DFB-Team gewinnt in Schottland: Gefärbte Wahrnehmung

Nach dem 3:2 Sieg in Glasgow ist der DFB-Elf die EM- Teilnahme 2016 kaum noch zu nehmen. Die Partie reden sich jedoch beide Teams schön.

Gordon Strachan

Verblüffend blond und stolz auf seine Spieler: Gordon Strachan, Trainer der schottischen Elf Foto: reuters

GLASGOW taz | Ein paar deutsche Fußballfans hatten die Sache mit der schottischen Nationaltracht falsch verstanden. Sie spazierten am Montag vor dem Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft im nächsten Jahr in Frankreich in braunen Faltenröcken, vermutlich aus den Schränken ihrer Ehefrauen, durch Glasgow. Die Schotten, die sich zu sportlichen Großereignissen gerne den Kilt anziehen, nahmen es belustigt zur Kenntnis. Auswärtige Fans haben in Schottland aber nichts zu befürchten, Polizisten waren rar am Montagabend.

Es entwickelte sich ein munteres Spiel, was vor allem an den Stärken und Schwächen der deutschen Mannschaft lag. Nach vorne lief es prima, die Pässe kamen an, und man hatte Geduld, die Schotten, die manchmal acht oder neun Spieler am eigenen Strafraum versammelt hatten, zu überwinden. Das war vor allem Thomas Müllers Verdienst. Seine Laufwege sind dermaßen unorthodox, dass er unberechenbar ist – zwei Tore erzielte er selbst, das dritte von Ilkay Gündogan bereitete er vor.

Aber die Verteidigung! Lediglich der Berliner Jerome Boateng machte einen souveränen Eindruck und hätte zum „Mann des Spiels“ gewählt werden müssen. Stattdessen wurde es Gündogan, der zwar den Siegtreffer erzielt hatte, aber beim zweiten schottischen Tor als scheinbar unbeteiligter Beobachter des Geschehens auf der Torlinie stand und dadurch das Abseits aufhob.

Bundestrainer Joachim Löw meinte hingegen, man habe das Spiel jederzeit im Griff gehabt. „Die schottischen Fans bejubelten jeden Ball, der in den deutschen Strafraum kam“, sagte er, „aber ich kann mich an keine einzige Chance aus dem Spiel heraus erinnern.“ Doch auch Standardsituationen gehören zum Spiel, und bei denen patzte die deutsche Mannschaft zweimal.

Kein guter Tag für Emre Can

An beiden Gegentoren waren Torwart Manuel Neuer und besonders Außenverteidiger Emre Can beteiligt. Der hatte keinen guten Tag. Vor dem zweiten Tor hatte er eine unnötige Ecke verursacht, vor dem ersten Tor einen Freistoß, der eigentlich ein Elfmeter war. Der niederländische Schiedsrichter Björn Kuipers verlegte den Tatort aber gnädig um einen Meter, obwohl die deutschen Fans ständig lautstark skandierten: „Ohne Holland fahr´n wir zur EM!“ Neuer klatschte seinem Verteidiger Mats Hummels den Ball vor die Brust, von wo er ins Tor sprang. Englands früherer Mittelstürmer Gary Lineker twitterte daraufhin: „Die Deutschen sind so gut, dass sie alle Tore selbst erzielen.“

Schottlands verblüffend blonder Trainer Gordon Strachan sagte nach dem Spiel, er sei sehr stolz auf seine Spieler. „Wir waren wie ein Boxer, der immer wieder aufsteht, nachdem er zu Boden geschlagen wurde“, sagte er. Es habe lediglich etwas Glück gefehlt. „Es war eine fantastische Vorstellung, wir sind nur einen Bruchteil davon entfernt, perfekt zu spielen.“ Was ist bloß in dem Haarfärbemittel enthalten?

Die Niederlage gegen Deutschland mag einkalkuliert gewesen sein, aber in jeder Qualifikationsrunde der vergangenen 17 Jahre gab es für die Schotten ein Spiel, das ihnen alles vermasselte. „Als ich noch spielte, war es das 2:2-Unentschieden gegen Belgien im Hampden Park, das unsere Chancen auf die WM-Teilnahme 2002 ruinierte“, sagte Ex-Nationalspieler Billy Dodds am Montag.

Die Belgier, nach einem Platzverweis nur noch zu zehnt, erzielten Sekunden vor dem Abpfiff den Ausgleich. „Ich fürchte, diesmal ist es die Niederlage in Georgien am vergangenen Freitag“, glaubt Dodds. Die Schotten hatten an diesem langen Wochenende von sechs Punkten geträumt, auf vier gehofft und mit dreien fest gerechnet. Eine Niederlage in Georgien hatte niemand auch nur in Betracht gezogen.

Alex Ferguson macht Mut

Noch ist es aber nicht vorbei. Alex Ferguson, die Trainerlegende von Manchester United, machte seinen Landsleuten Mut. Er wurde im Stadion genauso bejubelt wie Jock Stein, bei dem er 1986 als Assistenztrainer der schottischen Mannschaft seine Karriere begonnen hatte.

Stein ist zum besten schottischen Trainer aller Zeiten gewählt worden. Morgen ist sein 30. Todestag. Es war der 10. September 1985. Schottland trat in Wales an und benötigte noch einen Punkt, um sich für die Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko zu qualifizieren, lag aber 0:1 zurück. In der 81. Minute gab es einen Elfmeter für Schottland, Ersatzspieler Davie Cooper traf, und Stein erlitt vor Aufregung einen Herzinfarkt. Sein Team qualifizierte sich, aber Stein starb noch im Stadion.

Eine direkte Qualifikation erscheint diesmal unwahrscheinlich, aber der dritte Platz, der zu einem Entscheidungsspiel berechtigt, ist noch möglich. Jetzt liegt man vier Punkte hinter den Iren und benötigt Schützenhilfe von der deutschen Mannschaft, die am 8. Oktober in Irland gewinnen sollte, was ihr nicht allzu schwer fallen dürfte.

Schwerer wird es für die Schotten, am selben Tag Polen im Hampden Park zu besiegen. Strachan meint, er habe zwar Respekt vor den Polen, aber sie seien nicht so stark wie die Deutschen: „Niemand kann den Ball so laufen lassen wie die Deutschen.“ Am letzten Spieltag drei Tage später treten die Schotten in Gibraltar an, und die Iren in Polen. Der deutschen Mannschaft dürfte es egal sein. Ein Punkt im nächsten Spiel in Dublin würde ihnen schon genügen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.