Chinesischer Regisseur über Werte in China: "Vor der Wirklichkeit flüchten"

Zhao Liang hat die Doku "Together" (Panorama) mit chinesischen Aidskranken gedreht. Ein Gespräch über die Schwierigkeiten und Hintergünde.

"Sein Gesicht zu verlieren, das ist das Schlimmste." Zhao Liang will mit seinem Dokumentarfilm aufklären. Bild: berlinale

taz: Herr Zhao Liang, Sie haben da einen echten Aufklärungsfilm gedreht.

Zhao Liang: Ja. Mein Film handelt von Aidskranken in China, die aufgrund von allgemeiner Unwissenheit in der Gesellschaft diskriminiert werden. Dagegen musste dringend etwas unternommen werden.

Der Film funktioniert auch im Westen als Aufklärungsfilm.

ist einer der bedeutendsten Dokumentarfilmer Chinas. Seine Dokumentation "Together" berichtet vom schwierigen Casting Aidskranker für einen Spielfilm eines befreundeten Regisseurs. Er erzählt von Diskriminierung und Ausgrenzung, von Scham und vom Schmerz, nicht mehr Teil einer Gesellschaft sein zu können, für die es offiziell das Problem Aids kaum gibt.

Ach ja?

Man erfährt zum Beispiel sehr viel über die kulturelle Bedeutung von Scham in China.

Scham ist in China tatsächlich, so weit ich sehen kann, viel zentraler als im Westen. Sein Gesicht zu verlieren, das ist das Schlimmste.

Es geht in Ihrem Film um die Suche nach Aidskranken, die eine Rolle in einem neuen Film des bekannten Regisseurs Gu Changwei spielen sollten. Diese Suche gestaltete sich beschwerlich, weil sich die meisten Aidskranken zu sehr schämen, um öffentlich über ihre Gefühle und Schwierigkeiten zu sprechen.

Daher habe ich im Film auch die Chats mit Aidskranken inszeniert, die ich geführt habe.

Ein interessanter formaler Trick, das Unsichtbare sichtbar zu machen.

Die meisten meiner Gesprächspartner online habe ich nie persönlich kennengelernt. Und von den wenigen, die ich filmen durfte, wollten die meisten im Film unkenntlich gemacht werden.

Gu Changwei ist im Westen für seinen Film "Peacocks" berühmt, der 2005 den Silbernen Bären gewann. Dieser Film ist recht konventionell erzählt. Warum wollte dieser Regisseur plötzlich mit aidskranken Laiendarstellern drehen?

Sein Film erzählt die Liebesgeschichte zwischen zwei Aidskranken. Gu Changwei wollte so authentisch wie möglich sein. Die Intellektuellen Chinas möchten mit ihren Werken die Gesellschaft verändern. Sie engagieren sich dafür, dass sich die Gesellschaft stärker reflektiert.

Findet der chinesische Film derzeit die Wirklichkeit interessanter als die Fiktion?

Dieser Eindruck kann entstehen, wenn man nur den chinesischen Film kennt, der nach Europa schwappt und beispielsweise auf Filmfestivals gezeigt wird. Das Gegenteil ist der Fall. Innerhalb Chinas sind vor allem Filme erfolgreich, die schöne, romantische Geschichten aus dem alten China erzählen. Die Leute wollen vor der Wirklichkeit flüchten. Filme, die das echte Leben spiegeln, sind sehr rar. Es gibt immer noch viel zu wenige.

Sie sind als einer der wichtigsten Vertreter der sogenannten New Wave des chinesischen Dokumentarfilms bekannt. Warum gibt es im Augenblick - dem chinesischen Publikumsgeschmack zum Trotz - so viele interessante Dokumentarfilme aus China?

Das hat zwei Gründe. Durch die Verbreitung des Internets bilden sich die Leute immer mehr eine eigene Meinung, vor allem die jungen. Sie wollen sich nicht mehr sagen lassen, was sie denken sollen. Zweitens ist die Technik inzwischen preiswert geworden. Das Filmemachen ist viel zugänglicher geworden, es ist keine elitäre Veranstaltung mehr.

Warum drehen Sie keine Spielfilme?

Ich versuche die Welt durch die Augen der normalen Bevölkerung zu sehen. Man weiß ja, dass die Medien in China nicht gerade alle Freiheiten besitzen. Wir hoffen, ja wir fühlen uns verpflichtet, dass wir auf diesem Weg die Stimmen der einfachen Leuten festhalten und die Geschichte von unten dokumentieren können.

Wird Ihnen diese Verantwortung manchmal auch zur Last?

Es hält sich in Grenzen. Ich kann damit umgehen.

Welche Bedeutung wird dem privaten Leben in China zugestanden?

Die Gesellschaft besteht auch in China aus Individuen. Das Leben des Einzelnen ist ein wichtiger Teil der Geschichte.

Diese Überzeugung der Oral History - ist sie in China nicht eine relativ neue Erkenntnis?

Das kann man so sehen. Erinnerungen wurden unterdrückt. Das werden sie bis heute. Die jungen Leute wissen heute nichts mehr über Katastrophen wie die Kulturrevolution. Gleichzeitig entsteht in letzter Zeit nicht nur in Intellektuellenkreisen, sondern in der ganzen Gesellschaft so etwas wie ein Interesse an persönlichen Erinnerungen. Das Internet wird von Miniblogs überschwemmt, ähnlich wie hier Twitter, wo alle ihre Informationen und Erfahrungen austauschen. Diese Blogs ergeben ein differenziertes Stimmungsbild.

Entsteht in China gerade eine Zivilgesellschaft?

Womöglich. Schließlich entsteht gerade ja auch so etwas wie ein Bewusstsein für Bürgerrechte.

Haben Sie den Film in China durch die Zensur bekommen?

Ja.

Ist er in China gezeigt worden?

Ja, und die Reaktionen waren sehr gut.

"Together": 19. 2., 12 Uhr, CineStar 7

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