Cybermobbing trifft besonders oft Frauen: Angriff auf die Intimität

Jede fünfte Frau in Europa wurde bereits im Internet belästigt. Die Behörden sind bei der Verfolgung dieser Straftaten überfordert.

Ein Smartphone mit dem Bild eines Frauenkörpers in Unterwäsche

Gestohlene Bilder, aus Rache veröffentlicht Foto: dpa

BERLIN taz | Eines Morgens kam sie nicht mehr an ihre E-Mails. Auch ihr Facebook-Account war blockiert. Emma Holten dachte sich nichts dabei, sie hatte schon öfter ihre Passwörter vergessen. Als sie wieder Zugang hatte, wurde sie überrollt von einem E-Mail-Sturm: Nachrichten von ihr unbekannten Menschen. „Du Schlampe“, las sie da. Oder: „Schick mir mehr Nacktbilder von dir, ansonsten sage ich deinem Chef, was du in deiner Freizeit treibst.“ So was. Was war passiert?

Jemand – vermutlich ihr Exfreund – hatte Holtens Online-Konten geknackt, dort Nacktbilder von ihr gestohlen und ins Internet gestellt, inklusive ihrer Mail-Adresse. Die Folge: ein Shitstorm und unzählige anzügliche Angebote.

Das, was der Journalistin 2011 in Dänemark passiert ist, ist heute weltweit Realität: Datenklau im Internet, Identitätsmissbrauch, Veröffentlichungen von privaten Fotos und Filmen, ausspionieren, belästigen, bedrohen. Das kann jeder und jedem passieren, es betrifft aber vor allem Frauen.

Einer Erhebung der Europäischen Grundrechteagentur 2014 zufolge haben 20 Prozent der befragten Frauen in Europa Belästigung im Internet erlebt. Selbst 18 Prozent der 15-Jährigen wurden schon gestalkt. Jede fünfte Frau erhielt aufdringliche Annäherungsversuche in sozialen Netzwerken, per Mail oder SMS, häufig mit sexuellem Inhalt.

Der 25. November ist der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen.

Fachleute kennen dafür einen Begriff: digitale Gewalt, eine relativ neue Form von Gewalt gegen Frauen. Das Besondere daran: Die Nachrichten erreichen ein Massenpublikum und lassen sich aus dem Netz nur schwer löschen.

82 Prozent der Opfer waren Frauen

In Deutschland wurden im vergangenen Jahr 127.457 Personen von ihren aktuellen PartnerInnen oder ExpartnerInnen verletzt, vergewaltigt, gestalkt, beleidigt, bedroht, seelisch misshandelt und ermordet. 82 Prozent der Opfer waren Frauen, 80 Prozent der Täter Männer, sagt die Kriminalstatistik. Digitale Gewalt wurde nicht dezidiert erfasst. In der Regel geht Cybergewalt einher mit all den anderen Partnerschaftsdelikten, sagt Holger Münch, Chef des Bundeskriminalamts.

Physische und psychische Angriffe gegen Frauen, auf die der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen jedes Jahr am 25. November aufmerksam macht, weiten sich aus in den virtuellen Raum.

„Das ist eine neue Bedrohung für Frauen“, sagt die Berliner Sozialwissenschaftlerin Jenny-Kerstin Bauer: „Das Ziel der Täter ist es, das körperliche und seelische Wohlbefinden des Opfers zu verletzen und Angst zu verbreiten.“ Die Frau habe sich zwar getrennt, werde den Mann aber nicht los. Weil er sie auf Schritt und Tritt verfolge. „Er ortet ihr Handy, schickt ihr Mails und SMS und ‚kommuniziert‘ mit ihr über soziale Netzwerke“, sagt Bauer.

Solche Geschichten hört Jennifer Wörz im Frauenberatungszentrum Köln regelmäßig. Die Sozialarbeiterin sagt: „Immer häufiger klagen Frauen darüber, dass sie von ihren Partnern und Expartnern nicht nur in der Realität, sondern jetzt auch verstärkt im Netz verfolgt und bedroht werden.“

Die Frauen in der Beratungsstelle erzählen von unzähligen Hassmails, herabwürdigenden Blogeinträgen und ekelhaften Posts ihrer Expartner. „Manchmal belästigen die Täter sogar Freunde des Opfers“, sagt Wörz: „Sie schimpfen über das Opfer und plaudern Intimitäten aus.“

Spionagesoftware

Manche Täter installieren Spionagesoftware, sogenannte Spy Apps, auf den Handys und Computern der Opfer. Die Apps, die es vielfach kostenlos im Netz gibt, heißen Spy Message, Incognito oder Spy für WhatsApp. Die App Couple Tracker wurde angeblich für Eltern entwickelt, die ihre Kinder überwachen wollen. Genutzt wird sie jedoch vor allem von eifersüchtigen und ihre Partnerin kontrollierenden Männern, sagt Sozialwissenschaftlerin Bauer.

Viele Frauen, die digital bedroht werden oder Hasstiraden im Netz gegen sich lesen, reagieren mit Rückzug: Sie schalten ihr Handy aus, gehen nicht mehr ins Internet. „Kurzfristig kann das eine Lösung sein“, sagt Sozialarbeiterin Wörz. „Langfristig ist es besser, den Täter anzuzeigen.“

Die Behörden sind mit digitaler Gewalt allerdings häufig überfordert, hat die Sozialwissenschaftlerin Bauer erfahren: Bei der Polizei wachse zwar das Bewusstsein für digitale Gewalt. Aber sie kenne keinen einzigen angezeigten Fall, bei dem es zu einem Strafverfahren gekommen sei.

Rechtlich sei digitale Gewalt schwer zu fassen, sagt die Juristin Dagmar Freudenberg: So existiere etwa für Cybermobbing kein Gesetzestext, es gebe nur übergreifende Gesetze, zum Beispiel aufgrund von Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung. Cybermobbing muss unter Strafe gestellt werden, fordert die Leiterin der Fachstelle für Opferschutz in Niedersachsen.

Emma Holten hat sich selbst gewehrt. Drei Jahre nach dem Vorfall hat sie selbst gemachte Nacktfotos von sich ins Netz gestellt. Damit wollte sie zeigen: Ich allein entscheide über meinen Körper, meine Online-Existenz und darüber, was andere von mir sehen und wissen dürfen. Der Zuspruch im Netz war groß.

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