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Claudia Roth zur Gesellschaft der Zukunft Viele postfossile Kulturen

Kunst und Kultur können Perspektiven aufzeigen, wie postfossile Lebensformen und Gesellschaftsmodelle aussehen könnten. Sie müssen es aber nicht. Was sie aber müssen: Ihre eigenen Produktionsbedingungen ökologisieren.

Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien picture alliance/dpa

Die taz FUTURZWEI-Frage an Kulturstaatsministerin Claudia Roth: Uns droht ein Kulturkampf gegen Klima- und Zukunftspolitik. Es braucht aber eine postfossile Kultur, um die Lebensgrundlagen zu bewahren. Wie kommen wir zu dieser modifizierten Kultur? Hier ist ihre Antwort.

Derzeit haben wir es mit zwei in gefährlicher Weise gegeneinander laufenden Trends zu tun: Einerseits ist die Klimakrise bereits fühlbar, sichtbar und erlebbar, von abgeschmolzenen Gletschern über Unwetterkatastrophen, schweren Waldbränden in Südosteuropa bis hin zu Rekordtemperaturen in den Meeren. Wissenschaftler:innen zeigen sich alarmiert über das Tempo, mit dem die Klimakrise voranschreitet. Noch könnte diese vom Menschen begrenzt werden – wenn die dafür nötigen Maßnahmen rasch ergriffen werden.

Andererseits erstarken hierzulande wie noch mehr in Teilen Europas und auch weltweit politische und gesellschaftliche Akteure, die entweder die Klimakrise komplett verleugnen und versuchen, als vermeintliches Hirngespinst zu diffamieren, oder die jeden konkreten Schritt hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft in erbitterten Kämpfen als vermeintlichen Untergang unserer derzeitigen Lebensformen bekämpfen. Dabei versuchen diese Akteure auszunutzen, dass es in einer offenen und funktionierenden Demokratie selbstredend ein Ringen und auch Konflikte bis hin zu durchaus heftigen Auseinandersetzungen um den richtigen Weg geben muss. Umso mehr, als es wirtschaftliche und auch gesellschaftliche Akteure gibt, die bei dem Umbau zu einer klimaneutralen Gesellschaft etwas zu verlieren haben, wobei es ganz handfest um viel Geld, um Marktstellungen und Einfluss geht.

Das gilt vor allem, wenn es um die großen Player geht, die von unserem derzeitigen fossilen Wirtschaftsmodell besonders profitieren. Wobei andere wirtschaftliche und gesellschaftliche Akteurinnen und Akteure wiederum viel gewinnen können, insbesondere jene, die sich bereits seit einiger Zeit in Richtung Klimaneutralität aufgemacht haben und in den jeweiligen Bereichen führend sind. Entsprechend nutzt es den gegenwärtigen Platzhirschen, aus einem Interessenkonflikt um Profit und Marktstellung vermeintliche Kulturkämpfe zu konstruieren. Das lässt sich in den USA seit Jahrzehnten beobachten, die Liste der Geldgeber der Trump-Kampagne spricht hier Bände.

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Die Klimakrise ist eine Frage des Überlebens

Genau das sollten wir hierzulande und in Europa nicht in dieser Weise zulassen. Denn bei Maßnahmen zur Begrenzung der Klimakrise geht es ja gerade nicht um spezifische Interessen bestimmter Gesellschaftsgruppen oder Klientel – wie in zugegeben sehr vielen anderen Politikbereichen: Es geht um eine schlichte Überlebensfrage, die uns als Menschen alle und zwar alle gleichermaßen angeht.

Ohne Veränderungen, ohne konkrete Veränderungen, dabei auch einschneidende Veränderungen, wird es diesen Umbau nicht geben. Es ist sogar umgekehrt: Ohne die notwendigen Veränderungen wird kaum mehr etwas so bleiben können, wie es ist. Wenn wir erhalten wollen, was uns lieb und teuer ist, angefangen bei unseren Lebensgrundlagen, aber auch dem Kern unseres Wohlstandmodells, dann wird das nur mit weitgehenden Veränderungen gehen.

Wie diese Veränderungen im Einzelnen aussehen sollten und wie eine postfossile Kultur im Sinne von Lebens- und Gesellschaftsformen schließlich entstehen und wie diese aussehen können, darauf kann es sicherlich nicht nur eine Antwort geben. Vielfalt zeichnet unser demokratisches Gesellschaftsmodell aus – und ich bin überzeugt, dass es auch eine Vielfalt an postfossilen Lebensstilen geben kann.

Das braucht auch keine Abwendung von unserer Industrie- und Wissensgesellschaft zu sein, wie etwa die in Frankreich populäre Bewegung der Kollapsologie glaubt, die meint, ein Zusammenbruch unserer Form der Zivilisation sei unvermeidlich und es gehe jetzt nur darum, sich mit einem auf das Allernotwendigste beschränkte Land- und Farmerleben darauf vorzubereiten. Vielmehr ist es aus meiner Sicht beeindruckend zu sehen, welche technologischen Innovationen und Lösungen es gibt, um den Weg zu einer konsequent klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft zu gehen – und welche Chancen dabei auch die Digitalisierung eröffnet. Allerdings müsste dieser Weg nun auch konsequent eingeschlagen werden. Das allein wird sicher nicht ausreichen, dazu zählt bestimmt auch, dass wir uns von Grundlogiken unserer Konsumgesellschaft verabschieden, um nur ein Beispiel zu nennen. Wobei es für immer mehr Menschen in unserem Land vermehrt um die schlichte Frage geht, über die Runden zu kommen. Was wir bei Fragen der ökologischen Transformation übrigens noch stärker in den Blick nehmen sollten, meine ich.

CLAUDIA ROTH ist Staatsministerin für Kultur und Medien. Davor war sie unter anderem Bundesvorsitzende der Grünen, Managerin einer Rockband und Theater-Dramaturgin.

Ein gemeinsamer demokratischer Werterahmen

Eine offene und lebendige Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass es ein zivilisiertes Ringen darüber gibt, was die richtigen Wege sind. Dieses Ringen kann auch streitbar und mit heftigen Auseinandersetzungen geführt werden, solange das in zivilisierter Weise und mit einem gemeinsamen Grundverständnis für das Ziel getan wird, die Klimakrise noch so weit wie möglich zu begrenzen. Zudem braucht es einen gemeinsamen demokratischen Werterahmen, um damit letztlich den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken. Denn eine zentrale Strategie antidemokratischer, reaktionärer Kräfte ist es, Konflikte und unterschiedliche Auffassungen, Einstellungen und Interessen zu instrumentalisieren, um zu spalten, Gruppen gegeneinander aufzuhetzen und auszuspielen – und damit den Zusammenhalt unserer Gesellschaft nachhaltig zu beschädigen.

Eine weitere wichtige Voraussetzung für dieses zivilisierte gemeinsame Ringen ist allerdings eine möglichst breite Teilhabe wirklich aller Bürgerinnen und Bürger in unserer pluralistischen Demokratie. Daran mangelt es zumindest in der Wahrnehmung vieler Menschen in diesem Land immer mehr. Das zeigen Studien zum Rückgang des Vertrauens in die Politik, in den Staat und den ihn tragenden Institutionen, ja auch in wichtige Säulen unseres Gesellschaftsmodells wie die Medien oder die Wissenschaft. Auch auf diese besorgniserregende Entwicklung kann es bestimmt nicht nur die eine Antwort geben.

Aber genau zu diesen Fragen kommt aus meiner Sicht die Kultur ins Spiel, Kultur im engeren Sinne, nicht in der erweiterten Bedeutung als Lebensform. Denn Kultur kann und sollte nach meiner Auffassung noch mehr Räume für den Austausch, die Verständigung, für gemeinsame und geteilte Erfahrungen und Erlebnisse und für eine möglichst breite gesellschaftliche Teilhabe bieten. Kunst und Kultur können aufzeigen, wie Veränderungen aussehen können, sie stellen Denkgewohnheiten infrage, brechen diese auf, eröffnen Visionen, Utopien und erlauben neue, ungewohnte Perspektiven – auch darauf, wie postfossile Lebensformen und Gesellschaftsmodelle aussehen könnten.

Kunst hat auch in der Vergangenheit gesellschaftliche Umbrüche gespiegelt, sich mit diesen auseinandergesetzt, wichtige Impulse gegeben und sie mit vorangetrieben. Die beeindruckende Ausstellung Secessionen, die derzeit in der Alten Nationalgalerie in Berlin zu sehen ist, zeigt das etwa für die Umbruchszeit Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts.

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Die Welt muss wieder schön werden

Wer Ernst machen will, muss verstehen, warum wir nicht gegen die Klimakrise handeln, obwohl wir alles wissen: Ohne Kulturwandel kein Weltretten.

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Kunst kann Möglichkeitsräume eröffnen

Denn Kunst und Kultur kann aktuelle Fragen und die kaum mehr zu überblickende Komplexität unserer Realität thematisieren, damit zusammenhängende Ängste und Unsicherheiten spiegeln und beleuchten. Es ist beeindruckend zu sehen, wie ein Film wie Oppenheimer in diesem Sommer ein breites und sehr gemischtes Publikum in die Kinos gebracht hat. Das ist nicht nur eine gute Nachricht für den wichtigen Kulturort Kino, dem die Pandemie schwer zugesetzt hat. Der Film Oppenheimer hat angesichts eines verbrecherischen Angriffskrieges der Nuklearmacht Russland auf die Ukraine in unserer direkten Nachbarschaft offenkundig einen Nerv getroffen. Er erlaubt es, über die hohen Risiken der Atomkraft sowie insbesondere der Atombombe und der politischen Folgen seit ihrer Erfindung zu diskutieren, sich dazu kollektiv mit anderen auszutauschen – damit auch eigene Ängste und Unsicherheiten zu adressieren. Gerade die Kunstform Film kann auch das Thema der Klimakrise aufgreifen, sie kann die Folgen des menschengemachten Klimawandels zeigen und das Publikum sensibilisieren, für Konflikte und für Lösungen. Nicht pädagogisch, nicht propagandistisch, sondern als Impulsgeber, als ein »Imaginationsmotor«. Denn ein Antrieb unseres Lebens und auch unserer Fähigkeit zu überleben, war von Beginn an unsere Vorstellungskraft.

Was mir sehr wichtig ist: Kultur kann in diesem Sinne einen Beitrag leisten – und tut es bereits in hohem Maße –, sie muss es aber selbstverständlich nicht! Sie sollte auf keinen Fall dafür funktionalisiert oder instrumentalisiert werden. Es wird als Kulturstaatsministerin immer mein erstes und vorrangiges Ziel sein, die Kunstfreiheit zu schützen und auch dafür zu sorgen, was eine wertvolle Besonderheit von Kunst ist, dass diese zweckfrei ist, dass diese eben nicht einen bestimmen Zweck erfüllen, einem bestimmten Zweck dienen muss. Gerade das macht den besonderen, demokratischen Freiraum von Kunst aus. Genau deshalb kann sie dann auch wichtige Möglichkeitsräume und Freiheitsräume eröffnen.

Was die Kulturbranche allerdings dringend tun muss, ist, in Bezug auf die Rahmenbedingungen für die Produktion, für die Herstellung von Kunst, auch ihren Beitrag für eine ökologische Transformation leisten. Genau da setze ich als Kulturstaatsministerin entschieden an: etwa im Filmbereich mit Green Shooting, wo seit März 2023 die Einhaltung ökologischer Standards Voraussetzung für eine Filmförderung durch den Bund ist. Durch die Schaffung einer Anlaufstelle Green Culture, die bei der ökologischen Transformation im Kulturbereich Ansprechpartner, Kompetenzzentrum und nicht zuletzt Antreiber sein soll. Durch das Voranbringen eines »Cradle to Cradle«-Guidebook mit dem Ziel, die Kreislaufwirtschaft bei Konzerten und Großveranstaltungen voranzubringen.

Das sind nur einige Beispiele und Schritte – aber genau solche konkreten Schritte in Richtung Klimaneutralität brauchen wir. Denn ja, in dem von mir skizzierten Sinne: Kultur hat eine eminent wichtige Rolle beim Weltretten.

CLAUDIA ROTH ist Staatsministerin für Kultur und Medien.

Dieser Beitrag ist im September 2023 im Magazin taz FUTURZWEI N°26 erschienen.