Debatte Fanatismus: Fanatiker haben Geschichte

Ja, die Proteste wegen des Mohammed-Videos waren blutig. Doch haben sie weder die Meinungsfreiheit im Westen bedroht noch die Arabellion.

Sie treten Obamas Bild in Karachi mit Füßen, aber eine Gefahr für die Freiheit des Westens sind sie nicht. Bild: dpa

Erstaunlich schnell haben sich die Gemüter wieder beruhigt. Die Schlacht zwischen den scheinbar ewigen Verhöhnern des islamischen Propheten und seinen aufgebrachten Verteidigern geht unentschieden aus – alles wie gehabt. Beide Seiten bleiben hinter ihren Fronten verbarrikadiert.

Von einer generellen Mobilisierung der islamischen Welt und von einem Krieg der Kulturen kann also nicht die Rede sein. Natürlich wurden die Gefühle der Masse der gläubigen Muslime durch die Herabsetzung ihres Propheten, der in ihrem Bewusstsein als vollkommenes Vorbild gilt, verletzt.

Aber es fanden keine Millionendemonstrationen in den islamischen Metropolen statt. Und die Gewaltakte gegen die westlichen diplomatischen Vertretungen wurden von fast allen politischen und religiösen Instanzen in der islamischen Welt verurteilt. Nur das Al-Qaida-Lager begrüßte sie offen, es zeichnet für die Ermordung des US-Botschafters in Bengasi verantwortlich.

Von wegen bedrohte Freiheit

Auf der anderen Seite erwiesen sich die von breiten Kreisen der westlichen Medien und Politik hochgespielten Gefahren für die Meinungsfreiheit in den westlichen Demokratien als unverhältnismäßig. Die muslimischen Gemeinschaften im Westen blieben ruhig und gesetzestreu. Dessen ungeachtet besteht der Konflikt weiterhin, und die Risiken, dass er sowohl von islamistischen Fanatikern als auch von islamfeindlichen rechtsradikalen Randgruppierungen geschürt wird, sind groß. Es ist also nur eine Frage der Zeit, wann ein weiterer Akt dieses tragischen Possenspiels aufgeführt wird.

Warum konnte ein so vulgärer Film tagelang die Welt in Atem halten und den Graben zwischen dem Westen und der islamischen Welt zusätzlich vertiefen? Haben die Islamisten die Hoffnungen der Arabellion zunichtegemacht?

Abdel Mottaleb El Husseini ist Politikwissenschaftler, freier Journalist. Er wurde im Libanon geboren. Zuletzt schrie er an dieser Stelle über den Papstbesuch in Beirut.

Bevor versucht wird, diese Fragen zu beantworten, sind zwei kurze Bemerkungen zu machen. Erstens hat der Konflikt zwischen Freidenkenden und religiösen Dogmatikern die Entwicklung der islamischen Religion und Kultur bisher mitgeprägt. Der kulturelle und politische Einfluss des Westens besonders seit dem 19. Jahrhundert gab diesem Konflikt neue Formen. Verursacht hat er ihn nicht.

Die Mordfatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie, die Messerattacke gegen den ägyptischen Schriftsteller und Nobelpreisträger Nagib Mahfus sowie die Verfolgung aufgeklärter Schriftsteller in der arabischen Welt zeigen, dass die Islamisten an erster Stelle das Rad der Geschichte in ihren Ländern zurückdrehen wollen. Übrigens gestaltete sich bisher das Verhältnis der islamischen Gemeinschaften zueinander, besonders zwischen Schiiten und Sunniten, nicht gerade harmonisch.

Dass sich Prediger und Dichter gegenseitig verunglimpfen, ist gang und gäbe in der islamischen Geschichte. Ein virtueller Krieg der islamischen Fanatiker aus beiden Gemeinschaften findet auch gegenwärtig auf den Bildschirmen statt.

Hier hat Karl Marx recht

Zweitens ist das Verhältnis zwischen Orient und Okzident chronisch gestört und durch jahrhundertealte Konfrontation belastet. Das im europäischen Mittelalter verbreitete Bild vom islamischen Propheten als Förderer von Gewalt und sexueller Promiskuität nimmt auch in den modernen, aktuellen Hetzattacken einen wichtigen Platz ein.

Auf der anderen Seite wird die Politik der USA und des Westens in der islamischen Welt von den radikalen Islamisten als Kreuzzug gegen den Islam und die westliche Kultur pauschal verteufelt. In diesem Zusammenhang trifft die bekannte Feststellung von Karl Marx, dass „die Tradition aller toten Geschlechter wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden lastet“, voll und ganz zu.

Die Gründe für die islamischen Proteste gegen den Mohammed-Film und für die Forderung der islamischen Führer, Blasphemie zu verbieten, aber sind politischer Natur und können nicht nur auf den Gegensatz zwischen westlicher Meinungsfreiheit und islamischen Tabus reduziert werden. Sie sind primär im Zusammenhang mit der westlichen Politik in der islamischen Welt und den inneren Konflikten sowohl in den westlichen als auch in den islamischen Ländern zu sehen.

Die Kriege in Irak und Afghanistan und das Scheitern der USA, den israelisch-arabischen Konflikt zu lösen, haben im letzten Jahrzehnt dazu beigetragen, das Ansehen des Westens in der arabischen und islamischen Welt zu ramponieren. Die Bilder von dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib und von US-Soldaten, die auf tote Talibankämpfer urinieren, sowie die vielen Opfer des andauernden Antiterrorkrieges unter der Zivilbevölkerung befördern ein Klima des Hasses gegen den Westen. „Innocence of Muslims“ brachte das Fass zum Überlaufen.

Ende des Aufbruchs?

Gleichzeitig wurden die Proteste gegen die Beleidigung des Propheten von Iran und der libanesischen Hisbollah genutzt, um von ihren politischen Schwierigkeiten abzulenken. Die Gottespartei, die in vielen libanesischen Städten Massendemonstrationen organisiert hat, versuchte, ihre verlorene Popularität in der islamischen Welt infolge ihrer Unterstützung der syrischen Diktatur zurückzugewinnen.

Der antimuslimische Film war natürlich auch für das reaktionäre Spektrum der regierenden Islamisten, vor allem der Salafisten in Ägypten, Tunesien und Libyen, ein Geschenk des Himmels. Er verschaffte ihnen für ihre Angriffe auf die Meinungsfreiheit und für ihre Forderungen nach Islamisierung von Staat und Gesellschaft Rückenwind. Ob sie in der Lage sein werden, den demokratischen Umbruch zu beenden, bleibt aber abzuwarten.

Die Frage nach der Zulässigkeit und den Grenzen von Religionskritik wird sicherlich in den Ländern der Arabellion einen wichtigen Platz bei der politischen Auseinandersetzung zwischen aufgeklärten und rückschrittlichen Kräften, auch innerhalb des islamistischen Lagers, einnehmen. Der Islam, der bisher von tyrannischen Regimen missbraucht und in seiner Entwicklung behindert wurde, benötigt kritische Erneuerer und keine fanatischen Verteidiger, die zur Festigung des negativen Bilds der islamischen Länder in der Welt nicht wenig beitragen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Das finden Sie gut? Bereits 5 Euro monatlich helfen, taz.de auch weiterhin frei zugänglich zu halten. Für alle.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.