Debatte Grüne vs. Piraten: Es ist vorbei mit der Mitmachpartei

Der Piraten-Erfolg muss vor allem den Grünen zu denken geben: Sie haben die Rolle als „Demokratiepartei“ an die neuen Umfragestars verloren.

Eine Partei, in der Zweifel, Widersprüche, Diskussionen erkennbar sind? Leider nicht im Bild. Bild: reuters

Was auch immer passiert, wenn die Piraten eines Tages einlösen müssen, wofür sie derzeit von vielen gehalten werden – auf jeden Fall hält der aktuelle Erfolg der Partei für die Konkurrenz schon jetzt eine unangenehme Überraschung bereit. Offenbar gelingt es den Piraten, das zeigen Umfragen und Wahlanalysen, erkennbare Anteile der sogenannten Nichtwählerschaft zu mobilisieren. Das muss ganz besonders der Partei zu denken geben, die seit einigen Jahren bei Wahlen die größten Erfolge im „Nichtwählerlager“ verzeichnete: den Grünen.

Im besonderen Piraten-Erfolg bei den Nichtwählern verbirgt sich ein gut Teil der aktuellen grünen Misere. Dies könnte mit dem einzigen Versprechen zu tun haben, das die Piraten halbwegs stringent abzugeben imstande sind: dass es bei ihnen demokratischer zugeht als bei den etablierten Parteien. Gegen diesen Bonus beim Wahlvolk werden die Grünen nicht so schnell ankommen – egal ob sie sich nun wie Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer für den „harten Angriff“ entscheiden oder für die rein sachliche Themenkonkurrenz, die etwa der Netzpolitiker Konstantin von Notz anstrebt.

Nun sind die Umfragewerte für die Grünen zwischen 11 und 14 Prozent im Vergleich zu den Wahlergebnissen bis 2010 immer noch kein Unglück. Doch bleibt es rätselhaft, warum die Grünen ihr Zustimmungshoch, das sich 2010 aufbaute und 2011 gar in eine grüne Kanzlerkandidatenfrage mündete, nicht zu erhalten vermochten. Es war schließlich keineswegs zwingend, dass die Zuneigung zu den Grünen schneller abkühlen würde als die Reaktoren in Fukushima.

Die erwartbare Debatte übers Spitzenpersonal kann als Erklärung nicht herhalten. Dass das Führungsquartett Roth/Özdemir/Trittin/Künast Frische vermissen lässt, ist zwar kaum zu bestreiten, doch erstens waren die vier Grünen-Politiker schon im Amt, als sich die Umfragewerte plötzlich aufblähten.

Keine grünen Nachwuchskräfte

Zweitens ist den Grünenspitzen kaum vorzuwerfen, dass sie irgendwelche politischen Regungen links oder rechts neben sich niederkartätschen würden. Die ehrgeizigen Nachwuchskräfte, die sich auf dem Sprung in die Bundespolitik befinden, um endlich alles ganz anders, endlich richtig zu machen – es gibt sie nicht. Die kommenden Politiker der Grünen finden ihre gegenwärtigen Posten in den Ländern und im Bundestag offensichtlich erfüllend genug.

Drittens gären bei den Grünen aktuell aber auch keine politischen Ideen und Projekte, die ganz dringend von ganz neuen Leuten vorangebracht werden müssten. Solche neuen Funken würden auch dann nicht plötzlich sprühen, wenn die Doppeldoppelspitze durch den großen Einen oder die große Eine ersetzt würde – wie die ewigen Joschka-Fischer-Fans immer noch hoffen.

Die Grünen haben ihre Glaubwürdigkeit verloren

Nein, die Spitzencrew ist nur Abbild des Problems, das die Grünen jetzt mit der Piratenpartei bekommen haben. Es geht dabei um Glaubwürdigkeit, um die Erwartung von Wählern, dass eine Partei mehr sein könnte als ein bloßer Apparat zum Erwerb und zur Erhaltung von Macht.

Vergeblich will nun etwa Grünen-Geschäftsführerin Steffi Lemke zwischen Glaubwürdigkeit (grünes Eigentum) und Protestpotenzial (sammelt sich bei den Piraten) trennen. Doch zu deren Erfolg gehört gerade, dass sie postmaterialistischen Protest glaubwürdig repräsentieren – etwas, was man bisher noch den Grünen nachsagte.

Der materialistische – sprich am Umverteilungsbegriff orientierte – Protest mag sich aktuell noch bei der Linkspartei sammeln. Doch wie sehr auch diese sich damit geschadet hat, dass sie ihre Diskussionspotenzial erst mit roten Linien eingezirkelt und dann beim Flügelkampf zertreten hat, kann auch sie an ihren miesen Umfragewerten sehen.

Mitmachen ist bei den Piraten Programm

Der gegenwärtige Erfolg der Piraten beruht im Gegensatz dazu nicht zuletzt darauf, dass für sie Demokratie nicht bloß ein Mittel zum Politikmachen ist. Mitmachen ist bei den Piraten Programm. Das heißt, dass nur demokratische Verfahren einem politischen Inhalt die Zustimmung verschaffen und dass eine Partei nur so gut ist, wie sie demokratische Verfahren erprobt und erweitert. Und diese nicht bloß, sagen wir: respektiert. Wie heutzutage die Grünen.

Vom Bonus einer umtriebigen, diskussionsfreudigen, basisdemokratischen Mitmachpartei haben lange die Grünen profitiert – viel zu lange. Sie hatten das Etikett, bei ihnen werde Demokratie gelebt – und sei es um den Preis der Handlungsunfähigkeit –, vor drei Jahrzehnten bekommen und hielten es seither bei Bedarf in die Kameras. Doch bewies jeder Parteitag, auf dem ein Antrag des Vorstands innerhalb des von der Tagesordnung vorgesehenen Zeitfensters mehrheitlich beschlossen wurde, dass auch die Grünen Widerspruch längst gegen Disziplin eingetauscht haben.

Der gemeinsame Auftritt mit der Anti-Atomkraft-Bewegung nach Fukushima ebenso wie der Kampf gegen den Stuttgarter Bahnhofsneubau erinnerten noch einmal kurz daran, dass die Grünen früher eine Bewegungspartei waren – vielstimmig, aber einseitig; utopisch, aber kurzsichtig, und eben darum offen für alles Mögliche, auch das Unausgegorene; immerhin lernfähig. Doch kaum waren die Transparente eingerollt und war die Wahl in Baden-Württemberg gewonnen, waren die Grünen wieder ganz bei sich: im Reich des Machbaren und der verabredeten Sprachregelung.

Wähler wollen keine leeren Floskeln

Um aber Menschen zu mobilisieren, die keine Lust mehr auf leere Floskeln vor Fernsehkameras haben, die ahnen, dass sich hinter einem flammenden Politikerplädoyer für das Gute in Wahrheit eine Attacke auf innerparteiliche Feinde verbirgt, die aus gut nachvollziehbaren Gründen an der Parteiendemokratie zweifeln – um solche Menschen zum Wählen zu bewegen, braucht es eine Partei, in der Zweifel, Widersprüche, Diskussionen erkennbar sind.

Diese Partei sind die Grünen nicht mehr. Und wo hier und da doch noch einmal etwas anderes behauptet wurde, hatte das mit der politischen Wirklichkeit nicht mehr viel zu tun. Als „Demokratiepartei“ haben jetzt die Piraten Erfolg.

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Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.

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