Debatte Afghanistan: Bloß weg vom Hindukusch

Die Bundeswehr soll 2014 Afghanistan verlassen. Wie lässt sich das schwere Gerät ins Heimatland schaffen? Von den Afghanen redet man nicht so gern.

Fernes Land: Die Bundeswehr besuchen deutsche Politiker wie Verteidigungsminister Thomas de Maiziere regelmäßig. Bild: reuters

Die Debatte darüber, wie man nun die Bundeswehrsoldaten wieder sicher aus Afghanistan herausbekommt, ist schon skurril. Und sie ist ungeheuer nabelschaumäßig, aber so wurde ja der ganze Afghanistaneinsatz politisch und medial behandelt.

Wird Deutschlands Freiheit tatsächlich am Hindukusch verteidigt? Wie viele Büchsen Bier bekommt jeder Soldat im Feldlager? Der Bundespräsident kommt! Die Kanzlerin kommt! Paul Kalkbrenner kommt und legt vor Bundeswehrsoldaten auf!

Jetzt werden Abzugsrouten und Transitgebühren debattiert. 4.800 Soldaten, 1.700 Fahrzeuge, 6.000 Materialcontainer – das kostet. „Die Rückverlegung ist ein komplizierter Prozess“, sagt der Verteidigungsminister. Zum Glück hat sich Deutschland ganz am Anfang strategisch günstig gleich hinter der Grenze in Kundus und Masar-i-Scharif positioniert.

Über die Einheimischen redet man nicht so gern. Gerade hat man ihnen auf der gefühlt hundertsten internationalen Afghanistankonferenz in Tokio eine Beruhigungspille im Wert von 16 weiteren Milliarden US-Dollar an Entwicklungshilfe gedreht. Denn angesichts des für 2014 angekündigten Nato-Abzugs und der Befürchtung, dass die Taliban zurückkehren, breitet sich Angst aus.

Karsai verspricht erneut Korruptionsbekämpfung

Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der afghanischen Asylbewerber in den Industriestaaten um ein Drittel an. Das Mantra von Tokio, in Berlin mitgesungen, lautet deshalb: Nach dem Abzug der Kampftruppen 2014 werden wir Afghanistan nicht alleinlassen. Völker, seht die Milliarden!

Dann verweist man auf ein Dokument mit dem schönen Namen „Rahmenabkommen über gegenseitige Rechenschaft“. Das soll verhindern, dass auch diese Gelder in Afghanistans Korruptionssystem versickern. Nur: Ähnliche Zusicherungen gab Präsident Karsai schon in London 2006, in Paris 2008, in Den Haag 2009 und in Kabul 2010.

Wie es schon der vorletzte UN-Sondergesandte Staffan de Mistura auf seine unverwechselbare Weise auf den Punkt brachte: „Wir befinden uns in einer Huhn-und-Ei-Situation. Aber nun hat das Huhn versprochen, dass es bald ein Ei legen wird.“

Nicht dass die internationalen Aufseher der afghanischen Legebatterie eine bessere Performance vorweisen können. 60 Milliarden Dollar wurden seit Ende 2001 für den Wiederaufbau zugesagt, nur drei Viertel davon, 44 Milliarden, wirklich ausgezahlt. Davon wiederum verblieben, laut Weltbank, nur ein Drittel im Land. Und wie viel davon wirklich effektiv verwendet wurde, zur Verbesserung der Lebenssituation der Afghanen – großes Fragezeichen.

Die Mantras des Westens

Zur Erinnerung: Afghanistan liegt immer noch auf Platz 172 (von 184) auf dem UN-Entwicklungsindex, ist Drittletzter auf dem Korruptionsindex und Vorletzter bei Gendergleichheit. Die „Geberländer“ drücken sich reihenweise davor, die Wirkung ihre Zahlungen von unabhängigen Auditoren unter die Lupe nehmen zu lassen. Unter diesen Bedingungen ist Entwicklungshilfe eher eine Nebelmaschine.

Das zweite westliche Mantra für eine sichere Zukunft Afghanistans lautet: einigermaßen faire Wahlen 2014 und eine geordnete Machtübergabe. Hamid Karsai darf, nach zwei Amtsperioden, nicht noch einmal antreten. Doch er festigt bereits seine Kontrolle über die „unabhängigen“ Wahlinstitutionen, nachdem seine Leute schon beim großen Wahlbetrug 2009 die Hauptschuldigen waren, mit 1,5 Millionen annullierten Stimmen.

Viele Afghanen befürchten, dass er den Weg der Alijews, Karimows und Nasarbajews gehen könnte, in Richtung auf eine Familiendynastie mit Strohmannparlament. Ein Karsai-Bruder hat sich bereits öffentlich als Nachfolger positioniert.

Zudem mischen sich die USA schon wieder offen ein. CIA-Berater Michael O’Hanlon empfahl seiner Regierung kürzlich in der Washington Post, „einen Gewinner auszusuchen“, und hatte auch gleich ein paar Namen parat. Das wird des derzeitigen Präsidenten politische Wagenburgmentalität eher festigen. Aber auch den hatten die USA ja schon ausgesucht.

Reformen in eine demokratische Richtung nötig

Wirklich partnerschaftliche Entwicklungszusammenarbeit, die breiteren Bevölkerungskreisen zugutekäme, Investitionen in die und Reformen der staatlichen Institutionen in eine demokratische Richtung wären in der Tat probate Mittel, wenn man das Land doch noch stabilisieren wollte und nicht nur die Tür nach Afghanistan hinter sich zuknallen will.

Doch ob sich der Westen zu solch einem Kurswechsel noch durchringen wird, ist angesichts seines bereits laufenden Disengagements äußerst fraglich. Und dann ist da ja noch der Krieg, der so manchen Plan stören wird.

Mehr Druck aus Nichtregierungskreisen wäre notwendig. Leider aber fehlt es der afghanischen Zivilgesellschaft oft an gemeinsamen Positionen. Der Kampf um die austrocknenden Projektgelder verschärft die Konkurrenz, und Karsais Regierung lernt gerade von Putin in Russland und Mubarak in Ägypten, indem sie Teile der Zivilgesellschaft kooptiert.

Schon ein paar Millionen an institutioneller Förderung und behutsame Beratung könnten dem entgegenwirken. Aber in Tokio hörten unsere Regierungen Forderungen etwa nach konkreter zivilgesellschaftlicher Beteiligung an der Kontrolle der Hilfsgelder zwar höflich an, nahmen sie aber nicht in die Abschlusserklärung auf. Auch sie wollen sich offensichtlich weiterhin nicht auf die Finger schauen lassen.

Für die Entwicklungsszene ist Afghanistan ein Randthema

Die hiesige Zivilgesellschaft müsste ihren afghanischen Partnern ebenfalls effektiver helfen, sich besser zu organisieren. Aber in der Entwicklungsszene ist Afghanistan nur ein Randthema, den wenigen Organisationen, die schon seit Jahrzehnten vor Ort arbeiten, fehlt das politische Gewicht, und große Teile der Friedensbewegung, die überhaupt nicht in Afghanistan präsent sind, beschränken sich auf die verbalradikale Forderung nach sofortigem Truppenrückzug.

Dabei wird diese Position in Afghanistan nur von einer äußerst kleinen Minderheit geteilt. Die meisten afghanischen Demokraten und Zivilgesellschaftsaktivisten fürchten die eigenen Warlords mehr als die rabiatesten US Marines.

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