Debatte Organspenden in Deutschland: Niere hin, Niere her

Es gibt zu wenig Organspenden in Deutschland. Ein Organtausch sollte gesetzlich ermöglicht werden, um mehr Leben zu retten.

Zwei Chirurgen beugen sich über einen Menschen auf einem OP-Tisch

Es könnte viel mehr geholfen werden. Dazu müsste das Transplantationsgesetz geändert werden Foto: Unsplash/Piron Guillaume

Mehr Organspenden! Jetzt! So steht es – zugespitzt und verkürzt formuliert – im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Das hat einen simplen Grund: Die Zahl der Organspenden hat unter anderem aufgrund von Organspendeskandalen in den vergangenen Jahren einen Tiefstand erreicht. Das ist problematisch, in Deutschland warten derzeit über 10.000 Patientinnen und Patienten auf eine neue Leber, ein neues Herz, die meisten auf eine neue Niere.

Der Organspendepassus im Koalitionsvertrag bietet die Chance, eine Änderung des Transplantationsgesetzes anzuregen. Das fordern seit Jahren Ärzteverbände und Gesundheitsökonomen, insbesondere bei Lebendspenden. Von den 1.921 Nierentransplantationen im Jahr 2017 waren 557 Lebendspenden. Im Durchschnitt warten Patientinnen und Patienten vier bis acht Jahre auf eine neue Niere. Bei anderen Organen kann es noch länger dauern.

Derzeit ist es in Deutschland nur erlaubt, nahen Verwandten und Ehepartnerinnen und -partnern ein Organ zu spenden. So wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der 2010 seiner Frau Elke Büdenbender erfolgreich eine Niere gespendet hatte.

Die derzeitige Beschränkung auf Verwandtschaft und sehr nahe Personen indes ist ethisch problematisch und rückständig und sollte rasch aufgeweicht werden. Denn häufig werden Nieren von Personen, die spenden würden, darunter Ehegatten und Geschwister, von den Empfängerinnen und Empfängern nicht angenommen. Was könnte helfen?

Spender, bildet Ketten

Beispielsweise sogenannte „Nierentausche“: Jemand kann seiner Frau keine Niere spenden, jemand anderem geht es genauso, weil in beiden Fällen das Organ „inkompatibel“ ist. Was spricht dagegen, die Nieren über Kreuz zu tauschen? Die Frau des einen kriegt die Niere des anderen und umgekehrt.

Dieses einfache Spenderverfahren kann zu „Spender-Empfänger-Ketten“ führen, den Spendenkreislauf also erweitern und dadurch Leben retten. Diese „Ketten“ könnten zudem mit postmortal oder altruistisch gespendeten Nieren kombiniert werden. So wie in den USA und einigen europäischen Ländern wie den Niederlanden. Dort gab es bereits Ketten von bis zu 70 Personen, von denen die Hälfte eine Niere gespendet und die andere Hälfte jeweils eine kompatible Niere aus dem Pool erhalten hatte.

Ein Nierentausch ist kein Nierenhandel. Denn die Beteiligten sind altruistisch miteinander verbunden

Weil das deutsche Gesetz Lebendspenden einzig auf enge verwandtschaftliche und emotionale Beziehungen beschränkt, sind anonyme Spenden hierzulande illegal. Argumente für dieses Verbot sind oft begründet in der Sorge, dem Organhandel würde die Tür und Tor geöffnet, wäre das Verbot aufgehoben. Das ist ein Trugschluss. Denn Nierentausche unterscheiden sich eklatant vom Handel mit Nieren, da keiner der Tauschpartnerinnen und -partner Geld bezahlt oder bekommt.

Manche Kritikerinnen und Kritiker entgegnen, ein Tausch sei eine kommerzielle Transaktion: Niere gegen Niere statt Geld gegen Niere könne indirekt verglichen werden und sei damit ethisch unzulässig.

Ethisch problematisch ist das bestehende Verbot

Man kann es auch anders sehen: Im Gegensatz zu einer kommerziellen Transaktion sind beim Nierentausch die Spendenden nicht monetär, sondern altruistisch miteinander verbunden. Die Überkreuzspende findet ja nur statt, weil die Organe mit den nahestehenden Empfängerinnen und Empfängern inkompatibel sind.

Ein weiteres, oft vorgebrachtes Gegenargument ist, dass Menschen unter Druck gesetzt werden könnten, ihre Organe zu spenden. Es ist jedoch unklar, warum diese Gefahr bei einem Nierentausch akuter sein soll als bei einer normalen Spende. Wären Nierentausche offiziell erlaubt, müssten sich Angehörige genauso wie bisher dafür oder dagegen entscheiden. Falls sie sich für eine Spende entscheiden, ist es jedoch wahrscheinlicher, dass sie auch spenden können.

Auf den Punkt gebracht: Nicht die angeregte Aufhebung des Tauschverbots ist ethisch problematisch, sondern das bestehende Verbot. Es unterbindet – bei gleichzeitiger Bestrafung der involvierten Ärzte – Transplantationen, die die Lebensqualität von betroffenen Kranken verbessern oder sogar ihr Leben retten können. Daneben verstößt es gegen die Interessen von Patientinnen und Patienten sowie ihrer Angehörigen, diese Transplantationen nicht stattfinden zu lassen.

Dabei sollte das Patientenwohl der entscheidende Maßstab für gesundheitspolitische Entscheidungen sein, das sollte sich auch im Koalitionsvertrag wiederfinden. Daraus folgt zwangsläufig, dass das Verbot aufgeweicht werden sollte. Ökonomisch sinnvoller sind Spenden ohnehin: Dauerhafte und regelmäßig notwendige Dialysen sind in der Regel teurer als einmalige Transplantationen. Legalisierte Nierentausche reduzieren also die Kosten im Gesundheitswesen.

Spanien macht es vor

Der Deutschen Stiftung Organtransplantation zufolge lag die Anzahl der postmortal gespendeten Organe in Deutschland 2017 bei 2.594, das ist der niedrigste Wert seit 20 Jahren. Daneben gab es 618 Lebendspenden – auch diese Zahl geht kontinuierlich zurück. Die Gruppe der Lebendspendenden zu erweitern, würde dieses Unterangebot zwar nicht komplett beheben, zumindest aber mildern. Grundsätzlich jedoch muss die Bereitschaft steigen, dass Menschen ihre Organe nach ihrem Tode zur Verfügung stellen.

Die Große Koalition sollte zügig die Chance ergreifen und das Transplantationsgesetz ändern. Andere Länder machen es vor. Beispielsweise Spanien. In dem iberischen Land werden postmortal weitaus mehr Organe transplantiert, weil der Staat Organspenden auf eine schlichte gesetzliche Weise regelt: Wer seine Organe nach dem Tod nicht spenden möchte, muss einer Entnahme explizit widersprechen. In Deutschland ist es genau andersherum.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Philippe van Basshuysen forscht an der Leibniz Universität Hannover und der London School of Economics zu der Frage, wie Institutionen, z.B. Märkte, organisiert werden sollten, um gerechte und gleichzeitig effiziente Ergebnisse zu erzielen. Zu den Anwendungsgebieten gehören Themen wie Klima, Migration und Gesundheit.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.