Daniel-Richter-Schau „Hello, I love you“: Ich bin Malerei! Take it or leave it!

Mit seiner Schau in der Frankfurter Schirn verabschiedet sich Daniel Richter von den irren Menschengruppen, die ihn berühmt machten.

Daniel Richter vor einem seiner Bilder

Dort unter der Oberfläche schimmert es noch durch – das Chaos und die Farben. Foto: dpa

Es geht um Malerei. Um die und nichts weniger: Malerei als Prozess, als Technik, Malerei als Auslotung ihrer eigenen Möglichkeiten. Malerei als Farbwahl und Pinselwahl und natürlich auch als die Frage, welchen Namen man ihr am Ende geben mag. Malerei als Theorie und Praxis von Malerei.

22 neue Bilder von Daniel Richter hängen seit Donnerstag in der Frankfurter Schirn Kunsthalle, jedes einzelne davon feiert hier Ausstellungspremiere: die volle Ladung Richter, hochkonzentriert auf zwei nicht einmal so große Räume. Durch zwei hohe Giebel fällt das Tageslicht.

Nun sollte man sich das Ganze aber nicht wie ein Panorama früherer Richter-Bilder vorstellen, das in seiner Intensität wohl schon recht anstrengend sein dürfte: kreischend bunt, grell, knallig, aber eben auch höchst amüsant – wie ein fiebriger Albtraum, der sich auf das Nervenkostüm des Betrachters überträgt. Jetzt also etwas ganz anderes: Die Menschensilhouetten sind nahezu verschwunden, wie konkrete Motive überhaupt. Sie bleiben als Versatzstücke, in Form erotisch aufgeladener Gliedmaßen und Körperschemen oder als Fratzen, die geisterhaft über die Leinwand schweben.

In diesem Dazwischen aus abstrakter und figurativer Malerei sucht man immer wieder nach Anhaltspunkten. Und man glaubt sie im ein oder anderen Titel auch zu finden: Hier geht es um einen ironischen Kommentar zum Imperialismus, dort um Sexualpraktiken. Die Illusion wird sogleich lustvoll wieder zerstört, indem der Maler mitten ins Motiv eine Farbskala einfügt oder das selbige streng zweiteilt.

Schicht um Schicht konstruiert er, packt noch Farbe drauf, lässt Schlieren herunterlaufen und Ebenen, Linien, Flächen durchschimmern

„Hello, I love you“ ist noch bis zum 17. Januar 2016 in der Frankfurter Schirn Kunsthalle zu sehen. Der Katalog zur Ausstellung kostet 32 bzw. 28 Euro (vor Ort)

Von überall her scheinen die Bilder zu rufen: Ich bin Malerei! Take it or leave it! Äquivalent zum berühmten „Ceci n’est pas une pipe“-Bild des Surrealisten René Magritte, das seinen eigenen Status als Kunst schmunzelnd andeutet, verkünden Daniel Richters neue Bilder hier ganz Ähnliches, nur wie gewohnt um einiges lauter.

Geboren ist er 1962 in Eutin und in Hamburg gewissermaßen sozialisiert. Immer wieder gern angeführt: seine Nähe zum Punk, zur linken Hausbesetzerszene rund um die Hafenstraße. Der Maler Werner Büttner bringt ihn schließlich zur Kunst, verhältnismäßig spät: Mit Ende 20 nimmt er das Studium an der Hochschule für Bildende Künste auf, später wird er Assistent von Albert Oehlen.

Einer der drei großen Stars

Richters eigene Bilder bleiben bis zum Jahr 2000 streng abstrakt, wobei Daniel Richter schon damals seine typische Handschrift entwickelt: Schicht um Schicht konstruiert er seine Bilder, packt noch eine Farbe drauf, lässt Schlieren herunterlaufen und Ebenen, Linien, Flächen durchschimmern. Nochmals knapp zehn Jahre später gehen Daniel-Richter-Bilder dann plötzlich für sechsstellige Beträge unter den Hammer. Damit beginnt gewissermaßen die Geschichtsschreibung von ihm als einer der drei großen, jüngeren deutschen Maler-Stars.

Gern wird er heute in einem Atemzug mit Neo Rauch und Jonathan Meese genannt, alle drei sind ähnlichen Jahrgangs und ähnlich erfolgreich. Während Rauch dem Zirkus um Kunst und Person aber lieber fernbleibt und Meese eine richtige Inszenierung draus macht, befindet sich Daniel Richter irgendwo zwischen diesen Polen: Er ist gefragt als meinungsstarker, bisweilen auch schnoddriger Kommentator des aktuellen Geschehens, aber er erklärt auch sehr gut und gern die Malerei anderer Künstler und seine eigene – nicht interpretierend, aber durchaus beschreibend, so dass auch Laien kapieren, was er da eigentlich macht.

Das hat ihn schnell zu einem Liebling des deutschen Feuilletons gemacht, das natürlich gern auch einmal einen frechen politischen Kommentar hören möchte. Diese Erwartungshaltung bedient Richter gern und sabotiert sie ein anderes Mal – je nach Stimmung oder Kalkül.

Nun also auch die eigene Arbeit: Nach mehr als einem Jahrzehnt verabschiedet sich der Maler von den wahnsinnigen, irren, auch unwiderstehlichen Menschengruppen, die ihn so berühmt gemacht haben. Viel mehr noch als die Erwartung der anderen zerschlägt er damit aber wohl die eigene Routine. Keinen Übergang gab es (eher einen radikalen Bruch mit der Tradition) und schließlich, nach einigen Jahren im neuen Berliner Atelier, ein Ergebnis. Ist das jetzt radikale Zartheit? Die Sichtbarwerdung des denkenden Malens und malenden Denkens, wie es im Ausstellungstext heißt?

Ecstasy und Euphorie

Für Daniel Richter spielten auch diese Überlegungen eine Rolle: Hinter sich lassen wollte er die Postmoderne mit ihren Zitaten und Referenzen, hinter denen man sich so gut verstecken kann. Die Bilder, die ihn so berühmt gemacht haben, die Altlinke und Bankvorstände gleichermaßen in ihren Bann ziehen, sie waren ohne diese Referenzen gar nicht möglich gewesen. Wie ein World-Press-Photo-Award-Sieger auf Ecstasy drängten sie sich ins Bewusstsein: eine euphorisch-morbide Fieberattacke, die aller Abstraktion und Ambivalenz zum Trotz immer von einem konkreten Ereignis ausging, einer Demonstration vielleicht, einem Aufstand oder einem Fluchtversuch ins heile Europa.

Wer jetzt aber sehen möchte, was er bereits kennt oder durch Zeitungen und Online-Bildersuche zu kennen glaubt, der wird enttäuscht werden: „Hello, I love you“ ist keine Fortführung des Altbekannten, auch keine Best-of-Show geworden. Die Anekdoten sind verschwunden, ausgelöscht geradezu, und die Farben deutlich sanfter geworden: Satt, leuchtend bunt, das sind die neuen Richter noch immer (vielleicht sogar satter als je zuvor, dank Beimischung von deckendem Weiß), Violett und Gelb, Orange und Blau, Apfelgrün und Rosa.

Aber zumindest auf den ersten Blick wirkt das Chaos deutlich gebändigt, fast schon glatt gebügelt. Was auch wiederum eine hübsche Falle sein kann: Dort unter der Oberfläche, unter dem weißen Pigmentstift schimmert es noch durch, erklärt der Maler, darunter hat er Chaos und Farben platziert. Es brodelt hier und da, aber das Bild weiß es zu bändigen. Wie viel Reduktion, fragte sich der Maler während seiner Arbeit, ist wohl möglich, ohne esoterisch zu werden?

Der Wunsch, dem Ganzen eine Geschichte zu geben, bleibt trotzdem. Vielleicht lassen sich die Bilder wie die Beschreibung eines postapokalyptischen Zustands lesen, der Dialektik der Geschichte folgend: Mit einer Ursuppe startete derRichter’scheKosmos, dann trat der Mensch auf die Bildfläche, wähnte sich schon im nie enden wollenden Mittelpunkt des Universums, nur um jetzt wieder zu verschwinden, Platz zu machen für seinen noch unbenannten Nachfolger, der nur schemenhaft an seinen Ursprung noch erinnert: Köpfe, Schenkel, Geschlechtsteile vielleicht, so genau lässt sich das nicht ausmachen. Manchmal bevölkern nur noch Amöben die Leinwand.

Die Landkarten spiegeln das neue Antlitz der Welt. Farbige Flecken, die „Lob der Kleinstaaterei“ heißen können. Was genau dazwischen passiert ist, entzieht sich der menschlichen (vielleicht auch der malerischen) Kenntnis. Der Betrachter wird staunend und fragend in diese neue Welt katapultiert, nach Orientierung suchend oder Referenzen, die doch keine mehr sein wollen. Bis einem irgendwann die Losung wieder einfällt, unter der das alles präsentiert wird, die wie eine Stimme aus dem Äther flüstert: „Hello, I love you“ …

Was dann passiert? Ob man ihr folgt, bleibt einem selbst überlassen. Im Gegensatz zu den Vorgängern entwickeln die neuen Bilder keinen zwanghaften Sog. Sie überlassen die Entscheidung, ob man sich auf sie einlassen mag oder nicht, zumindest zu einem größeren Maße ihrem Betrachter. Was schließlich fast schon einer Emanzipation dessen gleichkommt – und den von Daniel Richter gewählten Ausstellungstitel, „der so ehrlich gemeint ist, wie er gemeint sein kann“, zu einer regelrecht ironiefreien Sache werden lässt.

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