Debatte Hollandes Sozialkonferenz : Pariser Schmusekurs

Frankreichs Präsident François Hollande hat Arbeitgeber und Arbeitnehmer an einen Tisch gesetzt. Im ersten Anlauf hat das neue Dialogmodell funktioniert.

Nichts verdeutlicht besser, wie sich François Hollande in Frankreich seine Präsidentschaft vorstellt, als die „Sozialkonferenz“, die er in diesen Tagen mit den Vertretern der Gewerkschaften und der Arbeitgeber veranstaltet hat.

Über zwei Tagen hinweg konnten die Sozialpartner ihre Anliegen und Wünsche anmelden. Und an Forderungen mangelt es ja nie. Beschlossen werden sollte bei diesem „Gipfel“ nichts.

Diese Vorgabe ließ trotz evidenter Meinungsverschiedenheiten und Interessenkonflikte auf beiden Seiten des grünen Tischs eine freimütige Debatte zu.

Die Probleme und auch die wunden Stellen, die mögliche Konfliktlinien der Zukunft, sie sind nun bekannt. Gerade in und wegen der Krise fordern die Gewerkschaften mehr Solidarität und mehr Schutz für die Arbeitnehmer und deren Kaufkraft. Sie wollen die großen sozialen Errungenschaften bewahren, die heute in ganz Europa durch die Austeritätspolitik bedroht sind.

Über das Vorgehen und die möglichen Kompromisse sind sich die einzelnen Arbeitnehmerorganisationen dabei natürlich keineswegs einig. Der Arbeitgeberverband Medef indessen beharrt auf einer Senkung der Arbeitskosten, um die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Unternehmen zu verbessern. Überraschend war das nicht.

Die neue Staatsführung ihrerseits machte ihre finanziellen Engpässe geltend, die ihren Handlungsspielraum einschränken. Nur eines konnte sie kostenfrei versprechen: Die Belastungen und Opfer sollen gerecht verteilt werden.

Das ist das Alpha und Omega von Hollandes Politik. Dieses Versprechen ist auch die Bedingung dafür, dass die Bürger und Bürgerinnen sowie ihre Vertretungen bereit sind, auch schmerzliche Konzessionen zu machen.

Zur Mitarbeit bereit

In einer Umfrage des Journal du Dimanche sagen 67 Prozent, sie seien zu persönlichen Anstrengungen bereit, und glauben zu 84 Prozent, dass auch die Mittelschichten vom Sparprogramm nicht verschont werden.

Vorerst aber bleiben die Standpunkte der Sozialpartner kontradiktorisch wie eh und je. Nur soll und kann man nun in den kommenden Monaten trotzdem miteinander reden.

Entsprechend hat sich Hollande auf dem Sozialgipfel auf eine „soziale Agenda“ mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen geeinigt. Und diese lobten – für einmal in seltener Eintracht – die Unvoreingenommenheit und Diskussionsbereitschaft des neuen Staatschefs.

Ende des feudalen Stils?

Im scharfen Kontrast zu seinem Vorgänger Nicolas Sarkozy hörte Hollande zuerst zu, notierte sich die jeweiligen Wünsche und Forderungen, um dann nach einem gemeinsamen Nenner und nach neuen Wegen zu suchen. Zudem bedachte er seine Gesprächspartner großzügig mit Vorschusslob für ihre Bereitschaft zur Verständigung.

Mit diesem Schmusekurs hat er Erfolg gehabt. Er hat eine positive Erwartung geschaffen, wie sie auch sonst bisher das politische Klima seit den Präsidentschaftswahlen im Land kennzeichnet.

Man muss ihm zugestehen, dass er seinen Kurs des sozialen Ausgleichs nicht verraten hat, bevor noch der gallische Hahn drei Mal kräht. Seine bisheriges Handeln verdeutlicht eine Methode, die sich positiv von Sarkozys egozentrischer Staatsführung abhebt.

Das Versprechen

Dieses Versprechen, anders mit seiner Macht umzugehen, also anders, nämlich offener zu „präsidieren“, muss Holland unbedingt einhalten, will er sein Reformprogramm im Land wirklich umsetzen.

Mit der Anerkennung seines aufrichtigen Bemühens, in Frankreich so etwas wie einen echten Sozialdialog in Gang zu setzen, hat Hollande sein erstes Ziel erreicht.

Der von ihm versprochene „Wechsel jetzt“ soll keine leere Wahlkampfparole gewesen sein. Was Sarkozy unter konzertierter Aktion mit den Sozialpartnern verstand, kann man nicht anders als pure Arroganz der Macht bezeichnen.

Er zitierte diese nämlich jeweils in seinen Elysée-Palast, um ihnen höflich, aber bestimmt zu sagen, was er im Voraus bereits entschieden hatte.

Sozialer Patriotismus

Selbst Arbeitgeberpräsidentin Laurence Parisot, die bei den abgewählten Konservativen immer eine offene Türe fand, hat keine gute Erinnerung an diese Form der Sozialpartnerschaft mit der Staatsspitze.

Auch sie hofft nun wie die auch Gewerkschaften mehrheitlich, dass sich ein neues Win-win-Modell des sozialen Dialogs erfinden lässt. Hollande möchte sogar in der Verfassung den Grundsatz verankern, dass jeder sozialpolitischen Gesetzesvorlage eine Anhörung und Verständigung der Sozialpartner vorausgehen müsse.

Französischer Sozialpakt

Das ist ein gewagtes Unternehmen in einem Land, in dem bisher jeweils zuerst gestreikt, respektive entlassen wurde und erst danach Diskussionen oder gar Verhandlungen infrage kamen.

Ein Sozialpakt, wie wie er im angelsächsischen Raum von Philosophen wie Thomas Hobbes und John Locke und in jüngerer Zeit von John Rawls konzipiert wurde, ist auch in Frankreichs Ideengeschichte verankert. Er bildete schon bei Jean-Jacques Rousseau in seinem „Contract Social“ die Grundlage einer organisierten Gesellschaft.

Hollande scheint begriffen zu haben, dass es sich da um ein Gleichgewicht handelt, in dem nicht permanent die einen gegen die anderen ausgespielt werden dürfen, sondern stets alle Beteiligten zu berücksichtigen und zu einem Handschlag für einen Ausgleich zu gewinnen sind.

Rückschläge werden kommen

Das ist auf jeden Fall im aktuellen Kontext ein schwieriges Vorhaben, dem der Schuldenabbau mit Steuererhöhungen und Einsparungen sowie die drohenden Entlassungswellen eine für alle spürbare Dramatik verleihen. Mit Rückschlägen und Enttäuschungen ist also zu rechnen.

Doch gerade die dramatische soziale Zuspitzung will Hollande als Argument verwenden, um im Namen eines sozialen Patriotismus eine soziale Konvergenz zu schaffen.

Und auch wer weder an Wunder glaubt noch den Handlungsspielraum eines Präsidenten überschätzen mag: Nach dem Desaster mit Sarkozys Konfrontationskurs kann es mit dem Kompromisskünstler Hollande nur besser werden.

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Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.

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