Chappatte über Ende der „NYT“-Cartoons: „Der Mob bestimmt die Debatte“

Die „New York Times“ druckt keine politischen Cartoons mehr. Für Zeichner Patrick Chappatte ist klar: Sie ist vor den sozialen Medien eingeknickt.

Patrick Chappatte schaut in die Kamera

„Das Netz ist gleichermaßen ein Fluch und eine Chance für uns“ Foto: Eddy Mottaz

taz: Herr Chappatte, wie haben Sie von der Entscheidung der New York Times erfahren, dass diese keine politischen Cartoons mehr veröffentlichen will?

Patrick Chappatte: Ich habe vor zwei Wochen die Mail erhalten. Ich hatte aber so etwas schon seit einigen Monaten befürchtet, seit es die Kontroverse über die Netanjahu-Zeichnung von António Moreira Antunes gegeben hat. Damals schon hat die New York Times entschieden, dass keine Comicstrips mehr über Agenturen eingekauft werden. Da hieß es noch, man würde die eigenen Zeichner weiter beschäftigen. Dennoch war ich besorgt. Ich habe damals zu CNN gesagt, dass es sich für einen politischen Cartoonisten gerade anfühlt, als betreibe man Eiskunstlauf auf sehr dünnem Eis.

War das nicht schon immer so?

Selbstverständlich, aber ich spreche von dieser ganz speziellen Situation bei der New York Times, von diesem weltweiten Skandal. Die Zeitung hat sich ganze fünfmal geäußert – zwei Stellungnahmen, ein Editorial, eine Kolumne und eine Verlautbarung des Herausgebers. Ich muss sagen, ich war überrascht – ich dachte, man hätte die Wogen geglättet und dass wir das hinter uns lassen könnten.

Jahrgang 1967, ist ein Schweizer Karikaturist. Über 20 Jahre zeichnete er für die New York Times – bis sie ihm vorletzte Woche kündigte. Er arbeitet weiter für Le Temps, NZZ am Sonntag und den Spiegel.

Es handelte sich bei der als antisemitisch kritisierten Karikatur ja nicht um Ihr Werk.

Was für eine Ironie. Ich habe mich schon weltweit für Zeichner eingesetzt, die im Gefängnis waren, im Exil oder die entlassen wurden. Aber es ist mir nie untergekommen, dass jemand seinen Job wegen der Zeichnung eines anderen verloren hat.

Eine Karikatur zeigt Donald Trump mit einer Kippa, er hält Benjamin Netanjahu als Hund

Trump mit Kippa, Netanjahu als Hund – diese in der „NYT“ erschienene Karikatur wurde stark kritisier Foto: New York Times

Auf Ihrer Webseite kommentieren Sie den Schritt der New York Times und zeigen Verständnis für Redaktionen, die unter dem Druck eines, wie Sie sagen, „moralistischen Mobs“ stünden.

Ich habe nichts von „Verständnis“ geschrieben. Ich kritisiere ein Phänomen, dass uns wieder und wieder begegnet in letzter Zeit. Einfach gesagt: Es gibt neue Medien, die stärker sind als die alten. Nämlich soziale Medien. Und in den sozialen Medien bestimmt der Mob die Debatte.

Was die Kritik an der skandal­trächtigen Netanjahu-Karikatur angeht, sind Sie aber doch mit dem Mob einer Meinung?

Ich distanziere mich von Online-Mobs, die wie ein Gewitter über Redaktionen herfallen, damit will ich mich nicht gemeinmachen. Wenn Sie eine unaufgeregte Diskussion über jene Karikatur möchten, gerne. Ich habe neulich ein Video gemacht, allerdings auf Französisch, in dem ich darlege, warum jene Karikatur problematisch war.

Erklären Sie's mir noch mal?

Zunächst finde ich persönlich, dass es kein besonders guter Cartoon ist, es schmerzt mich, das über einen Kollegen zu sagen, aber ich schau mir die Zeichnung ungern an. Die New York Times hätte sie nicht zeigen sollen. Es gibt da vieles, was nicht funktioniert, was problematisch ist und was dazu führt, dass viele Menschen die Zeichnung als antisemitisch wahrnehmen. Etwa, dass der Hund einen Davidstern trägt – anstatt der israelischen Flagge.

Generell ist die Darstellung von Menschen als Tiere etwas, mit dem ich meine Probleme habe. Dieses Animalisieren des anderen, das kann in eine Richtung gehen, die man vielleicht nicht intendiert hat. Dazu kommt die Kippa auf dem Kopf von Trump – das verstehe ich einfach nicht. Würde ich mit António sprechen, der ein geschätzter Kollege ist, dann würde ich ihn fragen: „Warum ist da eine Kippa? Was willst du damit sagen?“

Ich habe die Zeichnung auch einem Freund im Libanon gezeigt, einem Intellektuellen, der selbst schon unter israelischen Bomben gelitten hat. Und der sagte sofort: „Das da ist problematisch. Ein Hund mit Davidstern, das kann nicht richtig sein!“ Aber ist die Zeichnung damit antisemitisch? Ich denke nicht, dass die Absicht antisemitisch war. Dass dann sofort Vergleiche mit dem „Stürmer“ gezogen werden, finde ich unerträglich, das sollten wir unterlassen.

Können soziale Medien nicht gerade helfen, genau solcher Kritik schneller Gehör zu verschaffen?

Mehr noch, dieselben sozialen Medien, die ich eben angeprangert habe, sind ein Empowerment für politische Zeichner. Es ist paradox. Cartoons waren noch nie so sichtbar. Sie sind dort die ideale Darstellungsform. Das Netz ist gleichermaßen ein Fluch und eine Chance für uns. Mein Abschieds-Tweet vom Montagmorgen ist ja auch über ebendiese sozialen Netzwerke gegangen, deshalb sprechen wir ja jetzt gerade überhaupt miteinander.

Nur: Letztes Jahr hat die Süddeutsche Zeitung die Zusammenarbeit mit dem Zeichner Dieter Hanitzsch beendet, sehr plötzlich und rasch, wegen einer Netanjahu-Karikatur, die ich persönlich nicht für antisemitisch halte. Ich kritisiere die Haltung der Redaktionen, die nicht bereit sind, sich dem Mob entgegenzustellen.

Laut Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung gab es Gespräche mit Hanitzsch. Man habe sich einfach nicht einigen können, was eine antisemitische Zeichnung ausmacht. Das klingt nicht nach einer plötzlichen, raschen Entscheidung.

Sie machen Spaß! Die haben ihn gefeuert, und zwar wenige Tage nachdem sie seine Zeichnung für die Zeitung akzeptiert hatten. Ich bin kein Fan von Hanitzsch und ich mochte diesen Cartoon nicht – aber ich finde, das ging allzu schnell. Was bei allen diesen Fällen fehlt, und da schließe ich die New York Times mit ein, ist eine Diskussion. Die Medien sind dafür da, zu informieren, einzuordnen, zu analysieren. Aber wenn sie selbst zum Thema werden, scheitern sie.

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