Debatte Kongo: Lieber Krisen-Kobler!

Der nächste Chef der weltgrößten UN-Mission wird ein Deutscher. Das wird spannend. Denn die UNO fährt ihr Kongo-Mandat gerade gegen die Wand.

Kongos nächste Kriegspartei? Südafrikanische Blauhelme in Goma. Bild: dpa

Glückwunsch, Herr Kobler! UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon hat ausgerechnet Sie als Deutschen zum Chef der UN-Mission im Kongo (Monusco) ernannt, mit 1,4 Milliarden Dollar und über 17.000 Blauhelmen die aufwendigste und teuerste weltweit. Das ist doch was. Die Kongolesen finden das klasse. Nur doof für uns Deutsche - jetzt muss man sich neben Hochwasser und Bundestagswahlen wieder mit der Krise im Herzen Afrikas auseinandersetzen.

Es wird keine leichte Aufgabe. Im Gegenteil. Der Ostkongo, seit Jahrzehnten Kriegsgebiet, ist derzeit Experimentierfeld für neue Ideen der UN-Friedenspolitik. Immerhin hat man auch in New York festgestellt, dass es keinen Sinn macht, „Friedenshüter“ in einen Dschungel zu schicken, in dem Anarchie, Chaos und Krieg herrscht - im Prinzip alles, bloß kein „Friede“, den man „hüten“ kann.

So passierte es, dass im November 2012 die neueste ostkongolesische Rebellenarmee M23 (Bewegung des 23. März) lächelnd und winkend an den UN-Panzern vorbeimarschierend die ostkongolesische Provinzhauptstadt Goma einnahm. Die indischen Blauhelme, die zuvor noch eifrig die Verteidigung Gomas versprochen hatten, guckten den Rebellen tatenlos zu. “Ich bin ein Friedenshüter, ich darf nicht schießen“, sagte ein indischer Soldat der taz. Er saß auf seinem Panzer neben dem Kanonenrohr, welches in der Schutzhülle steckte. Erst durch regionalen diplomatischen Druck zogen die M23 nach elf Tagen wieder aus Goma ab.

Falsche Lehren aus dem Goma-Debakel

Die Eroberung Gomas war ein Vernichtungsschlag nicht nur gegen die marode kongolesische Lumpenarmee, sondern auch gegen die UN-Mission. Es war eine Blamage: Als die Rebellen an das Tor des UN-Hauptquartiers in Goma klopften, brach zwischen den Büro-Containern hinter den Sandsäcken Panik aus. Was wollen Sie nun anders machen, Herr Kobler?

Damals war es Diplomatie, die zu Verhandlungen führte. Aber aus der Blamage in Goma resultierte folgendes UN-Experiment, welchem Sie jetzt vorstehen sollen: Eine 3000 Mann starke robuste Eingreiftruppe wird mit einem „Friedenserzwingungs“-Mandat in den Dschungel geschickt. Sie soll aktiv gegen aberdutzende Milizen vorgehen. Unterstützung bekommt sie durch einen Griff in die Trickkiste modernster Kriegsführung: unbemannte Aufklärungsdrohnen, welche die Lage aus der Luft überwachen. Das mögen wir Deutschen ja.

Soweit die Idee, alles auf die militärische Karte zu setzen. Doch in der Praxis gibt es bereits Streit, noch bevor die Truppen einsatzbereit sind. Tansania, Malawi und Südäfrika haben sich als Truppensteller bereit erklärt. Aber nicht um des Friedens im Kongo willen, sondern aus Eigeninteresse - und damit nimmt das Problem seinen Lauf.

Drei Intervenierer, drei Interessen

Tansania will endlich auch mal ein Stück Kongo-Kuchen abbekommen, noch dazu wenn es gegen die M23 geht, die laut UN-Ermittlungen von Ruanda unterstützt wird. Die Nachbarn Ruanda und Tansania streiten sich gern. Tansanias Präsident Jakaya Kikwete und Ruandas Präsident Paul Kagame liefern sich jetzt hitzige Wortgefechte über die Frage der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), die seit 19 Jahren von Kongos Dschungel aus Krieg gegen Ruanda führen. Es sind die Nachfolgegruppen der Milizen, die 1994 in Ruanda den Völkermord an den Tutsi verübten - ihre politische Führung steht derzeit in Deutschland vor Gericht.

Kikwete verlangt von Kagame Verhandlungsbereitschaft mit der FDLR. Kagame lehnt das ab und beschuldigt Tansania, die FDLR zu unterstützen. Sobald die UN-Eingreiftruppe startklar ist, können die beiden Streithähne unter UN-Mandat den Konflikt zwischen den Frontlinien zur M23 und FDLR austragen, am Stadtrand von Goma.

Malawi hat wiederum Querelen mit Tansania um die Grenzziehung. Malawis Militärs machen andererseits mit UN-Missionen gerne Geld. Südafrika seinerseits ist sauer: Man hatte darauf spekuliert, den neuen UN-Truppenkommandeur im Kongo zu stellen, der unter Ihnen, Herr Kobler, die Blauhelmtruppen kommandieren soll. Doch der Posten ging an den Brasilianer General Carlos Alberto dos Santos Cruz. Die neue Eingreiftruppe in Goma wiederum wird von einem Tansanier befohlen.

Die Südafrikaner sind dann in der Kommandokette also den Tansaniern unterstellt, was ihnen bitter aufstößt; immerhin hat Südafrika im Kongo nicht nur eine Rolle als regionale Supermacht, sondern auch wirtschaftliche Interessen zu verteidigen: Zugang zu Trinkwasser aus dem Kongofluss, Ölvorkommen im von der M23 besetzten Virunga-Nationalpark.

Aufgrund all dieser Streits hat sich die Stationierung der Eingreiftruppe bereits jetzt um Monate verzögert. Das zeigt aber auch, dass die UNO hier keine kohärente Truppe an die Front schickt, sondern den Zirkus der bewaffneten Gruppen einfach um drei weitere Spieler erweitert.

Erst in den vergangenen Wochen sind nach und nach die ersten neuen UN-Einheiten in Goma eingetroffen, bislang rund 800. Die Waffen, die sie zum Kämpfen benötigen, fehlen noch. So begannen sie Anfang Juni erst einmal mit Patrouillen in und um Goma herum. Doch das taten die bisherigen Blauhelme auch. Die Verzögerung haben die M23 und die Regierungsarmee erfolgreich ausgenutzt, um im Mai am Stadtrand per gegenseitigem Artilleriebeschuss einen Bombenhagel zu veranstalten, in welchem auch Zivilisten ums Leben kamen. Das heißt: Die blinde Aggressionspolitik der UN führte bereits jetzt zu Toten.

Zwei rivalisierende Regionalorganisationen

Und wenn die Truppe einmal steht, was soll sie dann eigentlich tun? Die konkrete Operationsplanung wird in der UN-Mission als Geheimnis Nummer Eins gehandelt. Aus Insiderkreisen hört man: auch hier gibt‘s Zoff. Im Vorfeld war ein Offiziersteam der elf Mitgliedsstaaten der Regionalorganisation ICGLR (Internationale Konferenz der Großen Seen) damit beschäftigt, Lageberichte zu fertigen. Das Grundproblem: Man muss erst einmal überblicken, welche Milizen überhaupt auf welchen Hügeln sitzen. In den beiden Kivu-Provinzen spricht man von insgesamt über 50 bewaffneten Gruppen - ausländische Rebellenorganisationen, lokale Selbstverteidigungsmilizen und solche, die von Kongos Regierungsarmee als Proxy bewaffnet wurden.

Mit jeder dieser Gruppen müsse man einzeln umgehen, so die Empfehlung der ICGLR. Eine Idee war, jeder Miliz eine Frist zur freiwilligen Entwaffnung zu setzen und ihr einen von der Eingreiftruppe gesicherten Versammlungsort zuzuweisen. Die Kämpfer, die sich freiwillig ergeben, werden entwaffnet und eventuell in die Armee integriert. Gegen die, die sich weigern, wird dann militärisch vorgegangen. In diesem Konzept “Zucker und Peitsche“ würde die UN-Eingreiftruppe die Rolle einer Drohbrigade spielen, die nur im äußersten Fall zum Angriff ansetzt.

Davon will aber der tansanische Kommandeur nichts wissen. Er vertritt die Regionalorganisation SADC (Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika), eine Konkurrenzinstitution zur ICGLR, und will sein eigenes Konzept durchdrücken. Das sieht so aus: Nord-Kivu wird in vier Sektoren eingeteilt und für jeden gibt es eine „Aufräum-Strategie“, egal wer da auf welchen Hügeln hockt. Dafür fährt die Eingreiftruppe auch schwere Artillerie auf. An erster Stelle der Abschussliste steht die M23 im Sektor nördlich von Goma.

Ein Sturmlauf ins Desaster

Wie ist diese Taktik jedoch mit dem UN-Mandat zum Schutze der Zivilbevölkerung vereinbar, Herr Kobler? Notgedrungen werden UN-Offensiven jeder Art zu Vertreibungen führen. Im Extremfall kann dies auch heißen, dass sich die Eingreiftruppe im Dschungelchaos zwischen den Fronten aufreibt.

Jeder einzelne Rebell kennt jeden Busch und jeden Hügel wie seine Westentasche. Die ausländischen Eingreifer kennen nichts. Die Wälder und Berge zwischen den Vulkanen sind kein leichtes Terrain. Tansanische und malawische Soldaten gelten nicht gerade als kampferfahren. Wie groß wird also das Gejammer, wenn die ersten Blauhelme fallen, Herr Kobler? Als im März mehrere Dutzend südafrikanische Militärs von Rebellen in der Zentralafrikanischen Republik getötet wurden, stand in Südafrika die Kongo-Eingreifentscheidung bereits im Vorfeld auf der Kippe.

Die UNO hat natürlich eine Antwort darauf. Helfen soll das neue unbemannte Überwachungssystem, das niemand in der Monusco „Drohne“ nennen will. Auch das hat einen Grund. Die UN darf offiziell gar keine Spionage betreiben. Deswegen muss man das Mandat unter dem Deckmantel des „Schutzes der Bevölkerung“ nett verpacken. Wer jedoch Zugang zu den Informationen bekommt, die die Hochauflösungs-Kameras sammeln - auch darüber wird noch gestritten.

Und was ist mit der Regierungsarmee?

Und, Herr Kobler, da war ja noch was! Eines der Grundprobleme des Ostkongo-Konfliktes: Kongos marode Armee, die laut UN-Mandat von den Blauhelmen unterstützt wird. Welche Rolle spielt sie? Im November begingen aus Goma fliehende Armeeeinheiten Massenvergewaltigungen. Bei den jüngsten Gefechten im Mai gaben sich Armeeoffiziere als die schlimmsten Kriegstreiber: „Wir werden Ruanda als unsere zwölfte Provinz erobern“, drohte ein hochrangiger Offizier an der Front. Um diesen Krieg zu führen, statten die Offiziere schon seit Monaten im Hinterland Stellvertretermilizen aus, die dann wiederum von der Eingreiftruppe bekämpft werden sollen. Beißt sich da nicht die Katze in den Schwanz?

Zum Glück haben Sie, Herr Kobler, Erfahrungen aus den UN-Missionen in Irak und Afghanistan! Jetzt sind wir alle neugierig, welche Konsequenzen Sie daraus für den Kongo ziehen. Wird die Monusco auf die militärische Karte setzen oder sind regionale diplomatische Lösungen nicht nachhaltiger? Und welche Grundhaltung werden Sie gegenüber Kongos Regierung einnehmen, die für einen Großteil der Probleme im Osten verantwortlich ist?

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