David Cameron nach dem Brexit: Mit Erfolg zurückgetreten

Camerons politische Bilanz ist vielschichtig. In seinen sechs Jahren als Premier hat Großbritannien eine Reihe progressiver Politikziele erreicht.

David Cameron

David Cameron lächelt als er zum vermutlich letzten Mal zur Premierminister-Fragestunde Downing Street No. 10 verlässt Foto: ap

BERLIN taz | David Cameron wird in die Geschichtsbücher eingehen als der britische Premierminister, der Großbritannien und Europa endgültig entzweit hat. Unabhängig davon, wie man das findet: Weil Cameron das Brexit-Referendum vom 23. Juni ansetzte und verlor, gilt er als gescheitert. Aber Camerons politisches Erbe lässt sich nicht allein auf den Brexit zu reduzieren. Schließlich hat er Großbritannien auf vielen Ebenen nachhaltig geprägt.

David Cameron übernahm die britischen Konservativen im Jahr 2005 inmitten einer tiefen Parteikrise, nachdem sie zum dritten Mal hintereinander Wahlen gegen Tony Blairs Labour verloren hatten. Er hinterlässt sie als unangefochtene Führungspartei, die 2015 zum ersten Mal seit 23 Jahren eine absolute Mehrheit im Parlament gewann und die in den Umfragen bis heute trotz aller Querelen gegen eine chaotische Labour-Opposition führt. Der Brexit trieb die Tories in eine historische Zerreißprobe, die binnen weniger Wochen überwunden wurde – auch als Ergebnis der parteiinternen Modernisierungen, die Cameron durchdrückte.

David Cameron wurde britischer Premierminister im Jahr 2010 inmitten einer schweren Wirtschaftskrise, nachdem die Finanzkrise von 2008 die Staatsfinanzen wegen der Bankenrettungen an den Rand des Ruins getrieben hatte. Er hinterlässt ein Land, das mit überdurchschnittlichem Wirtschaftswachstum und einem starken Rückgang der Arbeitslosigkeit die Eurozone weit hinter sich gelassen hat – auch das war ein Argument für den Brexit. Die vielkritisierte Austerität weniger Realität, als Rhetorik, die offenbar genügte, um bei Investoren Vertrauen herzustellen.

Denn trotz allen Geredes über brutale Sparpolitik ist vieles in Camerons Großbritannien anders gelaufen, als es das linke Klischee einer eiskalten, elitären Snob-Regierung unterstellen mag. Die Staatsausgaben sanken in absoluten Zahlen nie, die Staatsquote ist bis heute höher als unter Blair. Die Etats für Gesundheit und Bildung wurden von Camerons Kürzungen ausdrücklich ausgenommen, der Etat des Entwicklungshilfeministeriums radikal aufgestockt – Großbritannien ist die erste und einzige G7-Industrienation, die das UN-Ziel eines Entwicklungsbudgets in Höhe von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts einhält. Die schärfsten Kürzungen trafen den Rüstungsetat; die britischen Streitkräfte sind heute nur noch bedingt abwehrbereit.

Die halbe Wahrheit

Die Beschäftigungsquote steht auf Rekordniveau; mehr Jugendliche aus den unteren Einkommensschichten studieren als je zuvor; die besten Staatsschulen sind heute genauso gut wie die besten Privatschulen; Altersarmut ist kein Thema mehr. Überdies drückte Cameron gegen den Widerstand der eigenen Partei die Homo-Ehe durch. Unter Cameron hat Großbritannien nicht wenige Politikziele der Linken erreicht.

Aber das alles ist eben nur die halbe Wahrheit. Gespart wurde massiv auf der kommunalen Ebene, und viele Träger sozialer Basisdienste wurden gegen die Wand gefahren. Dies gehört zu Camerons Negativbilanz, wie auch die Spekulationsblase auf dem Londoner Immobilienmarkt, die Stagnation der Realeinkommen und die schwindenden Chancen für Jugendliche auf sichere Arbeitsplätze und bezahlbaren Wohnraum. Die Mehrheit der jungen Briten fühlt sich heute als Teil eines Prekariats, abgehängt gegenüber der gutsituierten Generation ihrer Eltern und Großeltern. Das war mit ein Grund für das Pro-EU-Votum der Jugend beim Brexit-Referendum, das bei den EU-Befürwortern, wie den Gegnern zu großen Teilen eine Protestwahl war.

Cameron hat als erster britischer Premier Volksabstimmungen zu einem zentralen Instrument der Politik gemacht. Vor dem Brexit-Referendum gab es das Schottland-Unabhängigkeitsreferendum von 2014 und das Referendum über eine Wahlrechtsreform 2012. Beide Male ließ Cameron vom Volk den Status Quo bestätigen. Erst beim EU-Referendum stolperte er.

Dieser letzte Fehlschritt ist nicht typisch für die sechs Jahre davor. Wer den Premier beim EU-Referendumswahlkampf sah, erlebte einen gehetzt und gestresst wirkenden Streithahn, ganz anders als der aufgeräumte und über den Dingen stehende Familienvater, als der er sonst gerne auftrat. Heute verlässt Cameron 10 Downing Street als zufrieden wirkender Mensch, sein politisches Erbe ist mit Theresa May sicher und er ist erst 49. Wer weiß, was noch kommt.

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