nachtfalter in Großbritannien. Bild: imago/Newscast

BERLIN taz | Durch die deutsche Wissenschaft schwappt eine neue Welle: „Citizen Science“. Wissenschaftliche Laien sollen an der Forschung beteiligt werden. Auf der ersten Konferenz zur Bürgerwissenschaft in dieser Woche in Berlin wurden aber auch kritische Stimmen laut: Echte Wissenschaftspartizipation muss mehr sein als ehrenamtliches Insektenzählen. Bürger wollen auch über die Forschungsinhalte mitbestimmen.

Der erste Aufschlag kam von der Wissenschaft. Veranstaltet wurde der „Citizen Science Thinktank-Workshop“ (pdf) vom Berliner Museum für Naturkunde und dem Umweltforschungszentrum in Leipzig. Es war zugleich die Startveranstaltung für das Konsortium „Gewiss – Bürger schaffen wissen“, in dem neun Forschungseinrichtungen in den nächsten zwei Jahren an einer Citizen-Science-Strategie arbeiten wollen.

Konsortiumssprecherin Aletta Bonn (UFZ) unterstrich den „offenen Anfang“ des Treffens, bei dem Ideen und Inputs gesammelt und gebündelt werden sollten. „Wo sind die Potenziale? Wo sehen wir es vielleicht auch zu romantisch?“ seien Fragen, die beantworten werden sollen, um zu einer deutschen Strategie bis 2020 zu gelangen. In England und den USA gebe es eine große Tradition des „Volunteering“. Und in Australien sei auf diese Weise sei die Biodiversitätserhebung „Atlas of Living Australia“ entstanden. Vielleicht ein Vorbild für Deutschland.

Die Veranstaltung in der Berliner Kalkscheune hatte 120 Teilnehmer, überwiegend Wissenschaftler und nur wenige Vertreter von Naturschutzgruppen und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Das Bundesforschungsministerium fördert das „Gewiss“-Projekt bis 2016 mit 550.000 Euro, hinzu kommt noch die Förderung der Internet-Plattform www.buergerschaffenwissen.de mit 240.000 Euro für drei Jahre.

Treibende Kraft der Citizen-Science-Bewegung in Deutschland ist der Generaldirektor des Naturkundemuseums, Johannes Vogel. Vor seinem Berliner Amt war er Botanikkurator am legendären Londoner Natural History Museum, und baute dort die Citizen-Science-Abteilung auf 14 Mitarbeiter aus.

„Demokratie braucht wissenschaftlich sprechfähige Bürger“ ist Vogels Credo, und aus seiner Tätigkeit im nicht unumstrittenen deutschen Bioökonomierrat wisse er: „Wir müssen die Menschen bei neuen wissenschaftlichen Richtungen mitnehmen und Teilhabe gewährleisten.“

Den Umfang der Wissenschaftsinteressierten in Deutschland schätzte Vogel auf der „Gewiss“-Tagung auf die Hälfte der Bevölkerung. Davon seien drei bis fünf Prozent für eine engere Kooperation mit Wissenschaftler zu gewinnen, ein Prozent seien es derzeit.

Der neue Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, Matthias Kleiner, plädierte dafür, den Themenbereich alsbald über die Naturwissenschaften auch auf die Geistes- und Sozialwissenschaften auszuweiten.

Freiwillige Helfer und Akzeptanzstrategie

Die Interessen sind unterschiedlich. Während die praktischen Forscher sich über freiwillige Helfer freuen, die Wildschweine in der Stadt zählen oder nächtliche Lichtverschmutzung messen, mithin harte Daten wollen, haben Forschungspolitiker den weichen Faktor, die gesellschaftlichen Wissenschaftsakzeptanz, im Blick.

Matthias Graf Kielmannsegg, der seit Februar im Bundesforschungsministerium (BMBF) für strategische Fragen zuständig ist, bezeichnete es als Ziel seines Hauses, die Wissenschaft für die Bürger zugänglicher zu machen und Schranken abzubauen. Auch wenn an Wissenschaft mit Bürgerbeteiligung die Frage gestellt werde: „Ist das noch ernsthafte Wissenschaft?“, liege aus Sicht der BMBF in Citizen Science „eine große Chance für Bürger wie für die Wissenschaft“.

Dies impliziere auch neue Formen der Kommunikation zwischen beiden Seiten. „Das wird Anstrengung bedeuten.“ Es gehe um eine Verbesserung der Debattenkultur und einen stärker rationalen Diskurs „zwischen den getrennten Welten“ der Wissenschaft und der Gesellschaft. Kielmannsegg verwies an dieser Stelle auf den Streitpunkt der „Grünen Gentechnik“, ließ aber offen, ob dieses heute für Deutschland politisch verbrannte Forschungsfeld mit einer „neuen Debattenkultur“ doch hätte erhalten werden können.

Veränderungen notwendig

Der BMBF-Mann sprach von einem „grundsätzlichen Wandel hin zur Partizipation“, dem sich auch die Forschungspolitik stellen müsse. „Kulturwandel in der Partizipation“, „Wandel in der Transferkultur“ – immer wieder klingelten die Change-Metaphern in der Rede des BMBF-Strategen.

Dass dies auch Veränderungen aufseiten des Wissenschaftssystems mit sich bringen wird, ließ er bei einer kurzen Bemerkung zu politischen gewünschten „Missionsorientierung“ der Forschung durchblicken, also der Verpflichtung zur Lösung großer gesellschaftlicher Herausforderungen wie etwa dem Klimawandel. Dieser „Knackpunkt“ – der nicht nur andere Kommunikationsformate zwischen Wissenschaft und Gesellschaft erfordert, sondern eine andere Selbstdefinition von Wissenschaft in der Gesellschaft – wurde in den Workshops aber nur am Rande angeschnitten.

Andreas Kraemer vom unabhängigen Berliner Umweltinstitut Ecologic kritisierte, dass Citizen Science „von der größeren Problematik der Einbindung der Zivilgesellschaft in die Wissenschafts- und Forschungspolitik, in ihre Themenfindung, Prioritätensetzung, Wissensgewinnung und Interpretation neuen Wissens, nur ablenkt“.

Demokratisierung verhindern

Es stelle sich die Frage, so Kraemer: „Soll hier das wissenschaftlich, vor allem das tendenziell konservative, naturkundlich interessierte Volk lediglich kooptiert und damit eine echte politische Demokratisierung verhindert werden?“

Für den Bielefelder Wissenschaftstheoretiker Peter Finke, der im Frühjahr das erste Buch in Deutschland zu Citizen Science veröffentlicht hat, ist der Gesichtspunkt der Domestizierung noch gewichtiger: Die professionellen Wissenschaftslenker in den Hochschulen und Forschungsinstituten wollten die freie Bürgerwissenschaft mittels Citizen-Science-Kooperationen an die Leine legen.

„Die bislang von diesen Lenkern unbeachtete, von Stellen, Hierarchien und Nutzungsinteressen freie Wissenschaft der Bürger ist der letzte Bereich, in dem Wissenschaft noch anarchisch vonstatten geht, wo die Forschungsinteressen des Einzelnen dominieren und nicht die Lenkungsinteressen des Staats oder des Markts“, warnte Finke gegenüber der taz. Und er fügt hinzu: „Wenn die Interessen der Profiwissenschaft auch dieses Restbiotop gefährden, ist Widerstand angesagt.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.