Debatte Hambacher Forst: Diktatur der Konzerne

Wie sich die Politik von RWE am Hambacher Forst vorführen lässt, stellt die Demokratie in Frage. Eine Warnung aus ostdeutscher Perspektive.

Polizisten vor Kränen des Tagebaus

Polizisten gehen am Hambacher Forst vor einem Kohlebagger des Tagebaus vorbei Foto: dpa

In was für einer Demokratie leben wir eigentlich? Warum kann und darf ein Unternehmen wie RWE die Handlungsfähigkeit und das Gewaltmonopol des Staates in Frage stellen? Fragen wie diese drängen sich auf, wenn man das absurde Geschehen am Hambacher Forst beobachtet.

Der Energiekonzern RWE will einen 12.000 Jahre alten Wald abholzen, um Braunkohle abzubauen – also vollendete Tatsachen schaffen, obwohl eine von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission gerade über den baldigen, strukturierten Kohleausstieg berät. Viele Bürger – besonders Ostdeutsche – erkennen darin die offene Kriegserklärung eines Konzerns an das Regierungshandeln, und dieser Angriff kommt einem Paradigmenwechsel in unserer Demokratie gleich.

Die Große Koalition scheint so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie nicht mehr willens oder in der Lage ist, selbst bei Interessen, die die Gesamtbevölkerung heute und in Zukunft betreffen, einzugreifen – zum Beispiel ein Moratorium gegen die Abholzung zu verhängen, damit RWE zumindest die Entscheidung der Kohlekommission abwarten muss.

Dass Polizei und Feuerwehr missbraucht werden, um auf Veranlassung der Bauministerin der Landesregierung Nordrhein-Westfalens, trotz anhängiger Gerichtsverfahren gerade jetzt die Naturschützer aus dem Forst zu zerren und ihre Baumhäuser zu zerstören, ist ungeheuerlich. Die nordrhein-westfälischen Politiker, von Ministerpräsident Laschet bis zu Innenminister Reul, wirken wie traurige Marionetten von RWE.

Erinnerungen an eine Diktatur

Denn jahrelang waren die Baumhäuser geduldet. Und acht Wochen lang herrschten im Sommer Temperaturen über 30 Grad, trotzdem durften die Baumhäuser stehen bleiben. Jetzt, im Herbst, wurden von einem auf den anderen Tag über 3.000 Polizisten in den Wald geschickt, um die 60 Baumhäuser „aus Brandschutzgründen“ zu entfernen.

Dieses Handeln erinnert an eine überwunden geglaubte Diktatur. Für wie dumm hält man die Bevölkerung eigentlich? Es ist verlogen zu behaupten, die Räumung der Baumhäuser hätte nichts mit der geplanten Abholzung durch RWE zu tun, sie diene dem Schutz der Baumhausbewohner. Auch, dass die Baumhäuser mal eben zu Wohnanlagen uminterpretiert wurden, ist absolut willkürlich. Und wie kann es sein, dass die Polizei, die eigentlich die Verfassung und den Staat schützen soll, von einzelnen Mitgliedern der NRW-Landesregierung zu einer Hilfstruppe für RWE gemacht wird? Das erinnert viele – gerade im Osten – massiv an das Vorgehen der Polizei gegen die Bürgerrechtler zum Ende der DDR.

Die Polizei wird von der Landesregierung zu einer Hilfstruppe für den Energieriesen RWE gemacht

Nach einer Umfrage von Zeit online vom 19. September lehnen 75 Prozent der Deutschen die Rodung des Hambacher Forstes ab. Das sind immerhin rund 60 Millionen Bürger. Welche Partei, welche Politik vertritt eigentlich deren Interessen in dieser demokratischen Republik?

Am 19. September starb dann der Journalist und Blogger Steffen Meyn mit 27 Jahren im Hambacher Forst. Ein tragisches Unglück. Aber werden solche Unglücke durch RWE nicht geradezu billigend in Kauf genommen? Für einige Tage schien es ein Innehalten, ein Nachdenken zu geben, die Räumungen wurden ausgesetzt. Arbeitsbühnenverleiher zogen aus Protest ihre Geräte ab, obwohl sie mit massiven Regressforderungen rechnen müssen.

Affront gegen die Arbeit der Kohlekommission

Genau da wäre noch mal ein Moratorium ohne Gesichtsverlust für alle Seiten möglich gewesen. So wie das Lausitzer Energieunternehmen LEAG dort keine Umsiedlungen mehr macht, sondern das Ergebnis der Kohlekommission abwartet. Doch im Hambacher Forst geht der Affront gegen die Arbeit der Kohlekommission und die sinnlose Gewalt gegen Natur und Umwelt einfach weiter. Auch wenn sich eine gewaltfreie Bürgerrechtsbewegung formiert, auch wenn mittlerweile mehr als 750.000 eine Onlinepetition gegen die Rodung unterschrieben haben – Landes-und Bundesregierung ignorieren diesen Unmut einfach. Das ist ein Skandal – und Wasser auf die Mühlen der AfD, besonders in Ostdeutschland.

Denn im Osten werden ohnehin seit Jahren schmerzlich die Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Demokratie wahrgenommen. Gerade weil viele ostdeutsch sozialisierte Bürger nach persönlichen Diktaturerfahrungen und nach der friedlichen Revolution gehofft hatten, dass ihre Interessen in einer Demokratie besser vertreten werden, registrieren sie sehr genau, ob da, wo Demokratie drauf steht, auch wirklich Demokratie drin ist. Sie reagieren daher besonders sensibel auf die Einflussnahmen von Konzernen auf die Politik.

Und diese Einflussnahme wird schon lange als allgegenwärtig wahrgenommen: Konzerne beeinflussen Parteien mit Hilfe von Lobbyisten, machen sie durch Parteienfinanzierung abhängig, belohnen Politiker später mit lukrativen Posten für ihre Einflussnahme. Das alles wird im Osten nicht nur als unschöne Nebenerscheinung der Demokratie wahrgenommen, sondern als undemokratisch, bisweilen sogar diktatorisch. Als eine Diktatur der Konzerne.

Das Gebaren von RWE wird diese Demokratieverdrossenheit oder sogar die Demokratiefeindlichkeit weiter befeuern. Wenn man den Einfluss der AfD in Ostdeutschland eindämmen möchte, reicht es eben nicht aus, das Gewaltmonopol des Staates gegen rechtsextreme Auswüchse einzusetzen und die AfD zu bekämpfen. Der Zustand der Demokratie selbst muss endlich zu einem öffentlichen Thema werden. Der über die Jahrzehnte schleichend gewachsene Einfluss der Konzerne auf die Politik muss effektiv zurückgedrängt werden, die Arbeit von Lobbyisten eingeschränkt werden. Die Demokratie muss ihre Wehrhaftigkeit gegenüber den Einmischungen der Konzerne beweisen und wirklich demokratische Konsenslösungen herbeiführen.

Das würde der AfD als einer diffusen Protestpartei längerfristig die Grundlagen entziehen. Noch ist es dafür nicht zu spät.

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