Datenschützer über Drohbriefe an Linke: „Der Fall ist noch nicht erledigt“

Ende 2017 wurden aus der Polizei Drohbriefe an Autonome verschickt, ein Polizist wurde verurteilt. Für die Berliner Datenschutzbeauftragte ist das nicht genug.

Ein teilnehmer mit einer Maske in Form einer Überwachungskamera fährt während einer Protestaktion im Bahnhof Südkreuz die Rolltreppe hoch

Aktion gegen Videoüberwachung und automatische Gesichtserkennung im Bahnhof Südkreuz Foto: Stefanie Loos

taz: Frau Smoltczyk, macht die Berliner Polizei was sie will?

Maja Smoltczyk: Ich gehe davon aus, dass die Polizei alles in ihrer Kraft Stehende tut, ihren Aufgaben gerecht zu werden. Natürlich geht auch mal was schief. Aber selbst wenn die datenschutzrechtlichen Regelungen nicht immer eingehalten werden, würde ich nicht sagen, die Polizei macht, was sie will.

In dem Tätigkeitsbericht 2018, den Sie als Berliner Datenschutzbeauftragte kürzlich veröffentlicht haben, üben Sie aber deutliche Kritik an der Polizei.

Das ist richtig. Wir haben das an ein paar konkreten Fällen festgemacht.

Maja Smoltczyk

ist Juristin und wurde Ende Januar 2016 zur Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit gewählt.

Machen wir es konkret: Aus den Reihen der Polizei sind Ende 2017 zahlreiche Drohbriefe an Leute der autonomen Szene verschickt worden. Sensible Daten aus dem Polizeicomputer waren der Inhalt. Bei den Ermittlungen hat die Polizei Sie ganz schön auflaufen lassen.

Die Maßnahmen sind nicht so durchgeführt worden, wie wir uns das vorgestellt hätten, um das datenschutzrechtliche Problem an der Wurzel zu beheben – das stimmt.

War es nicht sogar so, dass Ihre Behörde der Polizei die entscheidenden Hinweise gegeben hat?

Hat der Beamte alleine gehandelt? Oder gab es vielleicht Mittäter?

Wir haben Vorschläge gemacht, in welche Richtung die Ermittlungen geführt werden sollten. Das wurde vorher so nicht gemacht. Diese Methoden haben letztendlich zur Ermittlung eines Täters in den Reihen der Polizei geführt.

Was genau hatten Sie der Polizei vorgeschlagen?

Wir hatten ein Originalschreiben erhalten und haben festgestellt, dass die darauf abgebildeten Fotos aus Polizeidatenbanken stammen müssen. Das Schreiben selbst haben wir der Polizei nicht zur Verfügung gestellt, wir haben der Polizei aber Anregungen gegeben, in welche Richtung die Ermittlungen ­gehen sollten: Dass Druckerbild und Papier Hinweise geben könnten, wer darüber verfügt und wer wann auf bestimmte Daten Zugriff genommen hat. Letztlich waren das die Punkte, die zur Ermittlung des Beamten geführt haben. Er hat ja dann auch gestanden.

Wann haben Sie erfahren, dass der Beamte wegen Datenmissbrauchs verurteilt worden ist?

Das Verfahren wurde im August 2018 mit einer rechtskräftigen Verurteilung abgeschlossen. Erfahren haben wir das von der Staatsanwaltschaft aber erst im Oktober – auf Nachfrage, nicht freiwillig. Dabei hatten wir zwischenzeitlich immer wieder nachgefragt. Wir sind von einer Abteilung zur anderen verwiesen worden, ohne inhaltliche Auskünfte zu bekommen. Solange das Ermittlungsverfahren laufe, dürfe die Polizei uns keine Auskunft geben, hieß es. Das trifft nicht zu.

Was ist richtig?

Wir ermitteln datenschutzrechtlich und nicht strafrechtlich. Das heißt, jede Behörde ist uns gegenüber durchgängig auskunftspflichtig.

Der Leiter der Polizeipressestelle hat im Februar 2019 erneut gegenüber der taz erklärt: Die Behörde der Datenschutzbeauftragten habe kein Recht, über Ermittlungen in Kenntnis gesetzt zu werden.

Das stimmt nicht! Wir haben das Recht auf Information, weil es bei uns um datenschutzrechtliche Ermittlungen in der Behörde geht, die von den strafrechtlichen Ermittlungen nicht tangiert werden.

Bleibt das jetzt so im Raum stehen?

Nein. Der Fall ist für uns überhaupt noch nicht erledigt. Die grundsätzlichen Fragen, die mich als Leiterin der Aufsichtsbehörde interessieren, sind doch die: Wie konnte es zu dem missbräuchlichen Zugriff auf interne Datenbanken kommen? Was ist technisch und organisatorisch getan worden, um das in Zukunft zu verhindern? Und: Hat der Beamte alleine gehandelt? Das ist überhaupt noch nicht aufgeklärt. Wenn er nicht alleine gehandelt hat, müssen die Mittäter ermittelt werden.

Wer bei der Polizei ist Ihr ­Ansprechpartner?

Ich kommuniziere mit der Präsidentin, Frau Slowik. Am 12. September 2018 hatte ich ihr mitgeteilt, dass ich von der Polizei keine Antwort auf meine Fragen bekomme habe. Als ich auch von ihr keine Antwort bekommen habe, habe ich im November noch mal nachgehakt. Auch auf Fachebene haben wir nachgefragt, aber nie die gewünschten Auskünfte erhalten.

Was passiert nun?

Frau Slowik wird mich im Mai in meiner Behörde besuchen. Das ist für uns nicht erledigt.

Ärgert es Sie, von der Polizei hingehalten werden?

Ja, das ärgert mich auch insofern, als wir uns nicht über Langeweile beklagen können. Wir haben jede Menge zu tun. Es ist unerfreulich, dass man an so einem Fall so lange dran bleiben muss.

In Ihrem Tätigkeitsbericht schreiben Sie, in Fällen wie diesem stehe das Vertrauen in die Polizei auf dem Spiel.

Die Polizei erfüllt eine besonders staatstragende Aufgabe. Sie darf keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie rechtsstaatlich arbeitet. So etwas darf einfach nicht passieren. Das ist nicht hinnehmbar.

Sind Sie ein zahnloser Tiger?

Das ist eine gute Frage. Die Antwort darauf lautet weder Ja noch Nein. Was die Wirtschaft betrifft, bin ich seit Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung ein sehr wehrhafter Tiger. Für die Wirtschaft und den privaten Bereich haben wir enorm ausgeweitete Eingriffsbefugnisse. Das betrifft sowohl Befugnisse nicht finanzieller Art als auch Bußgelder. Beim öffentlichen Sektor ist das anders. Da haben wir zwar die Möglichkeit, bestimmte Anordnungen zu treffen, aber wir können keine Bußgelder verhängen.

Wenn Ihre Behörde gegen die Polizei Bußgelder verhängen würde, täte das keinem weh. Das Geld käme aus dem Landeshaushalt, nach dem Motto: Linke Tasche, rechte Tasche.

Das sehe ich anders. Ein Bußgeld hätte durchaus eine Signalwirkung, auch wenn das Geld aus der Landeskasse kommt und dahin zurückfließt. Eine Behörde wäre trotzdem konkret von einer solchen Maßnahme betroffen, weil ihr Haushalt diesen Betrag abgeben müsste, und im Übrigen würde das auch keinen guten Eindruck in der Außendarstellung der Behörde machen.

Themenwechsel. Was halten Sie vom Ausbau der Videoüberwachung? Eine Initiative um den früheren CDU-Justizsenator Thomas Heilmann hat dazu ein Volksbegehen gestartet, das zurzeit vom Landes­verfassungsgerichtshof überprüft wird.

Wie Sie sicher wissen, bin ich da sehr kritisch eingestellt. Videoüberwachung ist eine Einschränkung in die persönliche Bewegungsfreiheit von Bürgerinnen und Bürgern. Es gibt Gefährdungslagen, wo Videoüberwachung sinnvoll sein kann. Aber was diese Bürgerinitiative vorhat …

… 1.000 Kameras an 50 Orten sollen aufgestellt werden.

Das würde eine umfassende Ausstattung der Stadt mit Kameras bedeuten. Ich halte das für eine Mogelpackung. Straftaten werden dadurch nicht verhindert. Zu dem Modellprojekt der Bundespolizei am Bahnhof Südkreuz habe ich mich ja auch sehr deutlich geäußert.

Sie sprechen von dem Testlauf zur automatischen Gesichtserkennung anhand biometrischer Daten, der letztes Jahr im Bahnhof Südkreuz durchgeführt worden ist.

Das war ein Quantensprung. Reine Videoüberwachung ist ja schon ein Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger, der nicht zuletzt auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sehr restriktiv zu handhaben ist. Wenn darüber hinaus auch noch biometrisch erfasst wird, bedeutet das, dass die Daten in den Datenbanken unmittelbar individualisiert werden können und in besonderer Weise angreifbar sind.

Worauf wollen Sie hinaus?

Das verfolgt einen das ganze Leben. Man kann seinen Gang nicht ändern, man kann seine Sprache nicht ändern, man kann seine Augenfarbe nicht ändern oder seine Fingerabdrücke. Und wir wissen ja, dass solche Daten gern missbraucht werden. Wir haben Fälle von Identitätsdiebstahl vielfach gehabt hier in Berlin. Wenn solche biometrischen Daten in falsche Hände gelangen, kann man daran nichts ändern. Das ist anders als beim Diebstahl von Passwörtern.

Der CSU-Bundesinnenminister Horst Seehofer möchte die Gesichtserkennung für die Terrorfahndung nutzen.

Es mag Einzelfälle geben, wo das erforderlich sein kann. Aber flächendeckend biometrische Daten von Bürgerinnen und Bürgern erfassen? Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Am Südkreuz sind drei technische Systeme verwendet worden, die sogar zusammengenommen noch zu einer extrem hohen Fehlerquote geführt haben. Der Abschlussbericht der Bundespolizei geht von drei bis vier falschen Treffern je Kamera und Stunde aus. Dies würde bedeuten, dass bei einem Echtbetrieb in diesem Zeitraum 80.000 bis 100.000 Mal Personen zu Unrecht erfasst worden wären und sich Ermittlungen ausgesetzt gesehen hätten. Das kann nicht sein.

Was halten Sie von den Plänen der Berliner SPD, an Kriminalitätsschwerpunkten eine anlassbezogene Videoüberwachung einzuführen?

Ich kenne das genaue Programm nicht. Ich will mal hoffen, dass mich die SPD einbezieht, wenn die Pläne konkret werden sollten.

Grüne und Linke sind da­gegen.

Der Bürger hat Anspruch darauf, sich unbeobachtet durch sein Leben bewegen zu können – das Bundesverfassungsgericht bestätigt das regel­mäßig. Es geht um das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung und der Persönlichkeitsentfaltung. Anders wäre es, wenn es eine objektive Gefährdung gäbe.

Die Straftaten in Berlin sind erneut zurückgegangen. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller beruft sich auf Umfragen, wonach sich viele Menschen einen Ausbau der Videoüberwachung wünschten. Reicht das aus, um Kameras zu installieren?

Nein. Ein subjektives Gefährdungsgefühl kann kein Grund für eine Videoüberwachung sein. Das Sicherheitsgefühl könnte auch durch mehr Polizei auf der Straße gesteigert werden, dafür bräuchte man keine Kameras.

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