Death Metal mit Cannibal Corpse: Die Krach gewordene Negation

Cannibal Corpse sind berüchtigt für heftigen Metal. Dabei geht es der US-Band überhaupt nicht um Gewalt, Hass, Verstümmelung oder überhaupt Musik.

Ein Gitarrist auf einer Bühne.

Die Band Cannibal Corpse bei einem Auftritt in Polen im August 2022 Foto: Alexandre Cardoso/CC BY 2.0

Sonderlich weit her ist es diesmal nicht mit der Faszination des Bösen. Wahrscheinlich liegt’s am Wetter, das insgesamt nicht gut ist für solche Kopfsachen. Vor der Bühne ist es zu heiß und dermaßen staubig, dass einem das Bier im Plastikbecher verschlammt. Außerdem war es natürlich eine bloße Unterstellung, dass all die sonnenverbrannten und anstrengend aufgedrehten Menschen gar nicht wegen der Musik, sondern wegen des Bösen hier wären – nur weil da oben Cannibal Corpse spielen.

Zu Gast ist die US-amerikanische Death-Metal-Legende auf dem Reload-Festival bei Sulingen, weit draußen im niedersächsischen Nirgendwo.

Und obwohl die berüchtigte Band zu den bekanntesten und dienstältesten im Line-up zählt, sind die Publikumsmagneten doch andere. Cannibal Corpse spielen schon am Freitagnachmittag, was erstens nicht gerade ein Premiumplatz ist und zweitens auch ein sonderbares Setting für die Gewaltorgie stiftet: Hier und da sitzen noch Kleinkinder auf Schultern, mit „Mickymäusen“ zum Schutz der Ohren. Eingeladen vom Veranstalter, flanieren auch diverse An­woh­ne­r:in­nen des Festivals über das Gelände: „Zivilisten“, wie an der Pommesbude einer schnaubt.

Und während diese Normalmenschen sich noch neugierig lächelnd über das unverständliche Gegrunze und die heute ex­tra­brachial abgelieferte Krawallmusik amüsieren, macht „Sänger“ George „Corpse­grinder“ Fisher auf der Bühne seinen ältesten und schlechtesten Witz: Einen „Song für die ­Ladys“ kündigt er an – und die Band brettert den Corpse-Klassiker „Fucked with a Knife“ runter, eine Vergewaltigungs- und Mordfantasie, an der so ziemlich alles unerträglich ist und die gerade darum auch als mustergültig für das Corpse’sche Œuvre gelten muss.

Kein Unterschied bemerkbar

Wobei: Ganz richtig ist das nicht, denn anders als die heutige Zugabe „Hammer Smashed Face“ stand das Messerlied immerhin auch früher nicht auf dem Index.

Cannibal Corpse haben immer an ihrer Außenwirkung gearbeitet: Entsetzliche Lieder noch schlimmer anzusagen ist das eine; bemerkenswert clever war früher aber die Gegenrichtung, nämlich in Deutschland verbotene Lieder bei Konzerten einfach gar nicht mehr anzusagen – wohl wissend, dass auch geschulte Zen­so­r:in­nen und Ordnungskräfte im Zweifel sowieso keinen Unterschied verstehen.

Aufregen mag sich hier keine:r. Die einen spielen mit, die anderen gehen halt weg. Oder man findet irgendwo dazwischen ins Nirwana, weil nur ausgewiesene Unmenschen so ein Konzert durchstehen, ohne ganz grundsätzlich auf Distanz zu gehen: zur Musik, zum Publikum und eben zu sich selbst. Cannibal Corpse ist die Krach gewordene Negation von … einfach allem.

Keine Ahnung, ob die Band davon weiß. Dafür spräche mindestens das XXXL-Shirt des Corpsegrinders, das inmitten psychedelisch wabernder Salzränder sein eigenes Konterfei zeigt. Womit bewiesen wäre: Es geht bei Cannibal Corpse nicht um Gewalt, Hass, Verstümmelung oder gar Musik, sondern ausschließlich um eins: um Cannibal Corpse nämlich.

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Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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