DISKRIMINIERUNG: "Gleiche Rechte hatte ich nie"

Die Cellerin Heide Rose Gathmann konnte in den 60er Jahren nur Pastorin werden, weil sie unverheiratet blieb. Sie ist heute 82 und erzählt, dass damals mancher Pfarrer nicht einmal ihre Täuflinge anerkannte.

Ist mit ihrem Werdegang zufrieden: Heide Rose Gathmann. Bild: Joachim Göres

Heide Rose Gathmann ist 82 Jahre alt und lebt allein in einem Reihenhaus in einem Stadtteil von Celle. Freundinnen in ihrem Alter geht es ähnlich, die Kinder sind aus dem Haus, der Mann ist gestorben. Die Theologin musste dagegen notgedrungen auf eine eigene Familie verzichten. Denn in den 50er Jahren konnten Frauen in der evangelischen Kirche nur unverheiratet Pastorin werden. „Das war damals halt überall so“, sagt Gathmann. Ein Satz, der aus ihrem Mund nicht nach Verbitterung oder Resignation klingt, sondern eher Freude darüber ausdrückt, dass die Benachteiligung von Pastorinnen, die sie selbst erlebte, inzwischen vorbei ist.

Die in Woltersdorf bei Berlin aufgewachsene Frau hat früh gelernt, auf eigenen Füßen zu stehen: 1953 zog ihre Mutter in den Westen, wo bereits der Vater lebte. Heide Rose Gathmann, gerade 24 Jahre alt, blieb in der DDR, studierte nach der Ausbildung zur Erzieherin an der Berliner Humboldt-Uni Theologie und war seit Anfang der 60er Jahre vor allem in der kirchlichen Jugendarbeit aktiv.

„Es war ganz selbstverständlich, dass ich Gottesdienste halten und Kinder taufen konnte.“ 1965 wurde der Ausreiseantrag genehmigt, den sie gestellt hatte, um sich im Westen um die pflegebedürftigen Eltern zu kümmern. „Im Osten hatten die Pastorinnen die gleichen Rechte wie die Pastoren“, sagt sie. „Als ich nach Niedersachsen kam, habe ich gemerkt, dass es hier anders lief.“

Gathmanns erste Station war Altwarmbüchen, damals eine Zweigstelle der Kirchengemeinde Hannover-Kirchhorst. Die eigenständige Leitung einer Gemeinde durch eine Theologin war 1965 in der hannoverschen Landeskirche unmöglich; der Pastor in Kirchhorst war ihr Vorgesetzter. Von den Kindern in Altwarmbüchen wurde sie dagegen schnell geschätzt. „Unser Pastor ist eine Frau“, sagten sie – das Wort Pastorin kannte niemand.

Zwei Jahre später fing Gathmann als Beihilfe des Superintendenten in Celle an. Sie wurde im Kirchenkreis Celle immer dorthin geschickt, wo gerade Bedarf war. Sie vertrat erkrankte Pastoren, arbeitete in der Krankenhaus- und Gefängnisseelsorge und unterrichtete an einem Gymnasium Religion.

Sieben Jahre war Gathmann in der Gemeinde Celle-Neustadt tätig, als zweite Pfarrkraft hinter dem Pastor. Sie predigte im Gottesdienst, traute Paare, beerdigte Verstorbene. Gleichberechtigt war sie trotzdem nicht. „Ich habe den Konfirmandenunterricht abgehalten, aber es war klar, dass der Pastor die Jugendlichen konfirmiert.“

Im Osten wurde Gathmann von den Kollegen ganz selbstverständlich als Schwester angeredet. „Im Kirchenkreis Celle war ich die einzige Frau unter 40 Pastoren. Die sprachen sich untereinander mit Bruder an, aber das Wort Schwester mir gegenüber kam ihnen nicht über die Lippen, sondern sie nannten mich Frau Pastorin. Das hat mich verletzt.“ Ein Dorfpastor erkannte gar die Taufen von ihr nicht an. Er war der Meinung, dass Taufen nur gültig seien, wenn sie von einem Mann vorgenommen würden.

Mit Gemeindemitgliedern hatte Gathmann dagegen kaum Probleme. „Es gab ein paar konservative Männer, die Abstand hielten. Aber gerade Frauen freuten sich, wenn ich zu ihnen im Gemeindehaus in die Küche kam und mithalf. Ich war ihnen näher als der Pastor.“

1976 bekam Gathmann dann ihre erste feste Stelle als Pastorin in der Celler Kreuzkirchengemeinde. Ihr Kollege war als Inhaber der ersten Pfarrstelle auch für die Verwaltung zuständig. Gathmann akzeptierte die Unterschiede, freute sich, dass sie weniger Zeit mit Papierkram und mehr Zeit mit den Menschen in der Gemeinde verbringen konnte. Ob die männlichen Kollegen besser bezahlt wurden, danach hat sie nie gefragt.

Eine Stelle in einer großen Kirchengemeinde dagegen hätte sie nicht gereizt. „In der Celler Stadtkirche sieht man in dem riesigen Raum keine Gesichter, erkennt nicht, ob man mit dem Gesagten ankommt. Ich habe immer den persönlichen Kontakt gesucht und viele Hausbesuche gemacht“, sagt sie.

Bis heute ist die agile Frau mit den kurzen grauen Haaren den Menschen zugewandt – sie lächelt viel und spricht in klaren, deutlichen Sätzen. Sie pflegt langjährige Beziehungen, besucht gemeinsam mit anderen Frauen regelmäßig Altenheimbewohner und leitet noch regelmäßig die Bibelstunde in ihrer letzten Kirchengemeinde. Ab und zu feiert sie sogar mit Seniorenkreisen das Abendmahl und wird von einigen Gemeinden als Pastorin zum Gottesdienst eingeladen. In ihrem Wohnzimmer steht ein Cello, auf dem sie gerne spielt. Im Treppenhaus erinnern viele Fotos an die Gegend der Kindheit und Jugend. Im Arbeitszimmer ist das große Buchregal randvoll mit Literatur, vor allem Fachbücher von A wie Apokalypse bis W wie Wunder. Wohl fühlt sie sich an ihrem Schreibtisch, an dem ihre Predigten entstehen, und dort möchte sie auch fotografiert werden.

Ihren Entschluss, Pastorin zu werden und dafür auf eine eigene Familie zu verzichten, hat Gathmann übrigens in all den Jahren nicht bedauert: „Ich hätte furchtbar gerne geheiratet und Kinder gehabt, aber im Studium war ich viel älter als die anderen, die direkt von der Schule kamen. Die Chance, einen Mann in meinem Alter kennenzulernen, waren damals nicht so groß, denn viele sind im Krieg gefallen“, sagt sie. Aber sie habe nie gehadert und ihren Weg als Gottes Willen angesehen. „Dagegen haben viele der Theologiestudentinnen aus meinem Semester, die geheiratet haben, darunter gelitten, dass sie nicht Pastorin werden konnten, sondern als Pfarrfrau kostenlos für die Gemeinde arbeiten mussten“, erzählt sie.

Gathmann hat nicht vergessen, was früher alles als undenkbar galt und was heute selbstverständlich ist. Und dann lächelt sie zufrieden.

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