Covid-Behandlung in Peru und Bolivien: Nicht genug Sauerstoff

Wegen eines Monopols ist in Peru der Sauerstoff knapp. In Bolivien ist er Druckmittel für Regierungsgegner*innen.

Ein Mann umgreift eine grüne Sauerstoffflasche, die fast so groß ist wie er selbst.

Mangelware: Ein Mann wartet vor einem Geschäft in Lima, um eine Sauerstoffflasche aufzufüllen Foto: Martin Mejia/ap/dpa

LIMA/BOGOTÁ taz | Seit fünf Uhr früh herrscht Hochbetrieb an der Avenida Alfredo Palacios, mitten im Industrieviertel der Hafenstadt Callao bei Lima. Vor dem Gebäude der Firma Criogas hieven Menschen mit Schutzmasken schwere Sauer­stoffflaschen aus Taxis. Alle haben zu Hause Angehörige, die am Coronavirus erkrankt sind. Bei Criogas zahlen sie umgerechnet „nur“ 50 Euro für eine Zehn-Kubikmeter-Flasche. Besitzer Luis Barsallo wird in den peruanischen Medien deswegen als „Sauerstoff-Engel“ gefeiert.

Denn viele spekulieren mit dem knappen Gut. Luis Barsallo musste die Polizei rufen, um Streit mit Spekulanten zu schlichten, die seinen Sauerstoff teuer weiterverkaufen wollten. Seitdem schieben 15 Soldaten bei ihm Wache. Selbst kauft Barsallo seine Ware im Ausland. Wo genau, will er nicht sagen.

Seit Mitte März hält das Coronavirus Peru fest im Griff. Fast genauso lange ist bekannt, dass das Land ein Sauer­stoff­pro­blem hat. Ende April hatte die staatliche Ombudsstelle vor Sauer­stoff­mangel gewarnt und der Regierung geraten, Preiskontrollen einzuführen. Doch der Mangel hält bis heute an. Me­di­zi­ne­r*innen halten ihn mitverantwortlich dafür, dass in Peru besonders viele jüngere Menschen ohne Vorerkrankungen an Covid-19 sterben. Eine rechtzeitige Gabe von Sauerstoff könnte einen schweren Verlauf der Krankheit in vielen Fällen verhindern.

Eine junge Frau liegt in einem Krankenhausbett und ist an einen Tropf angeschlossen.

Viele Patienten in Peru sind auf die Versorgung mit dem Sauerstoff angewiesen Foto: Rodrigo Abd/ap

Grund für den Mangel ist nicht nur die hohe Zahl der Infizierten, sondern eine technische Vorschrift und das Sauerstoffkartell von zwei internationalen Firmen. 2010 legte das Gesundheitsministerium fest, dass nur 99-prozentiger Sauerstoff in Krankenhäusern verwendet werden darf. In Nachbarländern reicht ein Sauerstoffgehalt von 93 Prozent. Viele kleinere Sauerstofffirmen mussten schließen, da sie diese Norm nicht erfüllen konnten.

Medizin hält Sauerstoffmangel mitverantwortlich dafür, dass in Peru viele Junge sterben

Heute beliefert die deutsch-amerikanische Linde-Group mit ihrem Teilunternehmen Praxair 80 Prozent der Krankenhäuser. Vor sieben Jahren verhängte die peruanische Kartellbehörde ein Bußgeld von umgerechnet 5 Millionen Euro gegen Linde-Praxair und die Konkurrenzfirma Airproducts wegen illegaler Preisabsprachen. In der Pandemie zeigt sich: Der Riese liefert nicht ausreichend. Obwohl die Regierung die 99-Prozent-Norm für medizinische Sauerstoff wegen Covid-19 ausgesetzt und die medizinische Verwendung von Sauerstoff zur Priorität erklärt hat.

„Ein Menschenleben zählt nichts hier in Peru. Und internationale Konzerne bereichern sich an der Pandemie“, kritisiert Kardinal Pedro Barreto öffentlich. Seine Diözese Huancayo ist vom Coronavirus schwer getroffen. Dabei wäre die Lösung für den mangelnden Sauerstoff so nahe, sagt Barreto: Im 120 Kilometer entfernten La Oroya stehen zwei industrielle Sauerstoffanlagen in einer stillgelegten Metallschmelze. Die Anlagen seien dieselben wie für medizinischen Sauerstoff, sagt Inge­nieur Arturo Berastain, Sprecher einer Ingenieurs- und Ärztegruppe aus Huancayo. Nur die Abfüllung für medizinische Zwecke unterliege speziellen Auflagen.

Besitzerin der Anlagen in La Oro­ya ist die Linde-Group. Deren peruanischer Geschäftsführer Julio Caceres hält eine Wiederinstandsetzung innerhalb kurzer Zeit allerdings für unmöglich. Zu veraltet sei die Technologie, zu lange seien die Anlagen schon außer Betrieb, sagte er der Tageszeitung Gestion.

Während Kardinal Barreto einen Konzern für den Mangel verantwortlich macht, benutzen Demonstrierende im 1.700 Kilometer entfernten Bolivien den Sauerstoffmangel als politisches Druckmittel. An­hän­ge­r*innen der MAS-Partei von Evo Morales und somit Geg­ne­r*in­nen der umstrittenen Übergangspräsidentin Jeanine Áñez blockieren seit einer Woche wichtige Straßen. Die Demonstrierenden fordern, dass die erneut verschobenen Präsidentschaftswahlen wie geplant am 6. September stattfinden. Das oberste Wahlgericht hatte den Termin wegen der Pandemie erneut auf den 18. Oktober verschoben.

Krankenwagen und Helfer in Schutzkleidung.

Corona in Bolivien: Ein Krankenwagen bringt Covid-19-Patienten in El Alto in ein Krankenhaus Foto: Juan Karita/ap

Nach eigenen Angaben haben die Demonstrierenden 6 Millionen Menschen von Benzin und Lebensmitteln, aber auch von Sauerstoff abgeschnitten – was laut Staatsanwaltschaft bereits mindestens 23 Covid-19-Kranke das Leben gekostet hat.

Das Verteidigungsministerium hat seit einer Woche eine Luftbrücke für Sauerstoff eingerichtet. Diese reiche aber nicht aus, um den Westen des Landes damit zu versorgen, sagte Verteidigungsminister Fer­nan­do López der Zeitung El Deber. „Wir bitten die Menschen, die blockieren, dass sie sich ein Herz fassen. Wir retten Leben, das ist nicht politisch, das hat mit Nächstenliebe und Liebe für die Bolivianer zu tun.“

Die Staatsanwaltschaft von La Paz sprach am Montag Haftbefehle aus gegen den Chef des Dachverbands der Gewerkschaften COB sowie den Ex-Präsidenten Evo Morales, den Präsidentschaftskandidaten der MAS-Partei Luis Arce, der die Umfragen anführt, und seinen Vize David Choquehuanca wegen des Todes von Menschen als Folge der blockierten Sauerstofftransporte. Außerdem wurden Haftbefehle erteilt gegen fünf Menschen, die die Durchfahrt von Krankenwagen blockierten. Die Regierung des Landes hat angedroht, die Blockaden mit Gewalt aufzulösen. Im November 2019 waren bei ähnlichen Aktionen zwei Dutzend Menschen gestorben.

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