Debatte Fake News und ihre Wirkung: Das postfaktische Virus

Sich einzubilden, der Triumph der Rechten sei das Ergebnis cleverer Internetpropaganda, ist bequem. Das macht es der Politik zu einfach.

Demonstraten mit einem Schild, auf dem Fakepresident steht

Fake-News, Fake-Präsident, Fake, Fake – aber diese Demo in Berlin gab es wirklich Foto: imago/IPON

Propaganda, Fake-News und rechte Medien, die auf Objektivität und Fairness spucken: All das ist besorgniserregend. Doch die Panik vor postfaktischen Zuständen droht zunehmend von den tatsächlichen Ursachen des Rechtsrucks abzulenken. Russische Propaganda und angeblich allmächtige Fake-News können auch als Sündenbock dienen, um eigene gesellschaftliche Fehlentwicklungen auf etwas „anderes“ zu projizieren – als sei der Rechtsruck ein Fremdkörper, der sich aus der Finsternis des Internets in unsere heile, liberale Gesellschaft eingeschlichen hat.

Dazu eine kleine Rechnung: Addiert man die Konsumenten der neun wichtigsten neurechten Medien (Junge Freiheit, Compact, Sezession, KenFM, PI-News, RT-Deutschland, Tichyseinblick, Achgut.com sowie Deutsche Wirtschaftsnachrichten), erhält man einen groben Überblick über ihre Reichweite: etwa 1,5 Millionen. Das legt den Schluss nahe, dass von den 8,37 Millionen WählerInnen, die zurzeit die AfD wählen wollen, die große Mehrheit vor allem „Mainstream­medien“ konsumiert. Der Erfolg der Rechtspopulisten kann also kaum allein den rechten „Alternativmedien“ angelastet werden.

Doch breitet sich das postfaktische Virus nicht vor allem über Facebook aus? Gerade Trumps Wahlsieg sei ja ein Triumph der Filterblasen und der dort verbreiteten Fake-News gewesen, heißt es. Fraglich ist jedoch, ob die Rolle von Facebook wirklich so entscheidend war. Dem Meinungsforschungsinstitut Pew Research zufolge erhalten nur 44 Prozent der amerikanischen NutzerInnen regelmäßig politische Nachrichten über Facebook. Das sind weniger als 30 Prozent der US-Bevölkerung.

Auch ist keineswegs bewiesen, dass durch Facebook tatsächlich vermehrt ideologische Filterblasen entstehen, die dann kollektiv vom Boden der Realität abheben. Verlässliche Daten gibt es kaum, doch eine von Facebook in Auftrag gegebene Studie kam zu dem Ergebnis, dass der Filter-Algorithmus kaum Einfluss darauf habe, welche Inhalte den Nutzern angezeigt werden. Viel entscheidender sei die Filterblase, die man sich selbst aufbaut, indem man entscheidet, was und wem man auf Facebook „folgt“ und welche Nachrichten man anklickt.

Reagan sprach mit Verachtung von „liberalen Medien“

Die ideologischen Blasen existierten also bereits – Facebook machte sie nur sichtbar. Begriffe wie „Echokammer“ werden in den USA schon seit Langem benutzt, um die sich stetig verschärfende gesellschaftliche Polarisierung zu bezeichnen. Denn dass Konservative in den USA in ihrer eigenen Welt leben und den „Mainstreammedien“ wenig vertrauen, ist nichts Neues. Schon Ronald Reagan sprach nur mit Verachtung von den „liberalen Medien“. Das Onlineverhalten der Menschen spiegelt diese gesellschaftlichen Verhältnisse lediglich wider.

Zweifellos ist verschwörungstheoretisches Denken ein entscheidendes Element von rechtspopulistischer Politik. Auch hat russische Informationspolitik das Ziel, dieses Verschwörungsdenken zu verstärken. Fake-News und im Internet entstehende Parallel­öffentlichkeiten fördern die Radikalisierung und Verhärtung rechter politischer Identitäten.

Viel unsicherer ist aber, was hier Ursache und was Wirkung ist. Entsteht der Rechtspopulismus durch im Internet verbreitete Verschwörungstheorien – oder ist es andersherum? Auch die Wirkung von Fake-News scheint überschätzt. Wer sich von russischer Propaganda wie zum Beispiel im „Fall Lisa“ beeindrucken lässt, wird sich seine entsprechende Meinung schon lange vorher gebildet haben. Jeder, der schon mal auf eine Falschmeldung hereingefallen ist, weiß: Das passiert, weil man an die Meldung glauben will. Fake-News können Menschen lediglich in ihren Vorurteilen bestärken, diese jedoch kaum selbst erzeugen.

Vor allem im Kontext russischer Propaganda werden Fake-News oft geradezu magische Fähigkeiten zugesprochen. So entwarf die Zeit kürzlich folgendes Szenario: „Mitte August 2017 (…) berichten mehrere Online-Portale, der Sohn von Merkels Ehemann Joachim Sauer sei an einem Immobilien-Konsortium beteiligt, das Millionen an der Unterbringung von Flüchtlingen verdient hat.“ Obwohl keine Zeitung die (unwahre) Nachricht aufnimmt, so spinnt die Zeit den Gedanken weiter, kostet sie Merkel die Wahl. Die Täter: „russische Trolle“. Das Opfer: die deutsche Demokratie.

Verschwörungstheorien salon­fähig machen

Solche alarmistischen Szenarien gehen davon aus, russische Bemühungen könnten irgendetwas in Bewegung setzen, was nicht sowieso schon lange ins Rutschen gekommen ist. Doch nicht einmal die Wahl in den USA gibt Anlass zu diesen Sorgen. Festzustellen ist zuerst, dass der angebliche russische Einfluss auf die US-Wahl nichts mit Fake-News zu tun hatte. In dem jüngsten Bericht der US-Geheimdienste wurden zwei Momente der russischen Einflussnahme angeführt: die bei Wikileaks veröffentlichten E-Mails und die Propaganda­tätigkeit von Russia Today.

Das Ziel der russischen Bemühungen sei es gewesen, Clinton zu schwächen, Trump zum Sieg zu verhelfen und gleichzeitig das Vertrauen in die amerikanische Demokratie zu untergraben. Das mag stimmen, doch sind sie bei diesem Vorhaben nicht annähernd so effektiv gewesen wie die amerikanische Rechte – der dominanten politischen Kraft im Land, die exakt dieselben Ziele verfolgte.

Auch Russia Today (das Medienberichten zufolge in den USA 30.000 Zuschauer am Tag hat) ist ein Witz gegen Fox News, den größten Nachrichtenkanal der USA, der auch Trump und seiner „Birther“-Theorie seit Langem eine wohlgesinnte Plattform bot. Fox News hat mehr als jede russische Propaganda dazu beigetragen, verschwörungstheoretisches Denken salon­fähig zu machen.

Es ist beruhigend, sich einzubilden, der Triumph der Rechten sei das Ergebnis von cleverer Internetpropaganda und sowieso aus einem gewissen Land im Osten importiert. Doch das stimmt nicht. Trump, die AfD und die nationalistischen Tendenzen, die die EU zu zerreißen drohen, sind kein Fremdkörper, sondern ein genuines Produkt der westlichen Gesellschaften, die Kulmination langfristiger politischer Fehlentwicklungen.

Dass das Recherchekollektiv Correctiv jetzt mit Facebook zusammenarbeitet, um gegen Fake-News vorzugehen, ist begrüßenswert und lange überfällig. Doch sollte man sich nicht der Illusion hingeben, dem Rechtsruck sei durch technokratisches Öffentlichkeitsmanagement beizukommen. Politische Probleme verlangen nach politischen Lösungen.

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Johannes Simon wurde 1989 geboren, studierte Nordamerikastudien in Berlin und New Orleans. Er lebt in Berlin.

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